Politik Gratwanderung für Pädagogen

Ein Religionslehrer an einer pfälzischen Schule lässt im Unterricht untersuchen, ob die Klage des AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen, er sehe in seiner Stadt „nur noch vereinzelt Deutsche“, einen rassistischen Unterton habe. Da die deutsche Staatsbürgerschaft sich nicht im Aussehen niederschlägt und beileibe nicht alle Deutschen blond und blauäugig sind, kommen die Schüler nach einigen kontroversen Diskussionen zum Schluss, dass dieser Aussage durchaus ein – wenn auch versteckter – Rassismus innewohnt. Sensibel machen für Untertöne, nachdenken über vermeintlich harmlose Aussagen, das gehört hierzulande zum Unterricht, sei es in Deutsch, Geschichte, Sozialkunde oder auch im Fach Religion/Ethik. Der inzwischen in fast allen Landesparlamenten und im Bundestag vertretenen AfD ist dies offenbar ein Dorn im Auge. Sie beklagt, die Partei sei einer Kampagne einer eher „links orientierten“ Lehrerschaft ausgesetzt. Und sie reagiert: mit Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Lehrer, mit Anfragen in den Parlamenten und der Einrichtung eines Internetportals, bei dem Eltern und Schüler Pädagogen melden können, die sich kritisch gegenüber der AfD äußern. An den Start gehen soll das Portal der AfD-Fraktion der Hamburger Bürgerschaft zu Beginn des neuen Schuljahres, also Mitte August. „Neutrale Schulen Hamburg“ soll es heißen. Bei „begründetem Anfangsverdacht“, so erklärt der schulpolitische Sprecher und AfD-Fraktionsvorsitzende in der Bürgerschaft, Alexander Wolf, auf der Internetseite der Fraktion, würden die Klagen „zur Überprüfung an die Schulbehörde beziehungsweise den Senat“ weitergeleitet. Was die AfD als „einseitige politische Beeinflussung“ bezeichnet, ist für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) „guter Unterricht“, in dem die „Demokratie verteidigt wird“. Der stellvertretende Landesvorsitzende der GEW Hamburg, Fredrik Dehnerdt, sieht in dem Portal einen Versuch, engagierte Lehrer einzuschüchtern. Die AfD habe den politischen Bildungsauftrag (siehe Stichwort „Beutelsbacher Konsens“) grundsätzlich falsch verstanden. Es gehe nicht um politische Neutralität im Sinne von Gleichgültigkeit, erklärt Dehnerdt. Die offene Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Meinungen solle in der Schule eingeübt werden. „Kontroverses muss kontrovers dargestellt werden.“ Und der Lehrer dürfe durchaus auch eine Meinung äußern, solange er sie als die seine kenntlich mache und sie den Schülern nicht einfach nur überstülpe. Das Ansinnen, eine Beschwerde-Plattform gegen Lehrer im Internet einzurichten, ist bei allen Lehrerverbänden und der Hamburger Schulbehörde auf scharfe Kritik gestoßen. Letztere beklagte, Schüler würden dadurch zu Denunzianten gemacht. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Hans-Peter Meidinger, sieht das genauso. „Öffentliche Listen mit ungeprüften Anschuldigungen verstoßen ... gegen das Vertrauensverhältnis im Klassenzimmer“, klagte er gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. GEW-Vorstandsmitglied Ilka Hoffmann bezeichnete das Vorgehen der AfD als „höchst totalitär“. Schon ohne das höchst umstrittene Beschwerdeportal sehen sich Lehrer bundesweit vermehrt Dienstaufsichtsbeschwerden ausgesetzt. Die AfD setze diese bewusst ein, um Pädagogen zu verunsichern und einzuschüchtern, sagt der Hamburger GEW-Funktionär Dehnerdt. Beispielsweise habe die AfD im Mai in einer großen Anfrage die politische Neutralität der Hamburger Lehrerschaft als Ganzes in Frage gestellt und den Pädagogen „Hetze, Stimmungsmache und Falschbehauptungen“ vorgeworfen. Proteste von Schülern auf Schulveranstaltungen seien von Lehrern nicht unterbunden worden, lautete der Vorwurf. Die Schulen nutzten zudem Arbeitsblätter, in denen „stark abwertend verzerrte oder unverhältnismäßig tendenziöse Aussagen“ über die AfD enthalten seien. Auch in Rheinland-Pfalz sind Lehrer ins Visier von AfD-Politikern geraten. Wegen eines Kommentars in der Schülerzeitung des Ludwigshafener Carl-Bosch-Gymnasiums legte der rheinland-pfälzische AfD-Landtagsabgeordnete Joachim Paul im Januar Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einen Lehrer ein. Der Landtag in Mainz musste sich im Juni auf Antrag Pauls dann mit einer Beschwerde gegen die „Arbeitsgemeinschaft gegen Rassismus“ an der Integrierten Gesamtschule Kandel befassen. Im selben Monat legte der AfD-Politiker Marvin Mergard Dienstaufsichtsbeschwerde wegen „Beleidigung und Missachtung des für Lehrer verpflichtenden Neutralitätsgebots“ gegen einen Bremer Pädagogen ein, weil dieser die Pressemitteilung des Kommunalpolitikers mit Kritik an einer Flüchtlingsinitiative im Unterricht analysieren ließ. In der Regel verlaufen solche Dienstaufsichtsbeschwerden im Sande, weil politische Arbeit in der Schule wie auch politische Aussagen von Lehrern, sofern sie als eigene Meinung gekennzeichnet sind, von den Schulgesetzen gedeckt sind. So war es auch bei einem Schulleiter aus Aachen. Der sah sich mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde konfrontiert, weil er in einer Schulveranstaltung mit einer der letzten Überlebenden des Mädchenorchesters von Auschwitz beklagt hatte, dass immer weniger Geld für Schülerfahrten in Gedenkstätten zur Verfügung stehe und dass gerade Projekte gegen das Vergessen der NS-Zeit nach dem Einzug der AfD in den Bundestag zunehmend wichtig würden. Als die Dienstaufsichtsbeschwerde des Bundestagsabgeordneten Matthias Kamann abschlägig beschieden wurde, schob dieser eine Fachaufsichtsbeschwerde gegen die Regierungspräsidentin nach. Wie sich die AfD Geschichts- und Sozialkundeunterricht vorstellt, haben Politiker der Partei schon mehrfach deutlich gemacht. Die unangenehmen Seiten der Vergangenheit, insbesondere die Zeit des Nationalsozialismus, nimmt ihrer Ansicht nach viel zu breiten Raum ein. Die „großen Wohltäter, Entdecker und Erfinder der Vergangenheit“ würden verschwiegen und die deutsche Geschichte in den Schulen „mies und lächerlich“ gemacht, klagte beispielsweise der Thüringer AfD-Landesvorsitzende Bernd Höcke. Und dagegen versucht die Partei nun offenbar verstärkt vorzugehen. Allerdings sind fast alle Dienstaufsichtsbeschwerden bisher im Sand verlaufen. Wohin die bildungspolitische Reise nach dem Willen der AfD gehen soll, machte Erika Steinbach kürzlich deutlich. Die ehemalige CDU-Politikerin und einstige Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen ist inzwischen Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. In dieser Funktion bemängelte sie fehlende Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in Deutschland: „In Deutschland erleben wir seit Jahren zunehmend einen beunruhigenden Druck nicht nur im Bereich des Meinungsdiskurses, sondern sogar für die Freiheit der Wissenschaften“. Die Stiftung wolle nun Bildungsseminare und Materialien für Schulen anbieten sowie Lobbyarbeit betreiben, um dieser Entwicklung entgegenzutreten. Deutschland, so erklärte Steinbach gegenüber der Zeitung „Welt“, sei ein „krankes Land“. Mit der Stiftung „wollen wir die Therapeuten sein“.