Coronavirus Gesundheitssystem: Die Bettenzahl allein ist nicht entscheidend

Blick in eine Intenivstation in Essen. Bundesweit gibt es derzeit rund 30.000 Intensivbetten.
Blick in eine Intenivstation in Essen. Bundesweit gibt es derzeit rund 30.000 Intensivbetten.

Angesichts steigender Infektionszahlen werden auch die Warnungen vor einer Überlastung des Gesundheitssystems durch Corona lauter. Doch wie viele Neuinfektionen hält unser Land aus? Die Antwort: Es kommt darauf an.

Die schockierenden Bilder aus Norditalien sind vielen noch im Gedächtnis. Im März waren dort Intensivstationen mit zu vielen Corona-Patienten überfordert. Jetzt, wo sich das Coronavirus wieder rasant verbreitet, kommt die Angst vor einer ähnlichen Situation auch in Deutschland zurück. Es gehe darum „unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten“, sagte jüngst Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch wann ist dieses System „überlastet“?

Engpässe bei geschultem Personal

„Entscheidend für diese Frage ist die Zahl der stationär und insbesondere intensivmedizinisch behandlungsbedürftigen Patienten“, sagt Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Hinsichtlich der Kapazitäten an Intensivbetten sei Deutschland in einer weltweit einmaligen Versorgungssituation. Von mehr als 30.000 Intensivbetten sind laut Deutscher Interdisziplinärer Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) derzeit mehr als 9000 (Stand Montag) frei. Zudem gibt es weitere 12.000 Betten, die im Notfall aktiviert werden können. „Zusätzlich haben wir gezeigt, dass wir circa 150.000 bis 200.000 normale Betten frei machen können“, erklärt Baum.

Ihm bereitet eher die ausreichende Versorgung mit geschultem Personal Sorge. Eine entsprechende Auslastung der Betten „würde maximale innerbetriebliche Personalumsetzungen und Konzentrationen in die vordringlich zu versorgenden Bereiche erforderlich machen.“

Noch ist es auf den Intensivstationen vergleichsweise ruhig. Rund 850 Corona-Patienten wurden zuletzt (Stand Montag) laut DIVI dort behandelt. Zum Vergleich: Mitte April waren es zeitweise mehr als 2500. Doch die Werte steigen.

Die Rolle der Gesundheitsämter

Ein wichtiger Faktor ist auch, ob die Gesundheitsämter Ausbrüche zurückverfolgen und potenziell Infizierte warnen können. Das kann einer weiteren Ausbreitung vorbeugen. Das System ist allerdings fragil, wie das Beispiel des Berliner Bezirks Neukölln zeigt, der mit besonders vielen Neuinfektionen kämpft. „Wir haben nicht mehr einen Brandherd, sondern multiple Glutnester – nicht Dutzende, sondern Hunderte“, sagte Neuköllns Amtsarzt, Nicolai Savaskan, dem „Tagesspiegel“ vergangene Woche. Bei 70 Prozent der Fälle sei der Infektionsherd nicht mehr zu finden.

Das Bundesgesundheitsministerium kann nicht abschätzen, wie viele Neuinfektionen unser Gesundheitssystem aushält. „Die Anzahl der schweren Verläufe hängt zwar davon ab, wie hoch die Fallzahlen insgesamt sind, aber andere Faktoren spielen hier auch eine große Rolle, zum Beispiel wie viele Menschen aus Risikogruppen betroffen sind“, teilte ein Sprecher des Ministeriums mit. Zuletzt gab es laut Robert-Koch-Institut wieder vermehrt Corona-Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen. Ältere und Vorerkrankte sind besonders anfällig für einen schweren Verlauf.

Der bislang vergleichsweise milde Verlauf der Pandemie dürfte nicht dazu verleiten, die Gefahren zu unterschätzen, sagt Uwe Janssens, Präsident der DIVI. Die Belegung der Intensivbetten hänge im kommenden Winter von vielen Faktoren ab, die im vergangenen Frühjahr kaum eine Rolle spielten. Dazu gehört die kommende Grippewelle – und wie stark sie angesichts der Corona-Maßnahmen einschlagen werde. Untersuchungen des Robert-Koch-Instituts legen nahe, dass Hygienemaßnahmen, das Abstandhalten und das Tragen von Masken auch die Verbreitung der Grippe eindämmen.

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