Rheinland-Pfalz Plötzlich Zahnschmerzen

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Wir Pfälzer pflegen mit Saarländern, Badenern und Rheinhessen normalerweise gute Nachbarschaft. Klar, da gibt es den einen oder anderen Saarländer-Witz. Geschenkt! Schon deshalb, weil die meisten dieser Witze nicht wirklich lustig sind. Ein Beispiel: Bei welchem Schild ist das Wenden auf der Autobahn erlaubt? „Willkommen im Saarland“! Auch das Verhältnis zu den Rheinhessen ist eigentlich im Lot. Daran ändert auch nichts, dass der Mainzer Dom ein paar Meter höher in den Himmel ragt als die Speyerer Kathedrale und dass die rheinhessische Weinbaufläche ausufernder ist als die pfälzische. Das Selbstbewusstsein der Pfälzer stärkt es stattdessen, dass ihr Wein besser schmeckt und dass bisher mehr Deutsche Weinköniginnen aus der Pfalz als aus Rheinhessen kamen. Doch vor zwei Wochen gab es in Rheinhessen einen Paukenschlag, der uns Pfälzer doch etwas neidvoll in die Nachbarregion blicken ließ. In Mainz verkündeten Archäologen auf einer Pressekonferenz, dass sie in den Sand- und Kiesablagerungen des Ur-Rheins bei Eppelsheim (Kreis Alzey-Worms) zwei 9,7 Millionen Jahre alte Zähne von Menschenaffen entdeckt hätten. „Sensation“, „unglaublich“, „in Europa einmalig“, jubelte das Ausgrabungsteam um Herbert Lutz, stellvertretender Direktor des Naturhistorischen Museums in Mainz. Und der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling orakelte sogar über den Backen- und Eckzahn: „Wir müssen heute beginnen, die Geschichte der Menschheit umzuschreiben.“ Der Fund sei nur vergleichbar mit Zähnen, die in Afrika entdeckt wurden und zu den sogenannten Vormenschen der Gattungen Ardipithecus und Australopithecus gehörten, sagte Lutz. Jedoch seien die Zähne aus Eppelsheim vier bis fünf Millionen Jahre älter als die afrikanischen Exemplare. Wenn das stimmt, hätte sich der evolutionäre Übergang vom Vormenschen beziehungsweise Menschenaffen zum modernen Menschen nicht, wie bisher angenommen, in Afrika vollzogen – sondern womöglich schon mehrere Millionen Jahre früher in Rheinhessen. Das wäre in der Tat eine Weltsensation. Die Eppelsheimer Zähne fanden so auch bundesweite Aufmerksamkeit; doch schon wenige Tage regte sich Kritik. Im englischsprachigen Wissenschaftmagazin „New Scientist“ meldeten sich internationale Experten wie David Begun von der Universität Toronto zu Wort: Die Fossilien aus Rheinhessen hätten mit Vormenschen nichts zu tun. Der Backenzahn stamme vermutlich von einer ausgestorbenen Meerkatzenart, aber bestimmt nicht von einem frühen Menschenaffen. Den Eckzahn ordneten die Kritiker gar einem Hirsch zu. Dass die Mainzer Archäologen mit ihrem Fund an die Öffentlichkeit gegangenen waren, ohne zuvor Fachspezialisten zu kontaktieren, sieht im Nachhinein nach einem kalkulierten Alleingang aus. Gegenüber dem SWR bekannt Lutz: „Wir wollten nicht im Kleingedruckten erscheinen. Es sollte klar werden, wer diesen Grabungserfolg hat.“ Möglicherweise standen die Mainzer auch unter Erfolgsdruck, denn Land und Stadt hatten in den vergangenen Jahren rund 800.000 Euro in das Projekt investiert. Inzwischen will sich das Team um Lutz öffentlich mit Äußerungen zurückhalten und „weiter inhaltlich arbeiten“. Der stattdessen vorgeschickte Mainzer Stadtsprecher Ralf Peterhanwahr ruderte nun etwas zurück: Was die Mainzer Archäologen vorgelegt hätten, sei eindeutig als „erster Fundbericht“ bezeichnet worden. Es handele sich „erklärtermaßen nicht um eine endgültige Einordnung und Bestimmung“. Kritik sei zudem im Wissenschaftsbetrieb nichts Ungewöhnliches, sie werde „detailliert“ geprüft. Das heißt: Man will sich jetzt selbst auf den Zahn fühlen. Gut nachbarschaftlich drücken wir den Rheinhessen die Daumen, dass dies kein allzu schmerzhafter Prozess wird. | Rolf Schlicher

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