Corona-Regeln 2G ein Spaltpilz oder überfällige Notbremse?

 Vor einem Restaurant im Stuttgarter Westen hängt ein Schild mit der Aufschrift «Liebe Gäste bei uns gilt 2G». Sollte in Baden-W
Vor einem Restaurant im Stuttgarter Westen hängt ein Schild mit der Aufschrift »Liebe Gäste bei uns gilt 2G«. Sollte in Baden-Württemberg die sogenannte Alarmstufe in Kraft treten, sieht die Corona-Verordnung landesweit die 2G-Regel etwa in Restaurants, Museen, bei Ausstellungen sowie den meisten anderen öffentlichen Veranstaltungen vor. Foto: Marijan Murat/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Besuch von Restaurants, Kinos und Museen nur noch für Geimpfte und Genesene: Dass Menschen, die sich der Impfung gegen Covid-19 verweigern, Nachteile in Kauf nehmen müssen, zeichnet sich in einigen Bundesländern ab. Warum dies jetzt geschieht und wie sinnvoll diese Maßnahme ist.

Sachsen ist Vorreiter. Als erstes Flächenland nutzt der Freistaat gegen die rasant steigende Anzahl an Corona-Infektionen umfassend 2G. Nur Geimpfte und Genesene dürfen nun in Restaurants, Kneipen oder Diskotheken. Ein negativer Test nützt nichts. Darüber wird heftig gemurrt, unter anderem von Gastwirten. Doch wird Sachsen wohl nicht alleine bleiben. Die Menschen in Deutschland müssen sich darauf einstellen, bald im Alltag den Impfpass vorzulegen – oder vor der Tür zu stehen.

Ein weiterer Lockdown für Geschäfte und Lokale droht

Auf der politischen Tagesordnung stehen 2G-Regeln auch in andern Bundesländern wie Berlin, Brandenburg, Baden-Württemberg und Bayern. Eine Option sind sie überall, wo Infektionszahlen in die Höhe schnellen und sich die Intensivstationen füllen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verteidigt die Beschränkungen für Ungeimpfte als Notbremse, um Schlimmeres abzuwenden: den Lockdown für Geschäfte und Lokale. Aber Experten und auch Politiker sind erstaunlich uneins, ob und wie 2G wirkt. Ist die Regel am Ende sogar schädlich?

„Aus medizinischer Sicht nachvollziehbar“

„Aus medizinischer Sicht ist die 2G-Option grundsätzlich nachvollziehbar“, sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen. Aber sie sei schwer umsetzbar. „Außerdem werden durch eine verpflichtende Einführung vor allem verfassungsrechtliche und gesellschaftspolitische Fragen aufgeworfen, die nicht von Medizinern beantwortet werden können.“ AfD-Chef Tino Chrupalla wählt dagegen drastische Worte. Katastrophal sei der Schwenk zu 2G, er werde zur sozialen Spaltung führen, sagte Chrupalla dem Sender Phoenix.

Selbst am medizinischen Sinn haben einige Zweifel. 2G gebe eine „Scheinsicherheit“, kritisierte Virologe Jonas Schmidt-Chanasit am Wochenende im Deutschlandfunk. Auch Geimpfte könnten sich infizieren und das Virus übertragen. Wirkliche Sicherheit gäben nur Tests bei allen, ob geimpft, ungeimpft oder genesen. Er nannte das 1G. Sein Kollege Hendrik Streeck wandte beim Redaktionsnetzwerk Deutschland ein: Wenn Ungeimpfte ausgeschlossen würden, ließen sie sich womöglich weniger testen und feierten ungetestet zuhause.

Was nutzt die 2G-Regelung, wenn keiner sie kontrolliert?

Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow – der in seinem Bundesland ähnlich dramatische Corona-Zahlen hat wie Sachsen – geht ebenfalls auf Distanz zu 2G. Sein Argument: Wer soll das alles kontrollieren? Und was nützen Regeln, die niemand überwacht? Wer kürzlich im Café oder Restaurant war, weiß, wie unterschiedlich gültige 3G-Regeln durchgesetzt werden. Ob jemand geimpft, genesen oder frisch getestet ist: Oft fragt danach niemand.

Voreilige Debatte, befeuert von Seehofer

Spürbar ist in der Politik aber auch das Unbehagen, Ungeimpfte unter Druck zu setzen. Die Debatte wurde schon zu Beginn der Impfkampagne geführt. „Keine Sonderbehandlung für Geimpfte! Eine Unterscheidung zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften kommt einer Impfpflicht gleich“, warnte damals Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in der „Bild am Sonntag“. Das Interview steht bis heute auf der Webseite seines Ministeriums. Gegenpol war Außenminister Heiko Maas (SPD). Er forderte, Geimpften früher als anderen wieder den Besuch in Restaurants oder Kinos zu erlauben. „Geimpfte sollten wieder ihre Grundrechte ausüben dürfen“, sagte Maas damals derselben Zeitung. Die Debatte war voreilig, weil Impfstoff noch knapp war. Aber das Dilemma besteht weiter: Darf man Menschen benachteiligen, die sich gegen Impfen entscheiden? Treibt das den Keil noch tiefer zwischen die Mehrheit der Geimpften und die Minderheit der Skeptiker?

Auch der Ethikrat ist uneins

Für den Vizechef des Deutschen Ethikrats, Julian Nida-Rümelin, ist das ein „unnötiger Stresstest“, wie er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland sagte: „Jetzt durch Ausschluss aus sozialen, kulturellen oder ökonomischen Aktivitäten die Nichtimpfwilligen zu zwingen, sich impfen zu lassen, führt zu einem Antiimpf-Heroismus, bei dem die Menschen stolz darauf sind, dass sie ,Widerstand’ leisten.“ Die Meinung teilen nicht alle im Ethikrat. Die Vorsitzende Alena Buyx schloss im Sommer Vorrechte für Geimpfte und Genesene nicht aus. „Ich hoffe sehr, dass die Situation nicht so schlecht wird, dass man 2G überhaupt flächendeckend einsetzen muss“, sagte Buyx im ZDF.

2G motiviert zum Impfen

Wie auch immer man zu 2G steht, eine Begleiterscheinung der Debatte ist bereits zu beobachten: Die Impfbereitschaft steigt – selbst in Sachsen, das bisher die niedrigste Impfquote vorweist. Auch in Baden-Württemberg erhöht sich die Nachfrage, ebenso in Berlin, Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern. Dort sah sich der Impfstützpunkt Greifswald „tageweise völlig überrannt“, wie der Landkreis Vorpommern-Greifswald mitteilte. Die überall wieder extrem steigenden Corona-Fallzahlen tragen sicher das ihrige dazu bei, aber auch 2G erhöht den Druck. „In einzelnen Rückmeldungen wird die zunehmende Anwendung von 2G als Grund für die Impfentscheidung angeführt“, so der Sprecher von Nordwestmecklenburg, Christoph Wohlleben.

Das steckt dahinter: Immer mehr Definitionen und Abkürzungen bei Corona-Regelungen

Geimpft: Wer die letzte erforderliche Einzel-Impfung (mit einem in der EU zugelassenen Impfstoff) vor mehr als 14 Tagen erhalten hat, gilt als vollständig geimpft. Dazu alle, die eine per PCR-Test bestätigte Sars-CoV-2-Infektion durchgemacht haben und danach einmalig geimpft wurden.

Genesen: Als genesen gilt man, solange die per PCR nachgewiesene Sars-CoV-2-Infektion weniger als sechs Monate zurückliegt. Außerdem: Wer einmalig geimpft wurde und anschließend nachweislich an Covid-19 erkrankte (das darf auch nur maximal sechs Monate her sein).

3G: Gilt dies etwa bei einer Veranstaltung, dürfen (vollständig) Geimpfte und Genesene (ohne typische Symptome) sowie negativ Getestete teilnehmen. Zulässig ist ein Antigen-Schnelltest, der maximal 24 Stunden alt ist, oder ein PCR-Test, der höchstens 48 Stunden zurückliegt.

3G plus: Geimpfte, Genesene und per PCR negativ getestete Menschen sind zugelassen.

2G: Gilt diese Regel, kann nur teilnehmen, wer geimpft oder genesen ist. Für Kinder unter 12 Jahren, für die bislang kein Impfstoff zugelassen ist, gibt es regelmäßig Ausnahmen hiervon. Gleiches gilt für Menschen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können. Sie dürfen etwa teilnehmen, wenn sie PCR-getestet sind und eine ärztliche Bescheinigung vorweisen können.

2G plus: Nur Geimpfte und Genesene sind zugelassen, die zusätzlich einen aktuellen negativen (Schnell-)Test nachweisen können.

1G: Diese Bezeichnung wird dafür verwendet, dass sich alle Menschen testen lassen müssen – auch wenn sie geimpft oder genesen sind. 1G kann aber auch bedeuten: Nur Geimpfte haben Zutritt.

Ihre News direkt zur Hand
Greifen Sie auf all unsere Artikel direkt über unsere neue App zu.
Via WhatsApp aktuell bleiben
x