Politik Europarat stellt Türkei unter Beobachtung
Strassburg. Mit großer Mehrheit hat gestern die Parlamentarische Versammlung des Europarats dafür gestimmt, ein formales Verfahren gegen die Regierung in Ankara zu eröffnen und das Land wie schon 1996 bis 2004 unter besondere Beobachtung zu stellen.
Der Europarat reagierte damit auf die Verhaftungswelle gegen Regierungsgegner in der Türkei und die Fälschungsvorwürfe nach dem Verfassungsreferendum. Zwei Berichterstatter des Europarats sollen in regelmäßigen Abständen in die Türkei reisen und sich dort über die politische Lage informieren – in Gesprächen mit Regierungsvertretern, Parlamentariern, Oppositionellen sowie Vertretern von Nichtregierungsorganisationen. Für den Beschluss votierten 113 der 170 Delegierten. Das Außenministerium in Ankara wies die Entscheidung mit scharfen Worten als ungerecht zurück. In Europa grassierten Fremdenfeindlichkeit und Islamhass. Der türkischen Regierung bleibe keine andere Wahl, als die Beziehungen zur Parlamentarischen Versammlung des Europarats zu überdenken. Acht Monate nach dem gescheiterten Putschversuch habe sich die Menschenrechtslage in der Türkei deutlich verschlechtert, hieß es in der Entschließung des Europarats. Die Regierung unter Präsident Erdogan nutze den nach dem Putschversuch verhängten Ausnahmezustand, um Oppositionelle einzuschüchtern und Medien mundtot zu machen. Die Versammlung forderte Ankara auf, die Entlassung von 150.000 Beamten, Richtern, Polizisten und Hochschullehrern rückgängig zu machen. Die rund 150 inhaftierten Journalisten müssten auf freien Fuß gesetzt werden. Dasselbe gelte für zwölf Abgeordnete – vor allem Vertreter der prokurdischen HDP –, die seit November inhaftiert seien. Die Entscheidung könnte Einfluss auf die seit 2005 laufenden Verhandlungen über einen Beitritt der Türkei zur EU haben, die schon lange nicht vom Fleck kommen. In der EU mehren sich die Stimmen, die ein Ende der Gespräche fordern. Schon 1996 war die Türkei wegen Foltervorwürfen und anderer Menschenrechtsverletzungen unter verschärfte Beobachtung gestellt worden. Erst nachdem der Europarat 2004 dem Land Fortschritte bescheinigte, wurde der Weg frei für die EU-Beitrittsverhandlungen. Einen Abbruch der Gespräche könnte die EU mit Mehrheit von 16 der 28 Staaten beschließen, sofern diese 65 Prozent der EU-Bürger vertreten. |dpa/epd/ghö