Hochstadt/Hochdorf Rücksicht macht die Wirtschafts-Wege breit

Es kann richtig eng werden auf den Wegen, wenn ein Vollernter unterwegs ist.
Es kann richtig eng werden auf den Wegen, wenn ein Vollernter unterwegs ist.

Es ist für alle Generationen schwer, in diesem Corona-Winter genug Bewegung zu bekommen. Vor allem an den Wochenenden geht es raus an die frische Luft: zu Fuß oder auf einem Rad in den Wald, aufs Land oder in die Weinberge. Doch da prallen Welten aufeinander: Denn die Wege, auf denen die einen Erholung suchen, sind für anderen Zufahrtswege zum Arbeitsplatz.

Schon im vergangenen Jahr ist es voller geworden auf den Wegen, für die Landwirte und Winzer bezahlen müssen. Sie sind auf den Wirtschaftswegen mit ihren Nutzfahrzeugen unterwegs. Daher sind die Beiträge in der Regel für sie auch kein Thema. Dafür treibt viele um, dass es an den Stellen, an denen sich begegnet wird, enger geworden ist.

Wege stellen Arbeitsplatz dar

„2020 wurden in Deutschland drei Millionen Fahrräder, viele davon E-Bikes, verkauft, viele an normalerweise gerngesehene Gäste der Pfalz. Momentan verlieren wir jedoch die Oberhand über unsere Wege. Viele unserer Mitbürger denken im Traum nicht daran, dass diese für uns einen Arbeitsplatz darstellen“, erklärte Reinhold Hörner aus Hochstadt (Landkreis Südliche Weinstraße) bei den Weinbautagen in Neustadt Mitte Januar. Der Winzer und Präsident des Weinbauverbands Pfalz hat vielen Kollegen aus der Seele gesprochen, als er sagte: „Bei einigen fehlt die Einsicht, dass wir mit schweren Arbeitsmaschinen mehr Platz brauchen und ein Schritt zur Seite nicht weh tut.“

Und ein freundliches Wort auch nicht. Wenn er mit schwerem Gerät unterwegs ist, kommt es zu Situationen, in denen er und beispielsweise ein Radfahrer sich gegenseitig überraschen. „Ein freundlicher Gruß entschärft die Situation, statt sich rumzudrehen und einem den Buckel zu zeigen“, sagt Hörner, aus dessen Sicht die Touristen weniger das Problem sind, sondern eher die Einheimischen. Der Südpfälzer will, vor allem auch mit Blick auf die schnellen E-Bikes, ein Unglück vermeiden: „Man muss sich wundern, dass nicht noch mehr passiert ist.“ Erschwert wird die Lage durch die am 28. April 2020 erlassene Novelle der Straßenverkehrsordnung, der zufolge Radfahrer innerorts nur noch mit 1,50 Meter und außerorts mit 2 Meter Abstand überholt werden dürfen.

„Es geht ums ab- und zugeben“

„Da schlagen zwei Seelen in meiner Brust, ich laufe jeden Morgen selbst eine Stunde auf den Wegen“, sagt Walter Schmitt. Der Landwirt aus Hochdorf-Assenheim (Rhein-Pfalz-Kreis) hat einen ähnlichen Blick auf die Geschichte. „Es geht ums ab- und zugeben“, sagt der Ortsbürgermeister, der in dieser Funktion auch viel darauf angesprochen wird, dass Landwirte an Spaziergängern zu schnell vorbeifahren mit dem landwirtschaftlichen Fahrzeug.

„Jeder beharrt auf seinem Recht. Aber wenn alle sich richtig verhalten, ist es kein Problem. Man muss aber auch ein bissel mitdenken“, sagt Schmitt. Soll heißen: Wenn es beispielsweise windig ist, ist den Fußgängern geholfen, wenn sie sich ganz einfach auf die Seite des Wegs stellen, aus der der Wind bläst. Dann gibt es auch keinen Grund, auf den Bauern zu schimpfen wegen des aufgewirbelten Drecks, wenn er vorbeifährt. Die Landwirte stören sich mitunter daran, dass Fremde auch abseits der Wege sind. Da hört der Bürgermeister dann den Spruch: „In der BASF laaft a känner durch.“

Laubwände behindern Sicht

Und wenn schon einer durchläuft, dann soll er bitte nichts dalassen. Stichwort Hundekot. „Manche lassen die Hunde wie selbstverständlich in den Wingert. Ich laufe aber auch nicht durch deren Vorgarten“, sagt Reiner Bossert, Vorsitzender der Bauern- und Winzerschaft in Neustadt-Duttweiler. Auch aus Bosserts Sicht kann es „ganz schnell zu gefährlichen Situationen kommen“. Vor allem im Sommer, wenn die Laubwände hoch sind, „dann sieht man nichts mehr“. Für den Winzer fühlt sich das mitunter dann an wie mit dem Auto aus dem Hoftor rausfahren. Aber auch er sagt: „Die Touristen sind nicht das Problem.“ Eher Jogger mit Kopfhörern, die nichts mehr hören, Hundebesitzer und diejenigen, die sich die Schuhe nicht schmutzig machen wollen. „Ich muss auf einem 3,50 Meter breiten Weg mit einer drei Meter breiten Maschine ausweichen“, erklärt er. Und das Bankett, den Randstreifen, will er auch nicht plattfahren ... Und wenn er einmal in Sachen Pflanzenschutz unterwegs ist und sprüht, wäre Abstand auch nicht schlecht. „Aber da fehlt ein bisschen das Gefühl“, sagt er mit Blick auf die Freizeitler, die auch ihm prinzipiell willkommen sind. Was hilft? In Neustadt sind im vergangenen Jahr Hinweisschilder gemacht worden, von denen jeder Ortsteil zehn bekommen hat. Die darf sich der Arbeitskreis Weindörfer als Ergebnis anheften.

„Wo Wein wächst, ist es schön“

„Ganz viele Menschen haben wahrscheinlich zum ersten Mal die Flur ihres Ortes gesehen“, sagt Andreas Köhr vom Bauern- und Winzerverband (Mainz) mit Blick auf das veränderte Freizeitverhalten. „Da, wo Wein wächst, ist es ja schön“, sagt Köhr, und er kann das beurteilen, denn er stammt aus Ruppertsberg (Verbandsgemeinde Deidesheim). Auch beim Verband ist registriert worden, dass die Konflikte zunehmen. Aus Sicht von Köhr gibt es keinen „Königsweg“. Wichtig sei ein respektvolles Miteinander. Im Mainzer Raum gilt: Rücksicht macht die Wege breit.

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