Rheinland-Pfalz Terrorprozess: Richter wollen Schuldspruch

Mit seiner Aktensammlung vor dem Wiener Gericht: der Anwalt von Lorenz K., Wolfgang Blaschitz. Er interpretiert die Ermittlungse
Mit seiner Aktensammlung vor dem Wiener Gericht: der Anwalt von Lorenz K., Wolfgang Blaschitz. Er interpretiert die Ermittlungsergebnisse zum versuchten Selbstmordattentat in Ludwigshafen anders als die Richter.

Im Wiener Terrorprozess lassen es die Richter offen erkennen: Ihrer Meinung nach ist Lorenz K. der Anstifter des versuchten Selbstmordanschlags eines Zwölfjährigen in Ludwigshafen und dafür zu verurteilen. Doch über Schuld und Unschuld werden in diesem Prozess andere entscheiden.

«Wien/Ludwigshafen.» Auf dem Weg zum Selbstmordattentat lauern jede Menge Hindernisse. Das erlebt ein Zwölfjähriger, als er sich Ende November 2016 auf dem Ludwigshafener Weihnachtsmarkt in die Luft sprengen will. Denn erst verpasst ihm sein Vater Hausarrest. Dann bemerkt er, dass der Gürtel mit seiner Eigenbau-Bombe nicht so unter der Jacke verschwindet, wie er das eigentlich sollte. Obendrein muss er urinieren – offenbar in der Nähe des Sprengsatz-Verstecks am Rathaus-Center. Weil es dort kein Wasser und kein Toilettenpapier gibt, fühlt er sich danach im islamisch-kultischen Sinn unrein. Doch vor allem, so schreibt er es seinem damals 17-Jährigen Gesinnungsgenossen Lorenz K. in Wien, irritieren ihn Probleme mit seiner „Nyya“, zu deutsch: mit seiner Absicht. Aus Österreich kommt prompt Ermutigung: Der Zwölfjährige soll bestimmte Koranverse murmeln. Und an Allah denken. Und ans „Märtyrertum“. Und an die Bilder getöteter muslimischer Kinder, die ihn immer so wütend machen.

Glück: Lunte zerbröckelt

Das Rezept funktioniert: Der Junge hockt sich neben eine Currywurst-Bude, weil dort vergleichsweise viele Menschen sind. Dann denkt er an die Paradiesjungfrauen. Und zündet seine Bombe. Dass nichts passiert, liegt nur daran, dass die als Lunte verwendeten Wunderkerzen zerbröckelt sind und die Flamme erlischt. Tage später fliegt der Zwölfjährige auf, weil er einem anderen Jungen seinen Sprengsatz zeigt und der zur Polizei geht. Bald darauf nimmt eine Spezialeinheit in Wien auch seinen Chat-Partner Lorenz K. fest. Der steht nun vor Gericht - unter anderem, weil er in einer Videobotschaft der Terrorbande IS die Treue geschworen hatte. Und weil er mit einer 16-Jährigen aus Nordrhein-Westfalen über gemeinsame Selbstmordanschläge sprach, zum Beispiel auf Soldaten in Ramstein. Doch bis zu 15 Jahre Haft drohen ihm jetzt auch wegen seiner Chats mit dem Zwölfjährigen. Denn wer jemanden zu einem Mord angestiftet hat, wird in Österreich auch selbst wie ein Mörder behandelt. Und das gilt auch, wenn die Tat im Versuch steckenblieb.

100 Seiten Vernehmungsprotokoll

Also haben rheinland-pfälzische Ermittler den Ludwigshafener Jungen in langen Vernehmungen immer wieder nach jenem Moment gefragt, in dem er sich Lorenz K. wegen der Probleme mit seiner „Nyya“ anvertraute - etwa 100 Seiten der Vernehmungsprotokolle liegen auch der RHEINPFALZ inzwischen vor. Im Prozess haben die Richter den inzwischen 14-Jährigen ebenfalls darauf angesprochen. Schließlich erwecken die Text- und Sprachnachrichten den Eindruck, dass er damals von seinem mörderischen Plan ablassen wollte. Doch genau das hat er im Prozess ebenso vehement bestritten wie in seinen Vernehmungen. Womit er die Juristen verwirrte: Ihnen blieb rätselhaft, über was für ein Problem er damals mit Lorenz K. sprechen wollte. Dabei lassen es seine Textnachrichten aus dem November 2016 durchaus erahnen. Demnach blieb er wild entschlossen, seinen Sprengsatz auf dem Weihnachtsmarkt zu zünden. Doch er zweifelte, ob ihn die richtigen Motive antrieben: Eigentlich, so erkannte er selbst, ging es ihm nur darum, „Dunya (das Diesseits) loszuwerden“.

Des Lebens überdrüssig

Also musste er damit rechnen, nicht als heroischer „Märtyrer“ vor Allah zu treten. Sondern als jemand, der sich einfach nur aus Überdruss am Leben in den Tod gebombt hatte. Lorenz K. hätte demnach mit seinen Ermutigungen in jenem Moment nicht bewirkt, dass der Junge zu seinem Versuch eines Selbstmordattentats aufbrach. Aber er hätte dafür gesorgt, dass der Zwölfjährige doch noch in der seiner Meinung nach richtigen, nämlich kriegerisch-wütenden Stimmung auf den Weihnachtsmarkt ziehen konnte. Bis zum Ende dieser Woche soll feststehen, ob der Wiener damit eine Anstiftung zum Mord im Sinn des österreichischen Strafgesetzbuches begangen hat. Lorenz K.`s Verteidiger, Wolfgang Blaschitz, sagt: Sein Mandant müsse von diesem Vorwurf freigesprochen werden, weil er kaum echten Einfluss auf den „bis in die Zehenspitzen radikalisierten“ Ludwigshafener hatte. Die Richter allerdings haben längst erkennen lassen, dass sie das anders sehen.

Juristische Laien entscheiden

Sie meinen: Für einen Schuldspruch reicht es schon, wenn der 19-Jährige seinem Freund damals ein paar Tipps gegeben hat. Doch die drei Juristen haben diese Frage gar nicht zu entscheiden. Über Schuld oder Unschuld in jedem einzelnen Anklagepunkt werden, so ist es in Österreich in besonders schweren Fällen üblich, juristische Laien entscheiden: normale Bürger, die das Los zu Geschworenen in diesem Prozess bestimmt hat.

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