Kalender Als der Rinderwahn Deutschland erschütterte

Rinder standen wegen der Tierseuche BSE unter besonderer Beobachtung.
Rinder standen wegen der Tierseuche BSE unter besonderer Beobachtung.

Eine deutsche Tierärztin wollte früh vor der Tierseuche BSE warnen. Doch sie zahlte einen hohen Preis dafür.

Margrit Herbst wollte aufklären – und verlor dadurch ihre berufliche Existenz. Die Veterinärmedizinerin stellte ab 1990 in einem Schlachthof im schleswig-holsteinischen Kreis Segeberg fest, dass manche angelieferten Rinder Symptome von BSE zeigten, im Volksmund Rinderwahnsinn genannt – eine Krankheit, die seit den 1980er Jahren in Großbritannien aufgetreten war.

Doch Herbsts Vorgesetzte lehnten weitere Untersuchungen ab, die geschlachteten Tiere gingen in den Handel. 1994 reichte es Herbst, sie ging an die Öffentlichkeit und berichtete von 21 Verdachtsfällen, die ihr untergekommen waren. Daraufhin erhielt sie vom Landkreis die Kündigung, weil sie Verschwiegenheitspflichten verletzt habe.

Gefahr für Menschen bestätigt

Wie fahrlässig es war, den Verdachtsfällen nicht nachzugehen, wurde spätestens am 29. September 1997 klar. Da bestätigten britische Forscher, dass die Tierseuche BSE die neue Variante der menschlichen Gehirnerkrankung Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auslösen kann. Der Verdacht war aufgekommen, nachdem im Jahr zuvor mehrere Menschen in Großbritannien daran gestorben waren. Sie hatten mutmaßlich BSE-verseuchtes Rindfleisch gegessen. Die EU-Kommission verhängte im März 1996 ein weltweites Exportverbot für britische Rinder und Rinderprodukte.

Als Auslöser von BSE gilt das Verfüttern von nicht ausreichend erhitztem Risikomaterial (Gehirn- und Nervengewebe). Im Vereinigten Königreich hatten Rinder Schafsinnereien bekommen. Ein später verhängtes Verbot wurde teilweise umgangen. Auch Tiermehl als Futter stellte sich als problematisch heraus.

Deutsche Minister treten zurück

Das Exportverbot für britische Rinder wurde Mitte 1999 wieder aufgehoben, doch die BSE-Krise war noch nicht ausgestanden und traf auch noch Deutschland mit voller Wucht. Am 24. November 2000 wurde erstmals bei einer in Deutschland geborenen Kuh BSE festgestellt. Nur wenige Tage später verabschiedeten Bundestag und Bundesrat ein Eilgesetz, das die Verfütterung von Tiermehl generell verbietet. BSE-Tests wurden vorgeschrieben und brachten immer mehr positive Ergebnisse. 125 BSE-Fälle wurden im Jahr 2001 festgestellt. Bereits am Anfang des Jahres mussten Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) und Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) wegen des Skandals zurücktreten.

Immerhin: Die Vorsichtsmaßnahmen wirkten, die Anzahl der von BSE betroffenen Rinder ging in der Bundesrepublik kontinuierlich zurück, in den vergangenen Jahren traten nur noch einzelne Fälle auf.

Ein Happy End gab es für die Veterinärin Margrit Herbst nicht. Zwar wurden ihr Preise für ihre Zivilcourage verliehen, doch eine Anstellung fand die promovierte Tierärztin nicht mehr und musste von der Arbeitslosenhilfe leben. Im Segeberger Kreistag scheiterte 2014 ein Antrag, Herbst zu entschädigen. Der schleswig-holsteinische Landtag lehnte 2016 eine Entschädigungszahlung ab. Der „Zeit“ sagte Herbst vor gut zwei Jahren, sie würde dennoch wieder so handeln: „Ich muss mir treu bleiben und bin bereit, die Konsequenzen zu tragen.“

Der Kalender

DIE RHEINPFALZ feiert 2020 ihren 75. Geburtstag. In unserem Jubiläumskalender erinnern wir jeden Tag an ein besonderes Ereignis oder eine ungewöhnliche Geschichte aus den vergangenen 75 Jahren.

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