Kalender Deutschland erkennt Slowenien und Kroatien als Staaten an

Das Leiden der Zivilbevölkerung: Eine Frau im Oktober 1991 in ihrem zerstörten Haus nahe der kroatischen Stadt Vukovar.
Das Leiden der Zivilbevölkerung: Eine Frau im Oktober 1991 in ihrem zerstörten Haus nahe der kroatischen Stadt Vukovar.

Anfang der 90er Jahre zerfällt Jugoslawien und es kommt zu blutigen Bürgerkriegen. Hat daran auch eine Entscheidung der Bundesregierung einen gewissen Anteil – oder ist es falsch, von einer deutschen Sonderrolle zu sprechen?

Ein plausibler Grund für die Eile ist bis heute nicht zu erkennen. Aber einen Tag vor Weihnachten 1991 musste plötzlich alles ganz schnell gehen. Am 23. Dezember trat das Bundeskabinett in Bonn zusammen. Der Ministerrat mit Kanzler Helmut Kohl an der Spitze erkannte Kroatien und Slowenien als eigenständige, unabhängige Staaten an. Damit war die Auflösung des Vielvölkerstaates Jugoslawien auch politisch-diplomatisch besiegelt.

Ein folgenreicher Beschluss. Denn fortan waberten wieder die Dämonen der deutschen Nazi-Vergangenheit durch die politische Debatte Europas.

Viele Fragen

War der Kabinettsbeschluss ein Alleingang der Bundesrepublik, aus angeblich alter Verbundenheit der Deutschen mit den Nachfolgern der faschistisch-kroatischen Ustaša-Bewegung? Hat das Vorpreschen das Blutvergießen auf dem Balkan erst so richtig entfacht? War der damalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher tatsächlich der „Hauptkriminelle bei der Zerstörung Jugoslawiens“, wie es der frühere serbische Präsident Slobodan Milosevic vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag erklärt hatte? Oder hat die Bundesrepublik lediglich politisch-diplomatisch vollzogen, was in Brüssel auf Ebene der Europäischen Gemeinschaft bereits beschlossen und vor Ort auf dem Balkan in Wahrheit längst vollzogen war?

Denn geschossen wurde auf dem Balkan schon länger. Nach den jeweiligen Unabhängigkeitserklärungen von Slowenien und Kroatien am 25. Juni 1991 begannen zunächst die Kämpfe zwischen der Jugoslawischen Volksarmee und der slowenischen Territorialverteidigung. Der kriegerische Konflikt dauerte zehn Tage. Er wurde durch ein Abkommen beendet.

Weitere Konflikte folgten

Auch in Kroatien wurde es nach der Unabhängigkeitserklärung blutig. Der Krieg mit Tausenden Toten und Massenvertreibungen dauerte bis 1995. Es sollten weitere Konflikte folgen – in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo, das, wie die Vojvodina, damals noch eine autonome Provinz Serbiens war. In den 90ern des vorigen Jahrhunderts brannte es auf dem Balkan also lichterloh. Jugoslawien zerfiel. Die blutige Scheidung der Teilrepubliken Slowenien, Kroatien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Serbien zog sich hin bis 1999.

Hat die deutsche Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens heute vor 19 Jahren tatsächlich das Blutvergießen befördert? Das wird sich letztlich vermutlich nie klären lassen. Aber der damalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) hat sich stets kategorisch gegen diese Geschichtsdeutung gewehrt.

Die Entscheidung

Unter anderem mit folgendem Hinweis auf die zeitlichen Abläufe: Demnach hatten sich am 17. Dezember 1991 die Außenminister der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) nach stundenlangen Beratungen bis in die Morgenstunden einstimmig darauf verständigt, am 15. Januar 1992 Kroatien und Slowenien als eigenständige, unabhängige Staat anzuerkennen. „Das Kabinett bestätigte den Beschluss zur Anerkennung zum 15. Januar 1992. Von einer Sonderrolle Deutschlands kann also nicht die Rede sein“, sagte Genscher im Dezember 2011 gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Zuvor schon, im Juni 2011, hatte Genscher der „Deutschen Welle“ gesagt: „Die Entscheidung zur Anerkennung trafen wir am 23. Dezember, aber sie ist erst zum 15. Januar 1992 in Kraft getreten. Zu diesem Zeitpunkt haben auch alle anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft die beiden Staaten anerkannt.“

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