Politik Der Kampf um den Wald

Polizisten versuchen mit einem Hubwagen, an einen Umweltaktivisten im Baum zu kommen.
Polizisten versuchen mit einem Hubwagen, an einen Umweltaktivisten im Baum zu kommen.

Der nordrhein-westfälische Innenminister wirkt alarmiert. „Diese Pseudo-Umweltschützer wollen nicht Bäume retten, sondern unseren Staat abschaffen“, schimpft Herbert Reul. Dem 64-jährigen CDU-Politiker steht in den kommenden Tagen und Wochen der schwerste Polizeieinsatz seiner bisherigen Karriere bevor. Militante Umweltaktivisten, darunter etwa 100 Waldbesetzer, wollen die Rodung des 12.000 Jahre alten Hambacher Forstes im rheinischen Braunkohlerevier unbedingt verhindern. Gestern hat ein massives Polizeiaufgebot mit der Räumung begonnen. Die Besetzer haben sich teilweise schon seit Jahren in etwa 60 Baumhäusern verschanzt, um den Vormarsch der riesigen Braunkohlebagger zu stoppen. Bei der Räumung werden die mit schwerem Gerät und Luftkissen angerückten Einheiten der Polizei offenkundig von erfahrenen Höhlenkletterern aus ganz Deutschland und Österreich unterstützt. Die Grünen werfen der schwarz-gelben Landesregierung eine „unverantwortliche Provokation“ vor. Kirchen und Naturschutzverbände beklagen unisono „einen unnötigen Eskalationskurs“. Doch die Landesregierung verteidigt ihr Vorgehen gegen die Waldbesetzer. „Sie wollen aus Hambach ein zweites Hamburg machen“, befürchtet Reul. Beim Hamburger G-20-Gipfel kam es zu blutigen Straßenkämpfen zwischen Krawall-Touristen und Polizisten. Vermummte Anarchos plünderten Lebensmittelläden, Autos und Barrikaden gingen in Flammen auf, Polizeitrupps wurden mit Steinen und Molotowcocktails beworfen. Ist nun ein Waldstück im Städtedreieck zwischen Köln, Mönchengladbach und Aachen der neue Kampfplatz dieser Republik? Hier wollen die Aktivisten den Ausstieg aus dem „Klimakiller Braunkohle“ erzwingen. Bereits seit 40 Jahren fressen sich im Tagebau Hambach über 200 Meter lange Baggerungetüme des Energiekonzerns RWE durch die Landschaft. Bis heute wurden ein Großteil des Waldes abgeholzt und zig Millionen Tonnen Braunkohle gefördert. Nun sollen auch die restlichen zehn Prozent des Hambacher Mischwaldes den gefräßigen Schaufelradbaggern weichen. Während Bürger aus der Region gegen den Verlust ihrer Heimat friedlich aufbegehren, organisiert eine in Baumhäusern verschanzte Waldbesetzerszene von mehr als 100 Personen den Widerstand im Unterholz. Dabei wird den Militanten eine Menge zugetraut. In dem besetzten Wald seien von der Polizei „ausgeklügelte Tunnelsysteme“ entdeckt worden, berichtete die „Rheinische Post“. Doch das NRW-Innenministerium dementierte energisch. Dennoch hat sich die Polizei darauf eingestellt, dass sie bei der Räumung und den ab Mitte Oktober geplanten Rodungen nicht nur auf den gewaltfreien Widerstand von Heimatfreunden und Umweltidealisten treffen wird. Die friedliche Protestszene ist nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden zwischenzeitlich erfolgreich von „mit Schleudern und Zwillen bewaffneten Öko-Terroristen“ unterwandert worden. Unmittelbar nach Beginn der Räumungsaktion rief die „Aktion Unterholz“ zu neuen Protestaktionen im Hambacher Forst und zu „massenhaftem zivilen Ungehorsam“ auf. Die „Interventionistische Linke“, die Strippen bei den Protestaktionen zum Hamburger G-20-Gipfel gezogen hatte, hat die rheinische Braunkohle-Provinz rund um die verschlafene Ortschaft Buir zum „Endkampf gegen das System“ auserkoren. Gewalttätige Aktivisten werden nach den Beobachtungen des Verfassungsschutzes gegenwärtig in Skandinavien, Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz mobilisiert. „Kapitalismus abschaffen – Staaten überwinden – Anarchismus organisieren“, lauten die Parolen. An den Baumhäusern, die zum Teil mit einer kompletten Küchenzeile und Solarheizungen ausgestattet sind, flattern auf Bannern martialische Kampfansagen: „Barrikaden errichten – RWE vernichten“ oder „Zählt nicht die Baumhäuser, sondern eure Tage.“ In mehrtägigen „Skillsharingcamps“ am Rande des Hambacher Forstes werden die Ökoaktivisten im „Stockkampf“ ebenso trainiert wie in der „Laienverteidigung vor Gericht“. „Ich kann mir kein noch so gutes Ziel vorstellen, das rechtfertigen könnte, mit Zwillen Stahlmuttern auf Polizisten zu schleudern“, sagt Innenminister Reul. In den vergangenen Monaten seien im Hambacher Forst ganze Arsenale von Bombenattrappen, Pyrotechnik, Molotowcocktails und Steinschleudern sichergestellt worden. Immer wieder sollen Polizisten und RWE-Mitarbeiter bei den Vorarbeiten zur Rodung mit Leuchtraketen, Steinen und Kot beworfen worden sein. Die Rechtslage in Hambach sei „ziemlich einfach“, urteilt Reul. Erst 2016 hatte die rot-grüne Vorgängerregierung in NRW eine neue Leitentscheidung für das rheinische Braunkohlerevier verabschiedet. Der Tagebau Garzweiler II wurde um ein Fünftel verkleinert, während RWE gleichzeitig die Zusicherung erhielt, das Hambacher Abbaugebiet komplett auskohlen zu können. Bei den 70 Meter dicken Kohleflözen unter dem Forst ist das für den Energiekonzern ein gutes Geschäft. Etwa 15 Prozent des Stroms in Nordrhein-Westfalen wird laut RWE aus Hambach-Kohle erzeugt. Dies ist nach den Berechnungen des Unternehmens Strom für landesweit jede siebte Glühbirne. Der RWE-Konzern sei Eigentümer des Hambacher Forstes und habe das Recht zu roden, sagt Reul. Politisch und gerichtlich sei dies so entschieden. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) fühlt sich „gebunden“ an den Beschluss der Vorgängerregierung. Auch SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty steht uneingeschränkt zu der damaligen Entscheidung der Landesregierung, der er als Justizminister angehört hatte: „RWE hat eine gültige Rodungsgenehmigung.“ Die Grünen wiederum begehren auf, obwohl ihre damaligen drei Landesminister das Todesurteil für den Hambacher Forst vor zwei Jahren am Kabinettstisch mitbeschlossen hatten. Während die grüne Parteijugend zu einer „Tanzdemo“ unter dem Motto „Bagger wegbassen“ am Tagebaugebiet aufruft, haben die Grünen ihren nächsten Parteirat eilig in den Hambacher Forst verlegt. Die Landesvorsitzende der NRW-Grünen Mona Neubaur verlangt ein „Abholz-Moratorium“ für den Wald, bis sich die Kohlekommission in Berlin auf „einen Weg zum Ausstieg aus dem Klimakiller Braunkohle“ verständigt habe. Eindeutig distanziert sich die Grünen-Chefin von den militanten Waldbesetzern: „Gewalt ist kein Mittel der Auseinandersetzung.“ Die gestern begonnene Räumung wird derweil mit Verstößen gegen Brandschutz und Baurecht begründet. Und so steht Joachim Schwister, Baudezernent der Stadt Kerpen, im Hambacher Forst und spricht in ein Megafon: „Die Baumhäuser verfügen nicht über erforderliche Rettungswege“, sagt er. Sie seien unverzüglich zu räumen. Auch der Brandschutz sei ein Problem. „Bitte nehmen Sie beim Verlassen der Baumhäuser Ihre persönlichen Gegenstände mit.“ Die Gegenseite reagiert mit Gelächter.

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