Hintergrund Ein „fantastisches Treffen“ im Oval Office
Boris Johnson nimmt den Zug. Der britische Premierminister ist mit Amtrak von New York nach Washington gereist, um dort im Weißen Haus US-Präsident Joe Biden zu treffen. Der kennt den Zug gut, er ist darin jahrzehntelang zwischen der US-Hauptstadt und seiner Heimat Delaware gependelt: erst als Senator, später als Vizepräsident. Der Brite machte den Trip von der UN-Generalversammlung zu Biden auf der Schiene dem Klima und dem Präsidenten zuliebe. Dem schmeichelt er im Oval Office: Biden sei für die Bahn-Mitarbeiter so etwas wie ein Gott: „Die lieben dich.“
Auch sonst wird der britische Premier bei dem Treffen ziemlich überschwänglich. Das Wort „fantastisch“ bringt er bei den kurzen Eingangsstatements mit Biden gleich drei Mal unter. Dabei sah es zwischenzeitlich so aus, als müsste Johnson bei seinem Besuch im Weißen Haus die Scherben der einst „speziellen Beziehung“ zwischen den USA und Großbritannien aufkehren. Der chaotische Abzug der US-geführten Koalition aus Afghanistan hatte in London Ärger und Unverständnis hervorgerufen. Nun lebt die „special relationship“ wieder auf. Denn vor einer Woche verkündeten Biden und Johnson gemeinsam mit dem australischen Regierungschef Scott Morrison überraschend einen neuen Sicherheitspakt im Indopazifik. Er sieht unter anderem vor, Australien beim Bau von U-Booten mit Nuklearantrieb zu unterstützen. Die Reaktionen: verheerend.
Das Ausland ist empört über den U-Boot-Deal
Frankreich schäumt vor Wut, weil dem Land dadurch ein milliardenschwerer Deal entglitten ist. Andere europäische Staaten und EU-Vertreter fühlen sich ebenfalls vor den Kopf gestoßen und zeigen sich solidarisch mit Paris, auch Deutschland: Außenminister Heiko Maas nannte den Deal „irritierend“. Diplomatische Gespräche und Veranstaltungen wurden abgesagt, die französischen Botschafter vorerst aus den USA und Australien nach Frankreich zurückbeordert. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian schimpfte laut und ganz undiplomatisch über das „brutale“ Vorgehen der Partner, das einem „Dolchstoß“ gleichkomme.
Biden und Johnson erwähnen diese Verwerfungen bei ihrer Zusammenkunft im Weißen Haus nicht. Johnson sagt vielmehr, das neue Bündnis habe das Potenzial, die Sicherheit der ganzen Welt zu verbessern. Beide scheinen entschlossen, bei dem Treffen positive Signale auszusenden.
USA: Kein Interesse an Freihandelsabkommen
Der US-Präsident hatte Johnson schon vorab beglückt: Einen Tag vor dessen Besuch kündigte die US-Regierung an, ab November voll geimpfte Reisende aus Großbritannien, der EU und anderen Staaten wieder ins Land zu lassen. „Fantastisch“, findet Johnson. Wenige Stunden vor dem Treffen verkündete Biden dann, die USA wollten ihre Klimahilfen für ärmere Länder verdoppeln. Johnson dürfte das als Gastgeber der Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow im November Hoffnung geben, dass die Beratungen dort nicht kolossal scheitern. Auch das: „fantastisch“.
Aber: Der US-Präsident hat bislang kein Interesse daran bekundet, ein von Johnson erhofftes Freihandelsabkommen voranzubringen. Der Präsident habe halt viele Baustellen, sagte Johnson dazu vorab fast kleinlaut. Im Oval Office betont der britische Gast dann, man habe dafür an anderer Stelle Fortschritte gemacht, etwa mit Blick auf Strafzölle. Inzwischen sieht es so aus, als hätten die Briten hier bereits die Hoffnung aufgegeben und sähen sich nach Alternativen um: Am Tag nach Johnsons Besuch berichten britische Medien, London strebe nun einen Beitritt zum nordamerikanischen Handelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko an. Zumindest in Handelsfragen sei der Besuch in Washington für Johnson ein Rückschlag gewesen.