Rheinland-Pfalz Von der Stange

Auf 27.000 Hektar wird in Deutschland Spargel angebaut.
Auf 27.000 Hektar wird in Deutschland Spargel angebaut.

«Speyer». Ausgelöst hatte die Debatte um den heutigen Spargelgeschmack vor sieben Jahren ausgerechnet Deutschlands berühmtester Gastronomiekritiker: Der inzwischen verstorbene Wolfram Siebeck polterte damals bei einer Lesung in der badischen Ortenau, was da landauf, landab unter schwarzer Plastikfolie gezogen werde („Das sieht aus wie eine Ölpest“), sei wässerig und geschmacksarm. „Früher war Spargel ein bitteres Gemüse, das ist alles weggezüchtet“, konstatierte der Feinschmecker. Natürlich angebauter Spargel sei dagegen etwas Wunderbares: „Aber das, was wir da heute haben, so etwas esse ich nicht!“ Was war passiert? Die Erzeuger von Spargelsaatgut hatten vor Jahren neue Sortenreihen auf den Markt gebracht. Sie sind auf Ertrag und schnelles Wachstum getrimmt, was mit Folienanbau besonders gut funktioniert. Unter der Abdeckung behalten die Spargelköpfe zudem ihre weiße Farbe und verfärben sich nicht violett, grün oder blau – was viele Bauern und Kunden als Vorteil ansehen. Im vergangenen Jahr wurde Spargel auf 27.000 Hektar geerntet – das ist fast ein Viertel der gesamten deutschen Freilandfläche im Gemüseanbau. In der Pfalz wächst Spargel auf rund 820 Hektar. Deutschlandweit sind 95 Prozent aller Spargelbeete mit Folien bedeckt; sie erlauben den Anbau auch auf ungeeigneteren Böden. Bis zu drei Schichten liegen auf den Feldern und heizen die Erde darunter auf. Mit dieser Methode haben die Landwirte die Spargelzeit stetig weiter ausgeweitet. Die Saison, die jedes Jahr am 24. Juni endet, begann früher erst Ende April/Anfang Mai. In diesem Jahr wurden auch auf pfälzischen Feldern bereits Mitte März die ersten Spargel gestochen. Wer besonders früh auf den Spargelmarkt kommt, profitiert von den in dieser Phase noch sehr hohen Preisen. Ein Wettbewerbsvorteil, der aber auf Kosten des Geschmacks geht, wie Siebeck sagt. Die Kritik des Feinschmeckers fiel bei den Verfechtern einer nachhaltig ausgerichteten Landwirtschaft auf fruchtbaren Boden. „Essbare Landschaften“, ein auf aromatypische und historische Gemüsesorten spezialisiertes Handelsunternehmen, beobachtet die Entwicklung mit Sorge: Die neuen Sorten verdrängten die berühmten Vorgänger wie „Ruhm von Braunschweig“, „Eros“, „Huchels Alpha“ oder den „Schwetzinger Meisterschuss“ in einem atemberaubenden Tempo. Diese alten Sorten hätten die mineralischen Besonderheiten jedes Anbaugebietes in ihren Geschmack aufgenommen und so noch ausgeprägtes „Terroir“ gehabt. Der „Schwetzinger Meisterschuss“ war einst ein Aushängeschild der Rhein-Neckar-Region. Heute ist diese alte Sorte sehr selten geworden. In der Pfalz wird sie offenbar gar nicht mehr angebaut. Die Treue gehalten haben dem „Meisterschuss“ aber Benjamin und Klaus Böll im rheinhessischen Essenheim. Auf 2,5 Hektar gedeiht dort der früherer Schwetzinger Traditionsspargel. „Wir sind die einzigen, die das noch machen“, sagt Klaus Böll. Dabei bringt der „Schwetzinger Meisterschuss“ nur den halben Ertrag der modernen Sorten, er wächst auch langsamer und kann so erst drei Wochen nach Saisonbeginn gestochen werden. „Aber der Meisterschuss schmeckt klassisch nach Spargel“, schwärmt Benjamin Böll: „Nicht unangenehm bitter, sondern kräftiger als die frühen, modernen Sorten.“ Die Bölls praktizieren zudem keinen Folienanbau. Dass sich die Köpfe deshalb verfärben, störe die Kunden überhaupt nicht. Im Gegenteil: Der Spargelgeschmack solcher Köpfe sei wesentlich intensiver und nussiger als bei den rein weißen. Die beiden Essenheimer Spargelanbauer verzichten auch aus Umweltschutzgründen auf Folien. „Täglich wird in den Medien über die Problematik mit dem Plastikmüll berichtet und bei uns werden gleichzeitig tonnenweise Folien auf die Felder ausgerollt“, kritisiert Benjamin Böll. Agrarexperten des Dienstleistungszentrums Ländlicher Raum (DLR) in Neustadt teilen indes die Kritik an den neuen, ertragsreichen Sorten nicht. Gemüsebau-Berater Joachim Ziegler hält die Schwärmerei über das Aroma von früheren Sorten wie dem „Meisterschuss“ gar für eine Art Marketing-Gag. Da werde die gute alte Zeit bemüht, in der angeblich alles besser war. Für den „Meisterschuss“ lässt Ziegler dies nicht gelten: „Der war auch kein Überflieger.“ Bei den neuen Züchtungen handele es sich um sehr wohlschmeckende Sorten. Spargel sei ein Naturprodukt, das nicht von Anfang bis Ende der Ernte im Aroma gleich sein könne, sagt Ziegler. Den größten Einfluss auf den Geschmack habe die Temperatur, die darüber entscheide, wie viele Reservestoffe in die Stangen eingelagert werden. Auch Felix Grebhardt, Vertriebschef der auf Spargelzüchtungen spezialisierten Südwest-Saat in Rastatt, kann die Begeisterung für den „Schwetzinger Meisterschuss“ nicht ganz nachvollziehen: „Da werden die alten Sorten glorifiziert, aber deren Geschmack war auch nicht wirklich besser.“ Spitzenköche wie Dirk Maus sehen dies freilich anders: Der „Meisterschuss“ schmecke richtig nach Spargel, da würden Kindheitserinnerungen wach; der heutige Spargel sei dagegen meist nur wässerig, meint Maus, der bei Mainz das Sternelokal „Sandhof“ betreibt. Doch Maus weiß auch ganz genau, dass bei seinen Gästen das Auge mitisst. Bölls „Meisterschüsse“ sind oft etwas krumm und nicht gradlinig wie der Folienspargel; jede Stange sieht anders aus. Maus nimmt die alte Sorte daher meist für Spargelsalat – momentan hat er eine Kombination mit Erdbeeren, grünem Pfeffer und Entenbrust auf der Karte. Wird in dem Sterne-Lokal Stangenspargel offeriert, greift auch Maus zu den neuen Sorten – des Aussehens wegen. Spargelanbau wird bei den Bölls in Essenheim bereits in der vierten Generation betrieben. Dass sie auf den „Schwetzinger Meisterschuss“ setzen, hat nichts mit dem Schielen nach einer Marktlücke zu tun: „Wir haben einfach das beibehalten, was früher war.“ Und damit huldigen sie nebenbei einem Mann, der in Schwetzingen heute fast vergessen ist: Gustav Adolph Unselt war 1900 zum großherzoglich-badischen Hofgärtner im Schwetzinger Schlossgarten ernannt worden. In 25 Dienstjahren machte er sich vor allem um den Spargelanbau verdient. Unselt züchtete auf dem Gelände vor der Orangerie das königliche Gemüse, er studierte dessen Biologie, kreuzte verschiedene Spargelstämme, bewertete deren Geschmack und machte genaue Ertragsaufzeichnungen. 1917 erschien seine Schrift „Die Steigerung der Spargelerträge“. Auf der Grundlage von Unselts Pionierarbeiten gelang der Saatzuchtanstalt der damaligen Badischen Landwirtschaftskammer 1952 die Züchtung der Sorte „Schwetzinger Meisterschuss“. Sie machte Schwetzingen als Spargelstadt weltberühmt. Der Ruhm ist geblieben, der „Meisterschuss“ nicht. Und an Unselt erinnert in Schwetzingen heute nur noch eine kleine Straße in einem Neubaugebiet.

Halten dem „Schwetzinger Meisterschuss“ die Treue: Benjamin und Vater Klaus Böll.
Halten dem »Schwetzinger Meisterschuss« die Treue: Benjamin und Vater Klaus Böll.
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