Rheinland-Pfalz Zwei Jahre in 25 Stunden

Das Flussbett des Rheins bei Oberwesel als Modell – mit allen Kurven, Zerklüftungen, Inseln und Sandbänken.
Das Flussbett des Rheins bei Oberwesel als Modell – mit allen Kurven, Zerklüftungen, Inseln und Sandbänken.

«Karlsruhe». Der „Jungfrauengrund“ ist eine große Sandbank, die bei Oberwesel im Rhein liegt. Die Stelle gilt bei der Schifffahrt als problematisch: Dort macht der Fluss eine scharfe Kurve, es geht eng zu, die gegenüberliegende Felseninsel „Tauber Werth“ sorgt zudem für Querströmungen. Und der „Jungfrauengrund“-Abschnitt ist eine von sechs sogenannten „Tiefenengstellen“ im Mittelrheintal. Bei Niedrigwasser kommen die Binnenschiffe an der Sandbank nur vorbei, wenn sie ihre Ladung deutlich reduziert haben. Denn im Vergleich zum übrigen Rhein fehlen dort etwa 20 Zentimeter in der Fahrrinne. „Wenn wir diese Tiefenengstellen beseitigen, könnten die Binnenschiffe jeweils 200 Tonnen mehr Ladung transportieren“, sagt Ralf Ponath. Diese 200 Tonnen entsprechen nach Angaben des Dezernatsleiters bei der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt in Mainz etwa 15 bis 20 beladenen Lkw. Doch mit welchen Maßnahmen, lässt sich die Fahrrinne um 20 Zentimer vertiefen, ohne dass gleichzeitig die Hochwassergefahr steigt oder die ökologisch wertvolle Sandbank „Jungfrauengrund“ beeinträchtigt wird? Um das herauszufinden, wurde der 4,4 Kilometer lange Rheinabschnitt bei Oberwesel in monatelanger Arbeit im Maßstab 1:60 nachgebaut. Das Modell ist 73 Meter lang und windet sich – Rheinbiegung für Rheinbiegung – durch eine riesige Halle der Bundesanstalt für Wasserbau in Karlsruhe. Auch im Zeitalter der Digitalisierung und Computersimulationen seien für Wasserbaumaßnahmen solche gegenständlichen Modelle unerlässlich, sagt Professor Andreas Schmidt von der Bundesanstalt. Denn die Fragestellungen seien dabei sehr komplex. Strömungsverhältnisse ließen sich mit Rechenmodellen gut abbilden. In welchem Ausmaß Sand, Kies und Steine am Flussgrund bewegt und angehäuft werden, könne man dagegen viel besser am nachgebauten Fluss herausfinden: Kleine Kunststoffkugeln unterschiedlichen Gewichts zeigen dabei, wie sich das Gestein im Rheinstrom bewegt. Dazu wurde der Untergrund des Flussabschnitts genau erfasst und nachmodelliert. Die Sohle des Rheins bei Oberwesel ist felsig und sehr zerklüftet. Das ist einer der Gründe, warum sich dort Sand und Geröll sammeln und die Fahrrinne derzeit alle zwei Jahre ausgebaggert werden muss. Seit knapp einem Jahr laufen die Tests am Großmodell in der Halle der Bundesanstalt in Karlsruhe. Wasser strömt plätschernd die 73 Meter entlang. Zwei Jahre Echtzeit ließen sich dabei in 25 Stunden abbilden, sagt Wasserbauingenieur Thorsten Hüsener. Zwölf verschiedene Maßnahmen wurden inzwischen untersucht, unter anderem wurden dabei unterschiedliche Längsbauwerke und Sohlenschwellen eingesetzt. Nach jedem Versuch wird der Modellrhein trocken gelegt. Dann wird das Flussbett mit einem Laserscanner vermessen, um Ort und Menge der Ablagerungen festzustellen. Hüsener: „Einiges hat sich schon als zielführend erwiesen.“ In einem nächsten Schritt soll jetzt an dem Großmodell simuliert werden, wie sich mögliche Maßnahmen im Jahresablauf von auf- und absteigenden Pegelständen auswirken. Das angestrebte Resultat: Die Fahrrinne soll 20 Zentimeter tiefer und gleichzeitig sollen die Baggereinsätze deutlich reduziert werden. Denn die sind in der engen „Jungferngrund“-Kurve problematisch: „Das macht die Stelle zum Unfallschwerpunkt“, sagt Hüsener. Die Tieferlegung des Rheins im Mittelrheintal – neben der Sandbank bei Oberwesel gibt es fünf weitere extreme Niedrigwasserstellen – ist nach ersten Schätzungen auf 60 Millionen Euro veranschlagt und soll bis 2030 umgesetzt sein, heißt es bei der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt. Sie muss letztlich entscheiden, welche Vorschläge der Karlsruher Bundesanstalt realisiert werden. Man befinde sich in einer „vertiefenden Voruntersuchung“, sagt Dezernatsleiter Ponath. Umfassende Umweltprüfungen sollen folgen, dann bedarf es eines Planfeststellungsverfahrens. Doch während die Karlsruher Wasserbauingenieure noch tüfteln und testen, drückt die Politik aufs Tempo. „Wir werden wirklich Druck machen“ sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) diese Woche nach einem Treffen mit dem BASF-Vorstand. Denn die durch das Niedrigwasser ausgelösten Störungen in der Rohstoffversorgung hatten auch dem Ludwigshafener Chemieunternehmen 2018 schwer zu schaffen gemacht. Und nicht nur den Autofahrern in Rheinland-Pfalz, die hohe Spritpreise verkraften mussten.

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