Politik Berlin ist die Demo-Hauptstadt Deutschlands

Viele Anliegen: Demonstrationen gegen den Black Friday...
Viele Anliegen: Demonstrationen gegen den Black Friday...

Jeden Tag gehen in Berlin Hunderte Menschen mit ihren Anliegen auf die Straße. Was man an einem Tag alles so beobachten kann.

Der Platz der Republik vor dem Berliner Reichstag ist ein beliebter Ort für Demonstranten. An diesem Freitag im November wirkt er jedoch beinahe leer, von den wenigen Touristen einmal abgesehen. Vor den Stufen, die hinauf ins Parlament führen, stehen Bagger, es wird ein Graben ausgehoben. Die sechs Demonstranten vor dem Bauzaun kann man bei dieser Kulisse auf den ersten Blick schon einmal übersehen. Sie sind von Fridays for Future und haben eine klare und kurze Botschaft mitgebracht. „Klimaschutz jetzt!“ steht auf einem Transparent, das zwei von ihnen hochhalten.

Die Klimaaktivisten sind eigentlich für ihre großen Protestaktionen bekannt, doch es geht auch eine Nummer kleiner: Jeden Freitag hält die Gruppe zwei Stunden lang eine Mahnwache für den Klimaschutz ab. „Wir haben sozusagen ein Demo-Abo“, sagt Barbara Fischer, die die Mahnwache organisiert und bei der Berliner Polizei angemeldet hat. Seit vier Jahren versammeln sie sich wöchentlich auf dem Platz der Republik. Die Reaktionen auf ihren Protest hätten sich in dieser Zeit verändert, meint Fischer. „So ein Blödsinn“, hätten sie besonders in der Anfangszeit gehört, mittlerweile sei der Trend sehr positiv.

Vielfältiger Protest

Nirgendwo in Deutschland wird so oft demonstriert wie in Berlin. Über 6000 Versammlungen wurden laut Berliner Polizei 2022 in der Hauptstadt bisher angemeldet. Und der Protest ist vielfältig, Beispiele dafür gibt es jeden Tag genug. Vom Reichstag aus ist es nur ein Steinwurf bis zum Brandenburger Tor. Von dort kündigt sich zumindest akustisch schon die nächste Demonstration an.

Viele Anliegen: Demonstrationen gegen den Black Friday...
Viele Anliegen: Demonstrationen gegen den Black Friday...
... für kleinere Klassen...
... für kleinere Klassen...
...für Klimaschutz...
...für Klimaschutz...
... gegen die Todesstrafe im Iran...
... gegen die Todesstrafe im Iran...
... angebliche Folter in Psychiatrien.
... angebliche Folter in Psychiatrien.

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Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat zum Protest gerufen und dafür eigens eine kleine Bühne aufgebaut. Dort spielt gerade ein Saxophonist die letzten Töne der musikalischen Einlage zum Abschluss der Demo. Dann verstummt er und nur noch das Rattern des Dieselgenerators ist zu hören, die Veranstaltung löst sich langsam auf. Worum es der Gewerkschaft ging, wird nicht sofort ersichtlich, Transparente sind keine mehr zu sehen. „Kleinere Klassen“, sagt eine Demonstrantin auf Nachfrage. Ein Blick auf die Instagram-Seite verschafft noch mehr Klarheit. „Kleinere Klassen entlasten Lehrkräfte“, heißt es dort. „Sie können ihren Job so noch besser machen und sind dann insgesamt zufriedener.“ Um diese Forderung deutlich zu machen, sind Lehrerinnen und Lehrer bereits zum sechsten Mal durch die Straßen der Hauptstadt gezogen. „Die Stimmung ist besser als beim FIFA World Cup“, heißt es unter einem Video der GEW, das den Protestmarsch zeigt.

Während die Lehrkräfte durch die Straßen ziehen, wird rund acht Kilometer westlich vor dem Berliner Messegelände ein ganz anderes Anliegen vertreten. Drinnen findet der Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde statt, draußen hat sich eine kleine Gruppe formiert, die die Abschaffung des Paragrafen 63 im Strafgesetzbuch fordern. Dieser regelt die gerichtlich angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für „eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit“.

In einem großen Zelt auf dem Messeparkplatz wollen die Demonstranten „die Wahrheit“ über den Umgang in Psychiatrien zeigen, ein großes Plakat verspricht „Fakten über Elektroschocks“, die Dokumentation werde „die Welt schocken“. Die Teilnehmer des Kongresses jedenfalls lassen sich nicht schocken, kaum einer nimmt erkennbar Notiz von den Protesten.

Manche Demos fallen aus

Berlin hat ein gut ausgebautes Verkehrsnetz. In rund 20 Minuten gelangt man von der Messe zur Jannowitzbrücke. Hier ist eine Protestaktion gegen „die Diktatur der kommunistischen Partei China“ geplant. Die chinesische Botschaft kurz hinter der Brücke ist nicht zu übersehen, doch von den Streikenden fehlt jede Spur. Es ist nicht die einzige der 26 angekündigten Versammlungen, die an diesem Tag nicht stattfindet.

Wer sich zum Beispiel an der „Menschenkette für den Frieden“ um die Mittagszeit auf dem Pariser Platz am Brandenburger Tor beteiligen wollte, hatte Pech. Dafür geht es auf der anderen Seite des Berliner Wahrzeichens, auf dem Platz des 18. März, hoch her. Wo vor wenigen Stunden noch die Gewerkschaftsbühne stand, haben sich Aktivisten des Vereins „Recht auf Leben“ versammelt. Sie fordern ein Ende der Todesstrafe im Iran und haben sogar einen Galgen mitgebracht. „Keine Geschäfte mit den Mullahs“, rufen sie.

Drei Stunden Flyer verteilen

Gegen Nachmittag wird es langsam dunkel in der Hauptstadt, doch der Demo-Tag ist noch nicht zu Ende. Vor der East Side Mall, einem großen Einkaufszentrum im Osten der Stadt stehen etwa zehn Demonstranten. Es ist kein gewöhnlicher Freitag, es ist „Black Friday“. Und zur Jagd nach Rabatten gehört eben auch eine Portion Konsumkritik. „Die Leute sollen nicht auf Schnäppchen reinfallen“, erklärt Anne Neumann von Inkota, einer Kampagne für saubere Kleidung. „Weniger konsumieren und eher Second-Hand-Angebote wahrnehmen“, unterstreicht ihre Mitstreiterin Natalie Weiser von der Nachwuchsorganisationen des Naturschutzbundes BUND die Position der Aktivisten.

Drei Stunden wollen sie vor dem Einkaufszentrum stehen und Flyer verteilen, wie es so viele Menschen täglich in Deutschlands Demo-Hauptstadt tun. Für den nächsten Tag sind über 30 Versammlungen angemeldet.

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