Afghanistan Die Taliban – nur auf dem Papier die Schwächeren

In Kabul suchen Vertriebene aus den nördlichen Provinzen Zuflucht in einem öffentlichen Park.
In Kabul suchen Vertriebene aus den nördlichen Provinzen Zuflucht in einem öffentlichen Park.

Im Zuge ihrer militärischen Offensive in Afghanistan haben die Taliban erste Provinzhauptstädte unter ihre Kontrolle gebracht. Die Armee ist den Radikalislamisten zumindest auf dem Papier personell und technisch überlegen.

Personal: Die afghanischen Streitkräfte zählten Ende April mehr als 307.000 Soldaten und Mitarbeiter, darunter Armee, Spezialeinheiten, Luftwaffe, Polizei und Geheimdienste. Diese Zahl geht aus dem Ende Juli veröffentlichten Bericht der US-Generalinspektion für den Wiederaufbau Afghanistans (Sigar) hervor. Für Kampfeinsätze stehen pro Tag rund 180.000 Soldaten zur Verfügung, wie Jonathan Schroden vom Institut für Militärforschung CNA schätzt.

Die Anzahl der afghanischen Spezialkräfte ist offiziell geheim. Nach Informationen aus Sicherheitskreisen gibt es 40.000 Spezialkräfte in der Armee, 8000 bei der Polizei und weitere 8000 in den Geheimdiensten.

Über wie viele Kämpfer die Taliban verfügen, ist hingegen nicht genau bekannt. Nach Beobachtungen des UN-Sicherheitsrates zählte die radikalislamische Miliz im vergangenen Jahr zwischen 55.000 und 85.000 Kämpfer.

Finanzierung: Finanzielle Hilfe aus dem Ausland ist für Afghanistan, das zu den ärmsten Ländern der Welt zählt, von zentraler Bedeutung. Pro Jahr benötigen die Streitkräfte nach Angaben des Wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongresses fünf bis sechs Milliarden Dollar. Washington übernahm bislang rund 75 Prozent der Kosten und hat auch für die Zukunft Unterstützung versprochen.

Die Finanzlage der Taliban ist unklar. Ihre Einnahmen werden nach UN-Angaben auf 300 Millionen bis 1,5 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt, die sie unter anderem durch Rauschgiftproduktion, Erpressung von Unternehmen und andere kriminelle Geschäfte erzielen. In den von ihnen kontrollierten Gebieten treiben sie UN-Beobachtern zufolge Steuern ein.

„Auf Grundlage verfügbarer Informationen... ist es klar, dass die Taliban keine Probleme mit Rekrutierung, Finanzierung, Waffen oder Munition haben“, erklären die UN-Beobachter. Die Regierungen in Kabul und Washington werfen Pakistan, Iran und Russland vor, die Taliban auszurüsten und ihnen beratend zur Seite zu stehen. Alle drei Länder weisen die Vorwürfe zurück.

Waffen und Ausrüstung: Die USA haben nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 Milliarden Dollar für die Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Armee ausgegeben. Die afghanischen Truppen sind technologisch besser ausgerüstet als die Taliban, sie verfügen über eine breite Auswahl im Westen produzierter Waffen, darunter moderne Sturmgewehre, Nachtsichtgeräte, gepanzerte Fahrzeuge, Artillerie und kleine Überwachungsdrohnen. Im Gegensatz zu den Taliban verfügt die Armee zudem über eine Luftwaffe, zu der laut Sigar 167 Flugzeuge und Hubschrauber gehören.

Die Taliban hingegen nutzen überwiegend Handfeuerwaffen und Kleinwaffen, mit denen Afghanistan in jahrzehntelangen Konflikten praktisch überschwemmt wurde, wie etwa das Kalaschnikow-Sturmgewehr vom Typ AK-47. Neben Scharfschützengewehren und Maschinengewehren setzen die Aufständischen auch Panzerfäuste, Granatwerfer und andere kleine Raketen ein.

Zu den tödlichsten Waffen der Taliban gegen afghanische und ausländische Truppen zählten lange Zeit Selbstmordattentäter und Sprengsätze. Eingesetzt werden aber auch Waffen und Ausrüstungsgegenstände, welche die Taliban der afghanischen Armee gestohlen haben, wie Nachtsichtgeräte, Sturmgewehre und Fahrzeuge.

Zusammenhalt und Kampfgeist: Das Vertrauen der afghanischen Truppen wurde über Jahre strapaziert durch hohe Opferzahlen, Korruption, Fahnenflucht und nun den Abzug der ausländischen Truppen sowie das Ende der Unterstützung durch die USA. Schlechte Planung und Führung wurden ebenfalls für den schwachen Kampfgeist verantwortlich gemacht.

Die Taliban haben hingegen einen stärkeren Zusammenhalt gezeigt, trotz Berichten über interne Spaltungen in den vergangenen Jahren. Experten sehen als Gründe dafür den religiösen Eifer und die Aussicht auf materielle Gewinne.

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