Politik Die Grünen geben sich als die Partei der Vernunft

Acht Tage vor der Wahl in Hessen lautet die Frage auf einmal nicht mehr: Wer wird Ministerpräsident – Volker Bouffier (CDU) oder Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD)? Sondern: Könnte der zukünftige Ministerpräsident vielleicht Tarek al-Wazir heißen? Er ist der grüne Spitzenkandidat.

Wenn er auf die Möglichkeit, Ministerpräsident in Hessen zu werden, angesprochen wird, schaut der amtierende stellvertretende Ministerpräsident und Wirtschaftsminister al-Wazir reichlich unbehaglich drein. „Wegen einer Umfrage lasse ich mich jetzt nicht verrückt machen“, sagt er. Es gebe viele Umfragen, die Ergebnisse seien uneinheitlich. Die Grünen seien die „Partei der Vernunft“, man setze auf eigene Stärke, alles andere werde man sehen. Es war das ZDF-Politikbarometer, der am Donnerstag ein mittleres Erdbeben in Hessen auslöste: 22 Prozent der Befragten sprachen sich da für die Grünen aus. Damit lagen die Grünen auf dem zweiten Platz, knapp vor der SPD. Die Sozialdemokraten kamen nur noch auf 20 Prozent, die CDU erreichte magere 26 Prozent. Bei einem solchen Ergebnis würde auch eine große Koalition keine Mehrheit in Hessen haben. Tatsächlich sah der „Hessentrend“ des Hessischen Rundfunks noch am gleichen Abend die SPD wieder an zweiter Stelle. Doch die Grünen mit ihren 20 Prozent lagen auf Augenhöhe mit den Sozialdemokraten, für die sich 21 Prozent der Befragten aussprachen. „Ich werde dafür kämpfen, dass Al-Wazir der Ministerpräsident der Herzen bleibt“, lautete denn auch prompt die ironische Ansage des FDP-Spitzenkandidaten Réné Rock. Herz statt Ministerpräsidentensessel. Die FDP will unbedingt in Wiesbaden mitregieren, sie präferiert ein Bündnis mit der CDU. Weil ein Zusammengehen aber für die Mehrheit wohl nicht reichen wird, sei „Jamaika“ – also Schwarz-Grün-Gelb – eine wahrscheinliche Option, sagt Rock. Volker Bouffier, der amtierende Ministerpräsident, gerät da fast schon ins Abseits. „Die Parteien, die an der Groko in Berlin beteiligt sind, haben starken Gegenwind“, räumt er ein. Er wirkt ein wenig ratlos: „Hessen läuft eigentlich gut, wir müssten mehr Zuspruch haben.“ Nach 19 Jahren Regierungsbeteiligung befindet sich Bouffiers CDU seit Wochen im Sinkflug. Durch die Bayernwahl wurde diese Tendenz verstärkt. 26 Prozent! Die Sorgenfalten im Gesicht des hessischen Ministerpräsidenten werden tiefer und tiefer. Auch Bouffiers Herausforderer Schäfer-Gümbel weist mit dem Finger auf Berlin. Die Umfragen seien geprägt „von der allgemeinen Verunsicherung“ und dem Zustand der Berliner Koalition, analysiert der SPD-Politiker. Die Vertrauenskrise speise sich daraus, dass dort „zu viel gelabert und zu wenig getan wird“. Schäfer-Gümbel betont: „Ich will das anders machen.“ Wo immer er auftritt, betet der Sozialdemokrat seine Themen herunter, denen er sich widmen will: Kampf gegen Wohnungsnot, niedrigere Mieten, gute Bildung. Die Grünen plakatieren sich derweil als Alternative zur Groko in Berlin. Die Grünen hätten ihren Wahlkampf rund um die Frage nach Gestaltung statt um Populismus gebaut, sagt der 47-jährige Tarek Al-Wazir, der Wurzeln in Jemen hat. Man stehe für eine freie, offene und vielfältige Gesellschaft – und für eine ambitionierte Klimaschutzpolitik sowieso. In fünf Jahren Mitregierung hätten die Grünen bewiesen, dass sie ihre langfristigen Ziele Schritt für Schritt erreichten. Das, sagt Al-Wazir, honorierten die Hessen. „Wir sind nicht Kräuter auf dem Essen, sondern: das Essen.“ Leitartikel

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