Politik Frommer Wunsch und harte Wirklichkeit
Baustelle Deutschland (6): Ideen für eine bessere Bildung gibt es viele – Eltern wären indes schon froh, es würde nicht so viel Unterricht ausfallen.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die 2008 von Kanzlerin Angela Merkel ausgerufene „Bildungsrepublik“ hat ihre Ziele verfehlt. Schon damals war klar, dass das deutsche Bildungssystem unterfinanziert ist, weshalb sich Bund und Länder versprachen, spätestens 2015 sieben Prozent der Wirtschaftsleistung in die Bildung zu stecken. Dazu ist es bis heute nicht gekommen. Denn wäre das Sieben-Prozent-Ziel tatsächlich umgesetzt worden, wäre das Bildungsbudget nicht auf 195 Milliarden Euro gewachsen, sondern auf 213 Milliarden, das sind 18 Milliarden Euro mehr. Bildungspolitiker wären indes froh, wenigstens zehn bis zwölf Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung zu haben. Die fehlen nämlich für die vielfältigen Aufgaben, die es im Bildungsbereich zu lösen gilt: Mehr Lehrer für die nun doch wachsende Schülerzahl, die Sanierung vieler tausender Schulen, die Ausstattung mit moderner Digitaltechnik, die räumlichen und personellen Voraussetzungen für inklusiven Unterricht, eine Betreuungsgarantie für Kinder in der Grundschule, der weitere Ausbau von Ganztagsschulen, weitere Anstrengungen bei der Integration von Flüchtlingskindern, die Unterstützung sozial schwacher Auszubildender oder die regelmäßige Erhöhung der Ausbildungsförderung. Das ist eine lange Liste, deren Prioritäten zumindest aus Elternsicht klar sind. Laut einer repräsentativen Allensbach-Umfrage liegt auf Platz eins der Wunsch nach kleineren Klassen, danach folgt die Senkung des Unterrichtsausfalls. Um beide Wünsche zu erfüllen, wären mehr Lehrer nötig. Das wiederum wissen die Finanzminister der Länder zu verhindern. Verwiesen wird zum einen auf den durch die Pisa-Studie nicht erwiesenen Vorteil von kleinen Klassen. Zum anderen haben es die Länder geschafft, keine auch nur annähernd vergleichbaren Statistiken zum Unterrichtsausfall vorzulegen. Allein die Definition des Begriffs unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Vieles hat die Kultusministerkonferenz seit ihrem Bestehen auf den Weg gebracht, aussagekräftige Auskünfte zum Unterrichtsausfall zählen jedoch nicht dazu. Auf diese Weise fehlt für die Diskussion um Unterrichtsaufall eine seriöse Basis. Kultusministerien und Bildungsgewerkschaften liegen sich darüber in den Haaren, seit es Unterrichtsaufall gibt. Neueste Prognosen werden die Bildungs- und Finanzpolitiker indes zum Umdenken zwingen: Eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung sagt unerwartet hohe Schülerzahlen voraus, auf die das Schulsystem bisher nicht vorbereitet ist. An Grundschulen könnten im Jahr 2025 demnach 24.000 Lehrer fehlen, weiterführende Schulen müssten bis zum Jahr 2030 sogar 27.000 zusätzliche Stellen schaffen. Die Kultusministerkonferenz rechnete in einer Prognose vor vier Jahren noch mit einem Absinken der Schülerzahlen. Zwei Gründe für den Boom bei den Schülerzahlen werden genannt: Zum einen würden wieder mehr Kinder geboren, zum anderen wanderten viele junge Menschen ein. Regional fallen die Prognosen freilich sehr unterschiedlich aus. Auf dem Land werden eher nicht viele neue Schulen benötigt, in den Großstädten jedoch umso mehr. Grundlage der Studie war neben den aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes auch die Milupa-Geburtenliste. Das Babynahrungsunternehmen verfügt über Geburtenzahlen aller deutschen Geburtsstationen der Krankenhäuser des Jahres 2016. Dass die Länder über kurz oder lang finanzielle Hilfe des Bundes benötigen, liegt auf der Hand. Noch darf der Bund nur in Ausnahmefällen mit Geld helfen. Das sogenannte Kooperationsverbot soll aber gelockert werden. Es war einmal eingeführt worden, um die Bildungsautonomie der Länder zu sichern. Mittlerweile rücken viele Parteien davon ab: Bildung, so heißt es, sei schließlich eine Gemeinschaftsaufgabe. Belastungen warten auch an anderer Stelle auf das Schulsystem: Die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in den Unterricht, die Inklusion, und die Integration von Flüchtlingskindern bringen manche Schule an ihre Grenzen. Zusätzliches pädagogisches Personal ist nötig, zumal im Ganztagsbetrieb. 2015/16 wurden fast 195.000 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Regelschulen unterrichtet. In den Bundesländern gehen die Inklusionsanstrengungen jedoch weit auseinander. Es fehlt nicht nur an zusätzlichen Pädagogen, sondern auch an Räumen, die individuellen Unterricht und Kleingruppenförderung überhaupt möglich machen. Weiterhin hoch ist die Anzahl der Jugendlichen, die ohne Abschluss die Schule verlassen. Die Abbrecherquote schwankt in Deutschland je nach Stadt und Landkreis zwischen 1,7 und 15,6 Prozent. Insgesamt verließen 2015 bundesweit über 47.000 Jugendliche die Schule ohne Hauptschulabschluss, viele davon mit ausländischem Pass oder Migrationshintergrund. Die Quote liegt in Rheinland-Pfalz bei 6,4 Prozent, der Bundesdurchschnitt sind 5,9 Prozent. Die Chancen, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, sind für diese jungen Menschen schlecht, sie haben folglich weniger Aussicht auf ein Leben unabhängig von staatlichen Leistungen.