Rheinland-Pfalz Wenn Bürger ohne Meister bleiben

Blaubach. Blumen pflanzen, das Dorfgemeinschaftshaus vermieten, sich um den Friedhof kümmern: Martin Pfeiffer hat nach 15 Amtsjahren zusammengetragen, was man als Ortsbürgermeister von Blaubach (Kreis Kusel) alles erledigen muss. Auf 72 Punkte ist er gekommen. Jetzt hat er sein Amt niedergelegt, und die Liste liegt bei Manfred Trotzki. Den 51-Jährigen hat der Rat Ende Juni zum neuen Ersten Beigeordneten gewählt. Damit ist er Stellvertreter eines Ortsbürgermeisters, den es gar nicht gibt. Denn kein Blaubacher will auf den frei gewordenen Chefsessel. Eigentlich hätten die etwa 400 Einwohner ihr neues Oberhaupt schon zusammen mit den Räten sowie dem Kreis- und dem Bezirkstag bei der rheinland-pfälzischen Kommunalwahl Anfang Juni küren sollen. Doch weil sich kein Kandidat um das Ehrenamt beworben hatte, fiel dieser Teil des Urnengangs aus – so wie in 405 weiteren rheinland-pfälzischen Ortsgemeinden. Damit waren landesweit diesmal 18 Prozent der Dörfer ohne Bürgermeister-Bewerber. Zum Vergleich: Fünf Jahre vorher waren es 15,6 Prozent. In solchen Fällen ist es eine der ersten Aufgaben des neuen Rates, nun seinerseits einen Bürgermeister zu wählen. Doch das kann er nicht, wenn es weiterhin niemanden gibt, der diesen Posten übernehmen will. Nicht nur Blaubach ist deshalb bis heute ohne neues Oberhaupt. Doch andernorts harren die bisherigen Bürgermeister noch „geschäftsführend“ auf den Posten aus, die sie möglichst bald loswerden wollen. So wie Hans-Jürgen Brünesholz in Gerhardsbrunn (Kreis Kaiserslautern). Zwei Legislaturperioden lang hat er die Geschicke seines 180-Seelen-Dorfs gelenkt. Dass ihm jetzt niemand nachfolgen will, kann er sich nicht so recht erklären. Schließlich hört er aus gesundheitlichen Gründen auf – und nicht, weil die Aufgabe so furchtbar wäre. Er sagt aber auch: Ortsbürgermeister werden immer mehr gefordert. Und mit dieser Einschätzung steht er nicht alleine da. Burkhard Höhlein, der Geschäftsführer des rheinland-pfälzischen Gemeinde- und Städtebunds, nennt verschiedene Faktoren: Immer mehr Vorschriften, die alles immer genauer regeln. Immer mehr Bürgerinitiativen, die berücksichtigt werden wollen. Und immer mehr Rechtsstreitigkeiten. „Gerade habe ich wieder so einen Fall auf dem Tisch“, sagt Höhlein. „Eine Straße, in der jahrelang gerast wurde. Dann hat die Gemeinde dort Schwellen gelegt, ein Betrunkener ist drübergebrettert und hat sich sein Auto beschädigt. Jetzt hat er deshalb den Bürgermeister angezeigt.“ Trotzdem hat der Chef-Lobbyist der rheinland-pfälzischen Gemeinden nicht den Eindruck, dass immer mehr Dörfer keine Bürgermeister finden. „Nach jeder Wahl gibt es in einzelnen Gemeinden Probleme. Das hat dann jeweils individuelle Ursachen“, sagt er. Großfischlingen (Kreis Südliche Weinstraße) tat sich schon vor fünf Jahren schwer. Franz Seiller war nach 20 Bürgermeister-Jahren amtsmüde, doch er musste noch ein weiteres Jahr lang ausharren, ehe sich sein Beigeordneter Bernhard Spiegel zu seinem Nachfolger wählen ließ. Nun will der Bankkaufmann die Aufgabe wieder loswerden: „Ich dachte, ich packe das parallel zum Beruf. Das war eine Fehleinschätzung.“ Dass Angehörige schwer krank geworden sind, kostet ihn zu viel Kraft. Doch auch er muss seine 600 Mitbürger weiterregieren – bis sich doch noch ein Nachfolger findet. Oder dem Dorf ein „Fürsorgebeauftragter“ als Notverwalter verpasst wird. Wann das passiert, ist nicht ausdrücklich festgelegt, muss aus Vorschriften für andere Fälle abgeleitet werden. Beispiel: Wenn eine Bürgermeisterwahl aus irgendeinem Grund wiederholt werden muss, gewährt das Gesetz bis zum zweiten Anlauf einen Zeitraum von drei Monaten. Diese Frist liefe also Ende August ab. In einem Pfälzer Fall hat die Kommunalaufsicht aber schon jetzt reagiert: Die Rechte und Pflichten des Blaubacher Ortsbürgermeisters hat sie dem Kuseler Verbandsbürgermeister Stefan Spitzer (CDU) übertragen. Die Blaubacher selbst hatten sich das anders vorgestellt, sagt ihr Beigeordneter Trotzki. Er erläutert die Ausgangslage: Die altgedienten Kommunalpolitiker haben sich alle zurückgezogen. Von den acht jetzt gewählten Mitgliedern sind fünf ganz neu im Rat, eine Mitstreiterin war im Laufe der letzten Legislaturperiode nachgerückt, und auch die beiden Erfahrensten in der neuen Truppe sind erst seit 2009 dabei. Deshalb, sagt Trotzki, traut sich im Moment niemand auf den Chefsessel. Einen Plan hatten die Ratsmitglieder trotzdem: Sie wollten die Aufgaben aus der 72-Punkte-Liste untereinander und unter den Beigeordneten aufteilen. Ein paar Monate lang hätten sie so gearbeitet und Erfahrung gesammelt – bis sich einer von ihnen doch noch auf den Chefposten wagt. Doch die Juristen sagen: Beigeordnete als Vertreter des Ortsbürgermeisters kann es nur geben, wenn es einen Ortsbürgermeister gibt. Oder eben einen Fürsorgebeauftragten. Den darf Trotzki jetzt tatsächlich gleich vertreten, denn Verbandsbürgermeister Spitzer macht Urlaub. Was dem Blaubacher ganz recht ist – damit hat er mehr Zeit, um vor Ort eine Lösung zu finden. Eines ist für ihn schon jetzt klar: Auch wenn Blaubach bald wieder ein richtiges Oberhaupt haben sollte, werden die Aufgaben auf mehrere Schultern verteilt. Blumen pflanzen, das Dorfgemeinschaftshaus vermieten, sich um den Friedhof kümmern: Der Ortsbürgermeister soll sich nicht mehr selbst um alle 72 Punkte der Aufgabenliste kümmern müssen.

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