Kalender Gespenstische Ruhe in den Städten mitten in der Ölkrise

Leere herrschte am ersten autofreien Sonntag im November 1973 auch in der sonst viel befahrenen Münchener Ludwigstraße.
Leere herrschte am ersten autofreien Sonntag im November 1973 auch in der sonst viel befahrenen Münchener Ludwigstraße.

Der Bundestag beschließt im Oktober 1973 ein sonntägliches Fahrverbot. So soll der Benzinverbrauch in Deutschland gedrosselt werden. Die Boykottmaßnahmen der Araber führen aber letztlich dazu, dass die Energiewelt eine andere wird.

Gelassen, fast ein bisschen amüsiert – so sei die Haltung der meisten Bundesbürger gewesen, als am 25. November 1973 ein eintägiges Fahrverbot für alle Pkw und Lkw in Kraft trat, erinnern sich Zeitgenossen. Plötzlich konnte man an diesem Sonntag auf der Autobahn radfahren oder entlang der Leitplanken wandern. In den Städten herrschte gespenstische Ruhe. Auf den Einfallstraßen spielten die Kinder. Es war das erste Sonntagsfahrverbot in der Ölkrise. Drei weitere Sonntage sollten folgen. Da ließ die Begeisterung allerdings allmählich nach.

Auslöser der weltweiten Ölkrise war der Nahostkonflikt: Die arabischen Staaten Ägypten und Syrien hatten Anfang Oktober 1973 Israel angegriffen, um besetzte Gebiete zurückzuerobern. Ende Oktober kam es nach massivem internationalen Druck zu einem Waffenstillstand.

Erdöl als Waffe

Die arabischen Staaten warfen den westlichen Industrienationen vor, einseitig Partei für Israel zu ergreifen. Die Araber beschlossen, ihr wichtigstes Exportgut, Erdöl, als Waffe einzusetzen. Mitte Oktober fielen bei der OPEC (Organisation für erdölexportierende Länder) entsprechende Entscheidungen. Die Förderung wurde gedrosselt, der Preis explodierte – an den Märkten brach Panik aus.

Der Zeitpunkt war gut gewählt: In Europa und Nordamerika stand der Winter vor der Tür. Auch Deutschland war damals in einem sehr viel größeren Maße vom Öl arabischer Staaten abhängig als heute. Es gab viele Ölheizungen. Die Bundesregierung verhängte Sparmaßnahmen. So wurde in den Behörden weniger geheizt. Der Benzinverbrauch allerdings ging nicht im erhofften Maße zurück.

Gewissheiten brechen weg

Im Galopp peitschte daher die rot-gelbe Regierung das sogenannte „Energiesicherungsgesetz“ durch den Bundestag. Darin steht der Satz: „Die Benutzung von Motorfahrzeugen kann nach Ort, Zeit, Strecke, Geschwindigkeit und Benutzerkreis sowie Erforderlichkeit der Benutzung eingeschränkt werden“. Am 9. November erlangte das Gesetz Gültigkeit, am 19. November beschloss das Parlament, es am folgenden Sonntag erstmals anzuwenden.

Auch wenn die meisten Deutschen das Beste aus der ungewohnten Situation machten, waren sie doch geschockt. Es war ähnlich wie derzeit mit Corona: Gewissheiten wurden erschüttert. Damals war es auch der Glaube, dass Öl unbeschränkt und preisgünstig zur Verfügung stehe.

Suche nach Alternativen

Ende 1973 beschlossen die arabischen Ölstaaten, die Produktion des schwarzen Goldes wieder zu steigern. Schließlich konnten auch sie kein Interesse am Zusammenbruch der Weltwirtschaft haben. Doch der Ölpreis blieb hoch, und in Deutschland ging das „Wirtschaftswunder“, das nach Kriegsende begonnen hatte, zu Ende.

Nicht nur das innenpolitische Klima veränderte sich in der Folge. Auch die Energiepolitik. Es begann die Suche nach Alternativen zum Erdöl – darunter war die Atomkraft. n der Nordsee wurde vermehrt nach Öl und Gas gesucht. Und für die Deutschen wurde Russland als Lieferant immer wichtiger.

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