Politik Der alte Streit um die neue Flüchtlingspolitik

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will mehr Flüchtlinge an der Grenze abweisen – und gerät darüber in einen Streit mit Kanzlerin Angela Merkel. Die Fronten sind verhärtet.

Merkel gegen Seehofer, Seehofer gegen Merkel. Die sechste Runde ist eingeläutet im alten Streit der Unionsgranden. Oder ist es schon die achte? Egal. Grund des Streits sind die Flüchtlinge. Die Auseinandersetzung ist am Montag neu entflammt. Was ein bisschen seltsam ist, weil CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vor über einer Woche schon in einer Berliner Journalistenrunde öffentlich erklärt hatte, was Bundesinnenminister Horst Seehofer vorhat. Aufregung damals? Keine. Es hat wohl eine Weile gedauert, bis die Pläne ins Kanzleramt durchgesickert sind. Und selbst gestern noch konnte der Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer von CDU/CSU, Michael Grosse-Brömer (CDU), keine Bewertung abgeben. Er wusste nicht recht, „welcher Personenkreis betroffen sein soll“. Auch Koalitionspartner SPD kennt Seehofers Plan nicht, wie Parteichefin Andreas Nahles gestern Nachmittag bekannte. Welcher Personenkreis ist betroffen? Seehofer will künftig Flüchtlinge an der deutschen Grenze abweisen, die bereits im Eurodac-System registriert sind. Eurodac ist ein europäisches Identifikationssystem. Reist ein Asylsuchender in ein EU-Land ein, wird er dort registriert. In der Datei werden beispielsweise Fingerabdrücke, Geschlecht des Antragstellers sowie Ort und Zeitpunkt der Antragstellung auf Schutz gespeichert. Reist ein Flüchtling weiter nach Deutschland und ersucht hierzulande Asyl, wird zunächst Eurodac befragt. Ist der Schutzsuchende bereits registriert? Ist das der Fall, soll er nach den Plänen Seehofers an der Grenze abgewiesen und für das Asylverfahren in das EU-Land zurückgeschickt werden, in dem er registriert wurde. So weit die Theorie. Allerdings hat sich, so ganz nebenbei, im Zuge des Merkel/Seehofer-Konfliktes herausgestellt: Nach wie vor wird offenbar nur eine Minderheit der Flüchtlinge im Ankunftsland registriert. Denn nach Angaben Dobrindts rechnet das Bundesinnenministerium damit, dass rund ein Drittel der Ankommenden abgewiesen werden kann. Der Rest werde über die Grenze gelassen – künftig direkt ins Ankerzentrum. Unter anderem deshalb, weil die meisten Flüchtlinge im Eurodac-System gar nicht registriert sind. In den ersten vier Monaten dieses Jahres haben knapp 50.000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt. Seehofer beruft sich bei seinen Abweisungsplänen auf das sogenannte Dublin-Abkommen. Das besagt, dass das Asylverfahren in dem EU-Land durchgeführt werden soll, in dem der Ankommende europäischen Boden betreten hat. Während Seehofer also zu nationalen Instrumenten greift, „damit sich das Jahr 2015 nicht wiederholt“, setzt Angela Merkel auf europäische Regelungen. Die Kanzlerin befürchtet folgendes: Werden Flüchtlinge an den deutschen Grenzen abgewiesen, bekäme beispielsweise Österreich ein Problem. Die Nachbarn müssten diese Schutzsuchenden dann ins europäische Ankunftsland bringen. Letzten Endes würden erneut Italien und Griechenland zu Sammelstellen für Flüchtlinge, weil die solidarische Verteilung der Gestrandeten auf alle EU-Länder nicht funktioniere. Im Übrigen verweist Merkel auf Europarecht. Denn der oft zitierte Grundsatz aus der Dublin-Verordnung, wonach das Asylverfahren dort durchgeführt werden müsse, wo der Flüchtling angekommen sei, gelte nicht in jedem Fall. Beispielsweise dann nicht, wenn sich Familienmitglieder eines Asylsuchenden in verschieden EU-Ländern aufhalten. Welches Land in diesen Fällen für das Asylverfahren zuständig ist, müsse nach Europarecht zunächst geprüft werden. Schon aus dem Grund sei es nicht möglich, im Eurodac-System Registrierte einfach abzuweisen. Dobrindt sieht das anders. Er beruft sich dabei unter anderem auf die Praxis in Frankreich. Der westliche Nachbar habe im vergangenen Jahr 85.000 Menschen an der Grenze abgewiesen. Dobrindt weiß ferner die gesamte CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag einhellig hinter Seehofer. Auch im CDU-Teil der Unionsfraktion klatschten nicht wenige Beifall für Seehofers Vorstoß. Dobrindt grimmig: „Das ist eben eine streitige Auseinandersetzung.“

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