Rheinland-Pfalz Völlig unausgegoren

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Dass die Schokoladen-Nikoläuse oft schon Anfang Oktober in den Regalen stehen, daran hat man sich allmählich gewöhnt – wenn auch mancher nur seufzend und zähneknirschend. Auch dass übers ganze Jahr bunte Ostereier – deklariert als „Frühstückseier“ – in den Verkaufstheken liegen, ist inzwischen Alltag. Und damit hierzulande Himbeeren, Zuckerschoten oder Birnen ganzjährig in den Märkten zu haben sind, werden sie per Flugzeug aus Übersee herangeschafft. Ist das schön? Ist das notwendig? Das Gefühl für die Jahreszeiten geht so Stück um Stück verloren. Natürlich haben das Wetter und der Klimawandel an dieser Entwicklung einen Anteil: Auch in dieser Hinsicht verschwimmen nämlich die Grenzen immer mehr: Die Winter sind sehr mild, die ersten Mandeln blühen schon im Dezember, und im Mai herrscht unerträgliche Bullenhitze. Kein Wunder also, dass da manche den Herbst gerne zum Dauerzustand machen möchten. Ins Visier genommen haben sie dabei ausgerechnet den Federweißen, der eigentlich landauf, landab als eines der letzten echten Saisonprodukte gilt. Denn ihn gab es bisher nur in der Zeit der Weinlese, ein wegen der Gärung bitzelndes und prickelndes Getränk. Das Geschäft mit dem Neuen Wein stellt für viele Winzer einen wichtigen Wirtschaftszweig dar: Allein in Rheinland-Pfalz werden Herbst (!) für Herbst (!) etwa zwei Millionen Liter Federweißer verkauft. Da liegt natürlich die Versuchung nahe, dieses süffige Produkt das ganze Jahr anbieten zu können. Ein paar Weinmacher in Rheinhessen haben sich daran gewagt: Winzermeister Ralf Köth aus Flörsheim- Dalsheim offeriert beispielsweise seit vergangenen August einen „Federino hefetrüb“, der als „herrlich bitzelnd“ beworben wird. „Die Kunden sind begeistert, selbst Berufskollegen schmecken nicht den Unterschied zum frischen Federweißen“, sagt Köth. Und in Wörrstadt hat ein Abfüllbetrieb ähnliches ausgetüftelt: „Fedi – der Neue“. In beiden Fällen handelt es sich um „teilweise gegorenen Traubenmost“, bei dem der Gärprozess gestoppt wurde. Die Wörrstadter haben dazu ein physikalisches Verfahren entwickelt, mit dem die Hefen inaktiv gemacht werden. So kann der Betrieb das Getränk problemlos in Dosen oder Kronkorken-flaschen abzufüllen und obendrein lange haltbar machen – weit über den Herbst hinaus. Das Deutsche Weininstitut in Mainz hält den Dauer-Federweißen für „eine spannende Weiterentwicklung“; der Geschäftsführer der Pfalzwein-Werbung, Detlev Janik, mag sich hingegen mit dieser Saisonverlängerung ganz und gar nicht anfreunden: „Federweißer das ganze Jahr, ist ja schrecklich!“ Doch die Jahreszeiten-Jongleure müssen aufpassen, dass sie nicht im Nachhinein mit dem komplizierten Weinrecht in Konflikt geraten. Das Verwaltungsgericht Trier hat gerade einer Kellerei untersagt, teils vergorenen und dann konservierten Traubenmost als Federweißen zu vermarkten. Nur gärende Produkte, die „zum unmittelbaren Verzehr bestimmt“ sind, dürften als Federweißer bezeichnet werden, stellten die Richter fest und bestätigten damit die Position des Landesuntersuchungsamtes in Koblenz, das die Kreation der Kellerei beanstandet hatte. Auch witzige Anspielungen, mit denen Ganzjahresfederweißer-Winzer die Verbraucher auch ohne die verbotene Bezeichnung auf die richtige Spur bringen wollen, sind offenbar riskant – so beispielsweise die Abbildung einer weißen Feder auf dem Flaschenetikett. Denn das Landesuntersuchungsamt sagt ganz unamüsiert: „Tricks, die nahelegen, dass es sich bei diesen Getränken um Federweißen handelt, sollte man unterlassen.“ Wer jetzt meint, das seien bürokratische Winkelzüge, der hat vermutlich recht. Aber andererseits sorgen solch unausgegorenen Argumente dafür, dass es den echten Federweißen, der genauso heißen darf und genauso schmeckt, weiterhin nur im Herbst gibt. Und das ist doch gut so. Oder? | Rolf Schlicher

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