Scholz und Merkel Deutsches Duett beim G20-Gipfel

Auch zum Gespräch mit US-Präsident Joe Biden (links) am Rande des G20-Gipfels nahm Kanzlerin Angela Merkel Olaf Scholz mit.
Auch zum Gespräch mit US-Präsident Joe Biden (links) am Rande des G20-Gipfels nahm Kanzlerin Angela Merkel Olaf Scholz mit.

Kanzlerin Merkel verabschiedet sich vom internationalen Parkett. Das G20-Treffen in Rom nutzt sie als Vorstellungsrunde für ihren mutmaßlichen Nachfolger Olaf Scholz, mit dem sie sichtlich harmoniert. In Washington muss dessen Name aber wohl erst noch bekannter werden.

Angela Merkel nimmt nach 16 Jahren Abschied von der Weltbühne – die Kanzlerin hat sich entschieden, dies beim G20-Gipfel in Rom mit einer ungewöhnlichen Geste zu tun. Ob beim kurzen Treffen mit US-Präsident Joe Biden am Rande der Arbeitssitzungen, den Gesprächen zum Atomstreit mit dem Iran oder den Beratungen mit einem so schwierigen Partner wie dem Türken Recep Tayyip Erdogan: Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ist beim Gipfel der großen Industrieländer (G20) in Rom am Wochenende immer an ihrer Seite.

Dass der Finanzminister die Kanzlerin zu G20-Beratungen begleitet, ist Usus. Scholz war mit der CDU-Politikerin zu dieser Gelegenheit etwa 2019 beim damaligen US-Präsidenten Donald Trump und ein anderes Mal schon bei Erdogan. Doch diesmal ist es ein besonderer Gipfel: Der SPD-Mann dürfte bald Merkels Nachfolger im Kanzleramt werden. Scholz verhandelt mit Grünen und FDP über eine Ampel-Regierung. Gut möglich, dass er wie geplant schon in der Nikolaus-Woche Anfang Dezember im Bundestag zum nächsten Kanzler gewählt wird.

Auch Merkel scheint daran kaum noch Zweifel zu haben. Wer die Kanzlerin und Scholz in Rom gemeinsam erlebt, kann den Eindruck bekommen, dass sich die beiden tatsächlich blendend verstehen.

Zu zweit bei Biden

Während der Arbeitssitzungen ist Merkels Platz zwischen dem Franzosen Emmanuel Macron und dem Inder Narendra Modi. Sie muss sich nur umdrehen, dann kann sich die Kanzlerin mit Scholz abstimmen. Er sitzt am ovalen Tisch genau hinter ihr. Beobachtet man eine Szene vor der ersten Arbeitssitzung am Samstag, hat man das Gefühl, es redeten enge Vertraute miteinander. Merkel steht da mit Scholz, ihrem Gipfel-Sherpa Lars-Hendrik Röller und Scholz’ Staatssekretär Wolfgang Schmidt sehr entspannt zusammen.

Beim wichtigsten bilateralen Treffen von Merkel und Scholz, dem mit US-Präsident Joe Biden, sind alle drei auf Augenhöhe zu sehen. Biden und Scholz sitzen sich im Vordergrund links und rechts am Tisch gegenüber, sie sind die auch in Zukunft handelnden Akteure. Die scheidende Kanzlerin ist ziemlich entspannt und leicht zurückgesetzt in der Mitte am Kopfende platziert. Die Bildsprache dürfte nicht zufällig gewählt sein.

Merkel kann gut schlafen

Die Kanzlerin will ihr Vermächtnis in guten Händen wissen. Wenn es schon nicht gelingt, das Kanzleramt wie gewünscht an die Union zu übergeben, soll es wenigstens an einen Mann ihres Vertrauens gehen. In Rom jedenfalls lässt Merkel kaum einen Zweifel, dass Scholz für sie in diese Kategorie passt.

Schon eine Woche vor dem Gipfel hatte sie in einem großen Interview der „Süddeutschen Zeitung“ deutlich gemacht, sie sehe dem Machtwechsel im Kanzleramt entspannt und selbstbewusst entgegen. „Ich weiß, was wir geschafft haben in den Regierungen, die ich geführt habe.“ Auf die Frage, ob sie überhaupt ruhig schlafen könne bei der Vorstellung, dass künftig wieder ein Sozialdemokrat dieses Land regiere, sagt sie „Ja“. Und damit das auch jeder versteht, ergänzte sie noch: „Es wird politische Unterschiede geben, das ist ja ganz selbstverständlich. Aber ich kann ruhig schlafen.“

Nicken als Bestätigung

Merkel und Scholz scheinen vom Typ her nicht unähnlich, bei allen politischen Unterschieden, die es zwischen der Christdemokratin und dem Sozialdemokraten nicht nur in puncto gemeinsamer EU-Schulden tatsächlich gibt. Bei ihrem Duett in Rom wirkt es so, als habe Scholz nicht nur aus Wahlkampfkalkül auf einem Foto für das „SZ“-Magazin die mit den Händen geformte weltbekannte Merkel-Raute nachgestellt. Merkel nickt Scholz bei dessen Analysen häufig zu. Der SPD-Mann tut es mindestens genauso oft umgekehrt, wenn die Kanzlerin sich äußert.

Eine der Hauptbotschaften von Merkel und Scholz an die Partner dieser Welt und wohl auch an die Menschen zu Hause soll es sein, Kontinuität zu demonstrieren. Das war schon vorher klar. Wie deutlich das dann aber tatsächlich passierte, darf schon als Überraschung gelten.

Scholz weicht Frage aus

Merkel lobt die zuletzt lange federführend von Scholz vorangetriebene Einigung auf eine globale Unternehmenssteuer gleich bei mehreren Gelegenheiten als großen Verdienst ihres Finanzministers. Der genießt die Anerkennung ohne Triumphgebaren. Weltweite Corona-Bekämpfung, Klimaschutz, Wirtschaft – natürlich gibt es Unterschiede zwischen den beiden. Aber auch viel Gemeinsames. Das scheint die CDU-Politikerin zu beruhigen.

Die Kanzlerin und ihr Nachfolger in spe ticken offenbar ähnlich: ruhig, unaufgeregt und überlegt in der Herangehensweise. Ihren Segen habe Scholz für die künftigen Aufgaben nicht nötig, bemerkt Merkel irgendwann am Rande in Rom. Schließlich habe man viele Jahre gut zusammengearbeitet.

Bei der gemeinsamen Abschluss-Pressekonferenz macht Merkel noch mal ohne Umschweife klar, der Gipfel sei eine gute Gelegenheit gewesen, „gemeinsam aufzutreten und darauf hinzuweisen, dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass Herr Scholz der nächste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ist“. Sicherheitshalber schiebt sie dann aber doch noch hinterher: Allen sei klar gewesen, „dass der Bundeskanzler nicht von Frau Merkel durch Mitgesprächsteilnahme ausgewählt wird in Deutschland, sondern dass er vom Deutschen Bundestag gewählt wird“.

Scholz’ Name falsch geschrieben

Scholz weicht bei der Gelegenheit der Antwort auf die Frage aus, wie viel Merkel denn nun in ihm stecke. Der SPD-Spitzenkandidat gibt sich lieber schon staatsmännisch, versichert den internationalen Partnern Kontinuität unter seiner Führung. Er spüre überall den Wunsch, dass Deutschland einen tatkräftigen Beitrag leiste, „dass das auch funktioniert mit einer besseren Union in Europa“. Dies könnten „alle zu Recht erwarten. So soll es auch sein.“ Auch das wird der überzeugten Europäerin Merkel gefallen haben.

Dass Scholz in der US-Regierung noch nicht ganz so bekannt zu sein scheint, dürfte der SPD-Kanzleraspirant ganz gut verschmerzen können. In einer Mitteilung des Weißen Hauses zum Treffen über die Zukunft des Atomabkommens mit dem Iran am Samstag taucht er als Olaf Schulz statt Scholz auf – bis die Amerikaner den Schreibfehler entdecken und zweieinhalb Stunden später nüchtern korrigieren. Die Amerikaner werden ihn schon bald besser kennenlernen, mag Scholz denken: beim Antrittsbesuch bei Biden im Oval Office in Washington.

x