Koblenz Liebesbrief-Archiv: „Unendlich umarmtes Miststück“

Welche Kosenamen heute und früher genutzt wurden: Birte-Carola Gnau-Franké zeigt historische Liebesbriefe. Sie ist Geschäftsführ
Welche Kosenamen heute und früher genutzt wurden: Birte-Carola Gnau-Franké zeigt historische Liebesbriefe. Sie ist Geschäftsführende Leiterin des Liebesbrief-Archivs in Koblenz.

Herr Borener liebt Lotte. „Ein göttliches Feuer strömt in meinen Adern, reißt mich hin, wirft mich zu den Füßen meiner Göttin nieder.“ So umschwärmt Borener seine Angebetete 1715 – es ist das älteste Schreiben im Liebesbrief-Archiv Koblenz-Darmstadt. Es ist deutschlandweit das einzige Archiv seiner Art. Das jedenfalls sagen die verantwortlichen Sprachwissenschaftler.

1997 hat Eva Lia Wyss das Archiv mit Zeitungsaufrufen zur Einsendung von Briefen gegründet. Nun feiert es sein 25-jähriges Bestehen mit einer „Langen Nacht der Liebesbriefe“ in Koblenz. Die Veranstaltung am 24. September ist längst ausgebucht. Das Archiv umfasst 25.000 Briefe, E-Mails und Kurznachrichten aus 52 Ländern und vier Jahrhunderten. Im Handy-Zeitalter erfolgt die Liebesbekundung meist digital. Oder sie wird auf Zettelchen zu Hause geschrieben. Auch das interessiert die Sprachwissenschaftler in Koblenz und Darmstadt. „Es gibt Paare mit einer Art offenem Kanal“, sagt die gebürtige Schweizerin Wyss, die an der Uni Koblenz-Landau lehrt. „Sie schreiben sich tagsüber alle drei Stunden oder sogar jede halbe Stunde.“ Die Texte werden kürzer und Bilder wichtiger: Fotos und Emojis (Bildsymbole) zeigen die Gefühle.

Kalligrafie wieder im Trend

Die traditionellen Liebesbriefe sind laut Professor Wyss dennoch nicht ausgestorben: „Zu besonderen Anlässen wie Geburtstagen und Hochzeitstagen schreiben Leute noch Briefe mit der Hand, auch auf Büttenpapier und schön dekoriert.“ Die Kalligrafie, also die Kunst der schönen Handschrift, sei wieder ein Trend. „Schatz“ oder „Schatzi“ ist nach früheren Angaben der Darmstädter Linguistik-Professorin Andrea Rapp der häufigste Kosename in Liebesbriefen – schon seit dem 19. Jahrhundert. Ihre Kollegin Wyss sagt, Verniedlichungen wie „Engelein“ und „Prinzesschen“ seien ebenfalls beliebt. Je nach Beziehung würden Kosenamen auch weniger romantisch als vielmehr scherzhaft und originell gewählt.

„Innigstgeliebteste“ oder „Froschmäulchen“

Und im Wandel der Zeit ändern sich die Kosenamen. Wyss nennt Beispiele: „Theuerste Innigstgeliebteste“ im 19. Jahrhundert und „Firlefanz“ in den 1920er Jahren. In einer Korrespondenz der 1990er Jahre heißt es: „Froschmäulchen, Untierchen, Tierchen, Königskind, Untier, unendlich umarmtes Miststückchen.“ Liebesbriefe seien ein kultureller Schatz, der oft jahrzehntelang auf Dachböden und in Kartons schlummere. „Bei Haushaltsauflösungen sehen dann viele unser Archiv als tolle Möglichkeit, nicht alles wegzuwerfen, und schicken uns die alten Liebesbriefe von Eltern und Großeltern“, so Wyss.

Liebesbriefe auf dem Marktplatz

Namen würden gegebenenfalls anonymisiert. Etwa wenn diese private Post bei den neuen Liebesbrief-Stammtischen in Koblenz und Darmstadt beim bürgerwissenschaftlichen Projekt „Gruß & Kuss“ besprochen werde. Dieses laufe von 2021 bis 2024, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit rund einer halben Million Euro. Privatleute können sich an der Analyse beteiligen.

Projektkoordinatorin Lena Dunkelmann sagt: „Beim ersten Stammtisch haben wir uns Kosenamen angeschaut. Beim zweiten Stammtisch am 14. September parallel in Koblenz und Darmstadt geht es um Liebesbriefe in Kurrent.“ Das ist eine historische Schreibschrift. Es gibt auch Online-Workshops und Sprechstunden für Menschen, die sich über die wissenschaftliche Aufbereitung und Analyse von Liebesbriefen informieren wollen. Wyss: „Wir haben sogar schon Vorträge über Liebesbriefe auf Marktplätzen gehalten.“ Mehr als 60 Menschen unterstützen zurzeit die Wissenschaftler des Archivs, dessen Briefe in der Unibibliothek Koblenz liegen. Digitalisiert und zugänglich gemacht werden sie zusammen mit der Technischen Universität Darmstadt.

Verschlüsselt, von 17 Männern

Wyss erinnert sich an Ungewöhnliches: An ein Paar, dessen Eltern gegen die Verbindung waren, schrieb sich in den 1950er Jahren geheime, als musikalische Noten verschlüsselte Botschaften. Und an eine Frau, die in den 1920er Jahren Briefe von 17 verschiedenen Männern bekommen habe, auch parallel: „Sie hat das Leben ausgekostet.“

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