Rheinland-Pfalz Neue Lüftungsanlage: „Wie dreimal Stoßlüften pro Stunde“

Ein Schüler sitzt an der IGS Mainz Bretzenheim unter einem Luftabzug. Die Stadt Mainz will mehr als 300 Klassenzimmer mit einfac
Ein Schüler sitzt an der IGS Mainz Bretzenheim unter einem Luftabzug. Die Stadt Mainz will mehr als 300 Klassenzimmer mit einfachen, vom Max-Planck-Institut für Chemie erfundenen, Abluftanlagen ausstatten.

Eine vielversprechende Alternative zum Stoßlüften in Corona-Zeiten wird an Mainzer Schulen erprobt. Die beim Max-Planck-Institut für Chemie entworfene Anlage stößt vielerorts auf Interesse – und ist vielleicht eine Lösung für Büros.

Die Idee ist einfach und könnte den Schulunterricht im Corona-Winter sicherer machen: „Jeder Mensch produziert warme Luft, die nach oben steigt. Richtet man diesen Luftstrom nach draußen, nimmt er Aerosolpartikel und mögliche Coronaviren mit sich“, erläutert das Max-Planck-Institut (MPI) für Chemie in Mainz das Prinzip. Das dafür notwendige Abluftsystem lasse sich aus einfachen Materialien bauen, die im Internet bestellt werden könnten, sagt Frank Helleis, Physiker am MPI. „Die Anlage bringt so viel wie dreimal Stoßlüften pro Stunde.“ Das ist die Empfehlung des Umweltbundesamtes für Klassenräume im Herbst und Winter.

Breite Schirme direkt über den Tischen, an den Decken verbunden mit einem Rohr - so sieht die Anlage aus. „Alle Rohre führen in ein zentrales Rohr, das wiederum durch ein gekipptes Fenster nach draußen führt“, erläutert das MPI. „Ein Ventilator am Ende des Rohrs sorgt dafür, dass die Luft aktiv nach draußen transportiert wird.“ Einen Baubericht und die Dokumentation der Messreihen veröffentlicht das MPI auf seiner Homepage. Die Materialkosten pro Klassenraum beziffert Helleis auf ungefähr 200 Euro. In der Integrierten Gesamtschule Mainz-Bretzenheim seien bereits drei Abluftanlagen im Einsatz, in der Grundschule Marienborn zehn.

„Überzeugende Messwerte“

Bei ersten Messungen seien rund 90 Prozent der Aerosole und etwa 50 Prozent CO2 aus den Klassenräumen entfernt worden. „Den großen Unterschied haben wir noch nicht richtig verstanden“, sagt Helleis. Es werde weiter getestet, voraussichtlich von kommender Woche an auch unter ganz normalen Unterrichtsbedingungen – mit Meersalz-Aerosolen. Die Abluftanlage sorge, auch unabhängig von Covid-19, für bessere Luft in den Klassenzimmern.

„Die Messwerte sind überzeugend“, schildert die Sprecherin des Bildungsministeriums, Sabine Schmidt, die Einschätzung ihrer Fachabteilung. Wenn sie sich bestätigten, könne dies auch etwas für andere Schulen oder gar andere Einrichtungen wie Büros sein, sagt sie.

In Pausen trotzdem lüften

Wolfram Birmili vom Umweltbundesamt stellt fest: „Lufthygienisch ist das Studiendesign und die Erfassung des Partikelreduktionserfolges auf den ersten Blick plausibel belegt und valide.“ Allerdings ersetze die Anlage das Lüften in den Pausen nicht. Im Gegensatz zu mobilen Luftreinigern, deren Einsatz das Bundesamt nur als Ausnahme sehe, „kann mit dieser technischen Lösung auch während des Unterrichts eine Abfuhr von Schadstoffen, Feuchte und CO2 aus der Raumluft vorgenommen werden“, stellt der Fachmann für Innenraumhygiene fest. Der Nachweis, dass die Absaugung mit nur einem Ventilator wirklich flächendeckend funktioniere, fehle aber noch. Fragezeichen sieht Birmili auch bei der elektrischen Sicherheit – eine simple Steckdose – und der Konstruktion: direkt über den Köpfen der Schüler.

Zudem müsse ausreichend Zuluft nachströmen können. Birmili geht auch von etwas höheren Kosten aus, da ein geeigneter Ventilator schon etwa 100 bis 200 Euro koste und möglicherweise mehrere Ventilatoren pro Anlage notwendig seien. Dennoch sei es eine preiswerte Anlage, die zwei begabte Heimwerker an einem Vormittag installieren könnten.

Verzicht auf Masken möglich?

Allein in den ersten zwei bis drei Tagen seien mehr als 2700 Anfragen aus Deutschland und einigen europäischen Nachbarländern eingegangen, berichtet MPI-Sprecherin Simone Schweller. Viele Anfragen seien kritisch gewesen, die Bedenken hätten aber bisher alle ausgeräumt werden können. Statik und Brandschutz nennt der Leiter der testenden IGS, Roland Wollowski, als Beispiele.

An der IGS mit ihren rund 1400 Schülern sollen am kommenden Wochenende Schüler, Eltern und Lehrer geschult und dann damit begonnen werden, 30 weitere der insgesamt 90 Räume auszustatten. Ob dann im Winter auch auf die Masken im Unterricht verzichtet werden könne, sei noch offen. „Noch muss die Anlage beweisen, dass sie das kann.“ Helleis vom MPI empfiehlt den Mund-Nasen-Schutz trotzdem weiter, weil er das Infektionsrisiko zusätzlich drücke.

„Die Kollegen sind unheimlich froh über alles, was gegen dieses Virus agieren kann“, sagt die Rektorin der Grundschule, Karin Mades. Sie freut sich, dass der Unterricht nicht mehr alle 20 Minuten zum Lüften unterbrochen werden muss und die Kinder und ihre Lehrer dabei aus allem rausgerissen werden. Die Raumtemperatur sinke beim Lüften zudem so sehr, dass es bis zum nächsten Mal nicht mehr richtig warm werde.

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