Politik Berliner Grünen-Parteitag soll die Wende bringen

Umfragetief, mäßige Wahlergebnisse – den Grünen geht es gerade nicht so gut. Der Berliner Wahlparteitag soll die Wende bringen. Die grüne Inszenierung soll Lust zum Aufbruch erzeugen, die Sympathisanten in den Kampfmodus versetzen und Geschlossenheit demonstrieren. Dafür wird sogar die alte Kämpferin Claudia Roth eingespannt. Und Winfried Kretschmann ist lammfromm und flüchtet sich ins Ungefähre.

Faszinierend sieht sie aus, die Erdkugel. Blau, mit grünen und weißen Einsprengseln, vor dunklem Hintergrund, einzigartig – und verletzlich. Schon damals war das so, Weihnachten 1968, als die Besatzung der Apollo-8-Mission das Foto von der Mondumlaufbahn aus aufgenommen hat. Einer der Astronauten soll ausgerufen haben: „Oh my God. Look at that!“ („Oh mein Gott, sieh dir das an!“). Nun prangt das Foto, fast 50 Jahre später, auf einer großen Videoleinwand beim Grünen-Parteitag in Berlin. Darunter, am Rednerpult, steht die Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt. Ästhetik kann politisch sein. In diesem Fall soll sie es sogar. Göring-Eckardt kleidet ihre Botschaft in diese Worte: „… und die Zukunft dieser schönen Erde – und all ihrer Bewohner – steht auf dem Spiel, liebe Freundinnen und Freunde. Wir haben diese Partei vor allem mit einem Ziel gegründet: Weil wir diesen Planeten schützen wollen!“ Die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten – das ist der Sound, mit dem die Grünen ihren Wahlkampf 2017 bestreiten wollen. Sie tragen dick auf. Müssen sie vielleicht auch. Denn die Grünen müssen erkennbar werden in dem Elefantenrennen zwischen Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD). Während die CDU-Chefin auffallend häufig auf der internationalen Bühne spielt (bald G-20-Gipfel in Hamburg, Besuch beim Papst, bei Trump, Erdogan, Putin, in Europa), singt der SPD-Herausforderer das garstige Lied von der sozialen Ungerechtigkeit. Da müssen andere, gelegentlich auch radikale Töne angeschlagen werden, um durchzudringen. Zumal laut jüngstem „Deutschlandtrend“ 57 Prozent der Befragten die Grünen als nicht mehr so wichtig erachten. Das Klima ist also das harte Thema für die Wahlauseinandersetzung. Aber wer die Herzen gewinnen will, muss auch weiche Faktoren bedienen. Die da lauten: Lust zum Aufbruch erzeugen, die Anhängerschaft in den Kampfmodus versetzen, Geschlossenheit zeigen. Lust zum Aufbruch. Diesen Ton setzt Göring-Eckardt schon im Gespräch mit Journalisten wenige Stunden vor dem Parteitag. Sie spricht von einer „motivierten Partei“, einer, „die Lust hat“. Sie freue sich „total, die nächsten drei Tage mit Ihnen in der Halle zu verbringen“ – was man halt so sagt, um Stimmung zu machen. Der südpfälzische Grünen-Bundestagsabgeordnete Tobias Lindner will diesen Geist auch an anderer Stelle erkennen: „Das Wahlprogramm soll diejenigen ansprechen, die Lust an Veränderung und Gestaltung haben.“ Der zweite Spitzenkandidat, Cem Özdemir, ruft den Delegierten zu: „Wir wollen gestalten. Wir wollen Deutschland ins nächste Jahrtausend führen … Wir glauben an die Kraft von Ideen. Wir sehen Chancen, wo andere ausschließlich Gefahren entdecken.“ Oder Fraktionschef Anton Hofreiter: Die Grünen wollten regieren, „nicht wegen der verdammten Dienstwagen, aber wir wollen regieren, um die Welt zu verändern.“ Die Anhänger in den Kampfmodus versetzen. Claudia Roth steht nicht mehr in der ersten Reihe der Grünen. Schon das Amt als Vize-Präsidentin des Bundestages legt ihr parteipolitische Zurückhaltung auf. Aber beim Parteitag im Berliner Velodrom, da ist sie unter ihresgleichen. Da kann sie ganz Einpeitscherin sein. Und sie kann es noch, die Claudia. In ihrer Rede fällt der Satz „Wir sind unverzichtbar!“ so und in Abwandlungen oft, in der ersten Minute gleich fünf Mal. Michael Kellner, der politische Geschäftsführer, ruft zur Teilnahme an Demonstrationen gegen den G-20-Gipfel am 7. und 8. Juli in Hamburg auf. Das hört sich nach altem Kampf und widerständiger Auseinandersetzung an, das kommt an. Geschlossenheit zeigen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist mit seiner Partei gelegentlich über Kreuz. Im Wahlkampf 2013 zog er gegen die grünen Steuerpläne zu Felde. Als Regierungschef eines Autolandes hätte er 2017 Gründe, seiner Partei zu zürnen. Denn Kretschmann wird den Autobossen nun erklären müssen, warum die Grünen ab 2030 keine Autos mehr vom Band rollen lassen wollen, die Schadstoffe ausstoßen. Doch Kretschmann ist lammfromm. Oder besser: Er mäandert im Ungefähren. Kretschmann sagt grün-korrekt: „Das Auto der Zukunft fährt emissionsfrei und autonom, es wird geteilt und mit Bus, Bahn oder Fahrrad vernetzt.“ Selbst Boris Palmer, als Oberbürgermeister der Stadt Tübingen oft quer zu seiner Partei, mahnt zur Geschlossenheit: „Nur Tübingen und Kreuzberg gemeinsam gewinnen Bundestagswahlen.“ Zu diesem Appell sah sich Palmer gedrängt, weil er zuvor ein Foul einer Grünen aus Berlin-Kreuzberg gegen sich registriert hatte. Zukunft wird aus Mut gemacht …

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