Rheinland-Pfalz Streit um Schutzschild

MAINZ (ros). Seit 30 Jahren werden in Rheinland-Pfalz Waldflächen großflächig gekalkt. 66,8 Millionen Euro wurden für diese Umweltvorsorge bisher ausgegeben: Die durch Luftschadstoffe verursachte Bodenversauerung und deren negativen ökologischen Folgen sollen damit abgepuffert werden. Jetzt will die Landesregierung den Umfang der Bodenkalkungen deutlich reduzieren. Der Grund: Der Kalkschutz wirkt angeblich länger als bisher angenommen. Die CDU-Opposition hält dies für eine „faule Ausrede“.

Die Wirksamkeit von Bodenschutzkalkungen ist für den Landesforstbetrieb unbestritten. Untersuchungen der Forschungsanstalt für Waldökologie und Forstwirtschaft in Trippstadt zeigten, dass bereits nach kurzer Zeit die Nährstoffversorgung der Blätter und Nadeln deutlich verbessert werde und die Säurefracht in den Sickerwässern stark abnehme. In den Hochzeiten, als Sauerer Regen und Waldsterben Schlagworte in der umweltpolitischen Debatte waren, wurden in Rheinland-Pfalz pro Jahr bis zu 57.000 Hektar Waldfläche gekalkt. Aktuell sind es noch 5460 Hektar, 2015 wohl nur 1133 Hektar. Was sind die Gründe für die erhebliche Reduzierung? Da in der Vergangenheit jene Waldstandorte, die durch Bodenversauerung gefährdet seien, mindestens einmal gekalkt wurden, sei derzeit ausreichend Säurepuffer im Boden vorhanden, heißt es in einer Antwort von Umweltstaatssekretär Thomas Griese (Grüne) auf eine Anfrage des CDU-Landtagsabgeordneten Michael Billen. Deshalb würde sich selbst ein Aussetzen der Bodenschutzkalkung momentan nicht „unmittelbar negativ“ auf die Waldböden auswirken, argumentiert Griese. Der Staatssekretär verweist auf eine Studie der Universität Trier: Demnach hält die stabilisierende Wirkung einer Bodenschutzkalkung auf den Nährstoffhaushalt länger an als ursprünglich kalkuliert. Griese: „Der Kalkungsturnus kann auf 20 bis 40 Jahre ausgeweitet werden.“ Rheinland-pfälzische Förster waren dagegen bisher davon ausgegangen, dass wegen der in den oberen Bodenschichten gespeicherten Säuremengen die Kalkung vielerorts bereits nach zehn Jahren wiederholt werden müsse. Eine Sichtweise, die auch der Landesforstbetrieb so auf seiner Internetseite kundtut. Den von der Landesregierung nun geplanten Kurswechsel beim Bodenschutz für den Wald hält CDU-Landtagsabgeordneter Billen für falsch: „Das wird sich rächen.“ Die These von der Langzeitwirkung der Kalkung ist für Billen eine „faule Ausrede“. Dies sei nur der Versuch zu erklären, warum man an dieser Stelle Mittel einsparen will, sagte der CDU-Abgeordnete gestern. Zeitweise hatte Rheinland-Pfalz für die Bodenschutzkalkung jährlich über fünf Millionen Euro ausgegeben, zuletzt waren es immerhin noch zwischen ein und zwei Millionen Euro. Im nächsten Jahr soll die Förderung auf 130.000 Euro heruntergefahren werden. Ursprünglich war sogar einmal eine Kürzung auf Null erwogen worden. Die Intensität der Bodenschutzkalkung unterscheidet sich stark zwischen den Bundesländern: Bayern, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern kalken nur in Ausnahmefällen. Großflächig gekalkt wird dagegen in Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Sachen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und bislang auch in Rheinland-Pfalz. Ganz will sich das Mainzer Umweltministerium von dieser Linie nicht verabschieden. Einen generellen Verzicht auf den Kalkeinsatz plane die Landesregierung nicht, sagt Staatssekretär Griese. Zur Begründung heißt es: „Trotz Verminderung der Emission versauernd wirkender Luftverunreinigungen schreitet die Bodenversauerung auf etlichen Waldflächen ohne Bodenschutzkalkung voran.“ Unumstritten ist der Kalkeinsatz nicht. Manche Umweltschützer sehen darin ein Heilmittel mit beträchtlichen Nebenwirkungen. Die Bodenvegetation im Wald reagiere auf Kalkung mit der Zunahme von in der Regel unerwünschten Arten wie Brombeere, Himbeere und Reitgräsern. Dagegen gingen Moose zurück und die Artenzusammensetzung bei Pilzen und Bodenfauna verändere sich vollständig, sagt beispielsweise Albert Reif, Professor für Vegetationskunde an der Universität Freiburg. „Umweltvorsorge oder Naturschutzproblem?“ lautete die Frage, als die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg und der Landesnaturschutzverband unlängst auf einer Tagung das Pro und Kontra von Waldkalkungen erörtern ließen. Experten zeigten dort auf, wie Kalkungen Moore, Quellbereiche, Felsen, Schlucht- und Hangmischwälder sowie viele Moose schädigen können. Der Mainzer Umweltstaatssekretär Griese greift auf solch Kritik freilich nicht zurück, um das Herunterfahren der Waldkalkungen in Rheinland-Pfalz samt der damit verbundenen Einsparungen im Forstetat zu begründen: Die mit der Bodenschutzkalkung verbundenen Folgen für das Ökosystem Wald seien „hinreichend bekannt“. Die Risiken könnten durch einen fachgerechten Einsatz „beherrscht werden“.

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