Rheinland-Pfalz Interview: Malu Dreyer will in Kandel ein breites Bündnis

Ministerpräsidentin Dreyer (stehend) wirbt in Kandel darum, gemeinsame Strategien zu erarbeiten, um die Stadt vor diesen „aggres
Ministerpräsidentin Dreyer (stehend) wirbt in Kandel darum, gemeinsame Strategien zu erarbeiten, um die Stadt vor diesen »aggressiven Aufmärschen« zu schützen.

In Kandel hat Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) am Dienstagabend Kommunalpolitiker und gesellschaftliche Kräfte getroffen, um über die dortigen Demonstrationen der letzten Zeit zu sprechen. Am vorletzten Wochenende trafen sich 4000 Gegner der Flüchtlingspolitik in der Stadt. Dort wurde im Dezember eine 15-jährige Schülerin erstochen. Tatverdächtig ist ein afghanischer Flüchtling. Vor dem Treffen sprach die RHEINPFALZ mit Dreyer.

Vorletztes Wochenende demonstrierten in Kandel 4000 Menschen gegen die Flüchtlingspolitik. Anlass war der gewaltsame Tod der 15-jährigen Mia im Dezember. Unter den Teilnehmern waren erkennbar Rechtsextreme. Droht Kandel zum Zentrum einer Pegida-Bewegung im Westen zu werden?

Zumindest hat man den Eindruck, dass das die Absicht der Initiatoren ist. Vor Ort waren Anhänger der rechtsextremen Identitären Bewegung, der NPD und des III. Weges. Eigentlich war die ganze rechte Szene Deutschlands dort versammelt. Die schreckliche Tat wird für politische Zwecke instrumentalisiert. In der südpfälzischen Stadt fühlen sich viele Bürger überrollt. Mit Ihrem Besuch machen Sie deren Anliegen zur Chefinnen-Sache. Wie kann das Land der Stadt helfen? Zuerst ist es wichtig, mit den Bürgern zu sprechen. Es ist gut, dass ein großer Kreis zusammenkommt von politisch Verantwortlichen, Gewerbetreibenden, den Kirchen und von Menschen, die sich in den Initiativen stark machen für Demokratie und Toleranz. Mir ist es ein Anliegen, ihnen zuzuhören und mich auszutauschen. Ich erinnere daran, dass wir 2015 schon einmal im Westerwald erlebt haben, wie kleine Gemeinden instrumentalisiert wurden und überrannt worden sind von einer rechten Bewegung, die nicht oder zumindest nicht mehrheitlich aus Rheinland-Pfalz stammte ... ...es ging um die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge am Stegskopf... ...ja. Dort ist auch ein großes gesellschaftspolitisches Bündnis entstanden, das für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit angetreten ist. Ich war oft im Westerwald und habe auf Demonstrationen gesprochen. Die Menschen, die sich vor Ort für Demokratie und gegen Hass und Hetze engagieren, müssen wissen, dass die Landesregierung und ich ganz persönlich hinter ihnen stehen. Es geht nun um ein Zeichen der Solidarität und darum, gemeinsam Strategien zu erarbeiten, um Kandel zu schützen vor diesen aggressiven Aufmärschen. Im Januar 2017 standen Sie in Koblenz an der Spitze einer Kundgebung gegen ein Treffen der Europäischen Rechten, darunter AfD-Politiker, Marine Le Pen und Geert Wilders. Auf Ihrer Seite standen 5000 Demonstranten. Jetzt gehen in Kandel auf AfD-Initiative 4000 Leute auf die Straße, 500 demonstrierten dagegen. Hat sich das gesellschaftliche Klima verschoben? Ich bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass die Rheinland-Pfälzer nicht wollen, dass rechte Gruppen in unserem Land demonstrieren, Fremdenfeindlichkeit verbreiten und eine schreckliche Tat wie Kandel instrumentalisieren. Vor dem Wochenende war nicht klar, was sich jetzt abzeichnet, nämlich, dass die Rechten mit großer Energie bundesweit Demonstranten organisieren. Umso wichtiger ist es jetzt, ein großes gesellschaftspolitisches Bündnis zu schließen, um die Kräfte vor Ort zu unterstützen. In einer Landtagsdebatte über die NPD hat jüngst unter anderem Innenminister Roger Lewentz auf Parallelen der AfD zur NPD hingewiesen. Ist die AfD ein Fall für den Verfassungsschutz? Ich kann mit Blick auf Kandel nur darauf hinweisen, dass ein AfD-Landtagsabgeordneter in den Reihen der rechtsextremen und unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehenden Identitären Bewegung mitgelaufen ist. Es ist richtig und wichtig, dass man da genauer hinschaut. Seit der Kandeler Bluttat wird über die Altersfeststellung bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gestritten. Der mutmaßliche Täter ist wahrscheinlich 20, mindestens aber 17,5 Jahre alt. Ist Rheinland-Pfalz bisher zu naiv mit dem Thema umgegangen? Das Saarland setzt häufiger auf die medizinische Altersfeststellung. Insgesamt finde ich, dass wir in Rheinland-Pfalz die Flüchtlingsfrage sehr gut gestalten und im Griff haben. Wir haben immer sehr schnell auf neue Herausforderungen Antworten gefunden. Ich erinnere daran, dass wir vor ein paar Jahren selbst die Identifizierung in die Hand genommen haben, als der Bund nicht nachkam. Beim Thema Altersfeststellung plant Ministerin Anne Spiegel (Grüne), den Kommunen erneut das Angebot zu machen, die Alterseinschätzung von Schwerpunktjugendämtern vornehmen zu lassen. Ich finde nicht, dass wir mit dem Saarland vergleichbar sind. Das Saarland ist kleiner, hat eine andere Struktur. Aber es ist natürlich so, dass Kompetenz und Erfahrung wichtige Punkte bei der Altersfeststellung sind. Daher ist es sinnvoll, wenn wenige Experten das übernehmen. Reagiert Rheinland-Pfalz nicht vielmehr erst dann, wenn etwas passiert ist? Die Altersfeststellung nach der Bluttat, die Sicherheitsfrage in der Abschiebehaft, wenn ein Häftling entflohen ist? Ich sehe das nicht so. Ich denke, dass wir in ganz, ganz vielen Dingen immer vorne waren. Natürlich gibt es Umstände, da kann man nicht auf Erfahrungen zurückgreifen. Ich nenne jetzt mal den 13-Jährigen aus Ludwigshafen,... ...der mutmaßlich eine Bombe auf dem Weihnachtsmarkt zünden wollte. Das war der erste Fall bundesweit. Natürlich müssen sich alle Bundesländer immer wieder mit der Frage auseinandersetzen, wie sie mit der Flüchtlingsfrage umgehen. Mein Anliegen ist, dass wir auf der einen Seite Sicherheit herstellen und auf der anderen Seite die Menschen, die bleiben können, gut integrieren. Das bleibt unser Leitmotto, das wir aus meiner Sicht sehr konsequent angehen. Wo ist in diesem Zusammenhang die neue Bundesregierung gefordert? Wir haben auch in Rheinland-Pfalz Flüchtlinge, die erstens abgelehnt und zweitens auch Straftäter oder Gefährder sind und die wir gerne abschieben möchten. Aber die Herkunftsländer nehmen sie nicht auf. Etwa Marokko oder Somalia. Dafür Lösungen zu erarbeiten, ist die Erwartung, die ich an den neuen Bundesinnenministers Horst Seehofer (CSU) habe.

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