Rheinland-Pfalz Impfschäden: Weitere Verdachtsfälle

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2009 wurde weltweit vor den Folgen der Schweinegrippe – die durch das Influenza-Virus H1N1 hervorgerufen wird – gewarnt und die Bevölkerung aufgefordert, sich impfen zu lassen.

«Mainz/Kaiserslautern.» Das Schicksal der jungen Westpfälzerin, die 2010 als Zwölfjährige nach einer Impfung gegen die Schweinegrippe an der unheilbaren Schlafkrankheit (Narkolepsi) erkrankte, ist in Rheinland-Pfalz kein Einzelfall. Zwei weitere Personen haben gegenüber dem Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung einen solchen Impfschaden geltend gemacht.

Wie berichtet, hatte das Sozialgericht Koblenz vergangene Woche der Betroffenen eine Versorgungsrente von monatlich 326 Euro zugesprochen. Der Hintergrund: 2009 wurde weltweit vor den Folgen der Schweinegrippe – die durch das Influenza-Virus H1N1 hervorgerufen wird – gewarnt und die Bevölkerung aufgefordert, sich impfen zu lassen. Auch in Deutschland: Dort gab die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts im Oktober 2009 eine entsprechende Impfempfehlung heraus.

Müdigkeit und weitere Symptome

Verwendet wurde in Deutschland vor allem der Impfstoff Pandemrix. Der enthielt einen Wirkverstärker – damit ist es möglich, bei einem hohen Bedarf an Impfungen in kurzer Zeit mehr Menschen versorgen zu können. Die damals Zwölfjährige aus der Nähe von Kaiserslautern wurde damit im November 2009 geimpft. Einige Monate später traten Müdigkeit und weitere Symptome auf, die erst einige Jahre später als erste Anzeichen einer Narkolepsie erkannt wurden. Diese Krankheit sei schwer zu diagnostizieren, sagen Mediziner. Sie sei eine seltene Schlaf-Wach-Störung, typische Symptome sind Tagesschläfrigkeit und sogenannte Kataplexie – bei intensiven Gefühlen versagen die Muskeln. Nach heutigem Stand ist Narkolepsie nicht heilbar. Im August 2010 hatte es erste Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen den Pandemrix-Impfungen und dem Auftreten der Schlafkrankheit gegeben: Damals informierte die schwedische Arzneimittelbehörde über Narkolepsie-Fälle bei Kindern und Jugendlichen nach der Impfung. Weitere Analysen in Finnland, Irland, Frankreich und England stützten den Verdacht, dass Pandemrix in seltenen Fällen die unheilbare Schlafkrankheit auslösen kann.

Mainz hatte Entschädigung abgelehnt

Im Fall der jungen Frau aus der Westpfalz hatte das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung in Mainz gleichwohl eine Entschädigung abgelehnt, zu der es jetzt aber durch das Urteil des Sozialgerichts verpflichtet wird. Zu den Gründen der ursprünglichen Ablehnung äußert sich die Behörde mit Verweis auf die Rechte der Betroffenen nicht. Das Landesamt teilte jedoch auf Anfrage mit, dass „wegen der Angabe einer Narkolepsie aufgrund einer Impfung gegen H1N1“ neben der jungen Westpfälzerin bisher zwei weitere Personen einen Antrag auf Versorgung gestellt haben – zum Zeitpunkt der Impfung waren sie 19 beziehungsweise 35 Jahre alt. Ein Fall sei positiv beschieden worden, der andere Antrag werde „noch im Rahmen des Vorverfahrens geprüft“. Wie viele Betroffene es aktuell bundesweit gibt, dazu fehlen offizielle Zahlen. Bis Ende Oktober 2016 waren dem Paul-Ehrlich-Institut (Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel) insgesamt 86 Verdachtsfälle einer Narkolepsie im zeitlichen Zusammenhang mit Pandemrix berichtet worden. Eine Studie des Instituts kam inzwischen zu dem Ergebnis: Unabhängig von der Schweinegrippe-Impfung erkrankt in Deutschland jährlich eine Person von 156.250 Menschen an Narkolepsie – im Falle einer Pandemrix-Impfung ist das Risiko um ein Vierfaches höher.

1,44 Millionen Dosen nicht benötigt

Dass nicht mehr Narkolepsie-Erkrankte zu beklagen sind, könnte daran liegen, dass sich 2009/2010 letztlich weit weniger Menschen gegen Schweinegrippe impfen ließen, als vorhergesehen – und von den Gesundheitsbehörden damals empfohlen. Das lag auch daran, dass der Verlauf der Schweinegrippe entgegen den Befürchtungen in Deutschland relativ mild war. Die Folge: Zur Abwehr einer Pandemie hatte die Bundesregierung zwar im August 2009 per Verordnung die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet, bei ihren Versicherten die Kosten für Impfungen gegen die neue Influenza zu übernehmen. In Rheinland-Pfalz waren von dem für das Land georderten Impfstoff Pandemrix aber letztlich 1,44 Millionen Dosen nicht benötigt worden. Verimpft wurden lediglich rund 234.000 Dosen. Auf den Kosten für den nicht eingesetzten Impfstoff blieb das Land sitzen: Der Finanzminister ging seinerzeit von außerplanmäßigen Ausgaben in Höhe von rund 10,5 Millionen Euro aus. Die Bundesländer waren seit Sommer 2009 vom Bund gedrängt worden, sich Impfstoff zu besorgen. Hersteller von Pandemrix war das britische Pharma-Unternehmen „GlaxoSmithKline“. Dieses hatte nach Medienberichten damals in den Kaufverträgen eine Haftung für mögliche Nebenwirkungen bei diesem wenig erprobten Impfstoff ausdrücklich ausgeschlossen. Aufgrund des Infektionsschutzgesetzes muss aber in diesem Fall ohnehin der Staat einspringen: Denn wenn eine zuständige Landesbehörde eine Schutzimpfung öffentlich empfiehlt – wie dies bei der Schweinegrippe der Fall war – oder sie gar gesetzlich angeordnet wird, können Betroffene bei einem Impfschaden Entschädigungsansprüche gegenüber den Versorgungsämtern geltend machen.

Gesundheitsministerium verteidigte Vorgehen

Die Zulassung von Pandemrix durch die Europäische Kommission im Oktober 2009 basierte auf drei Studien, die bei insgesamt 5156 Erwachsenen im Alter von 18 bis 60 Jahren durchgeführt worden waren. Weil die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2009 eine Pandemie durch die Schweinegrippe befürchtete, bestand Zeitdruck. Das Bundesgesundheitsministerium verteidigte deshalb das Vorgehen 2015 in seiner Antwort auf eine Anfrage der Linken-Fraktion: Zum Zeitpunkt der Zulassung von Pandemrix habe es „keine Hinweise auf mögliche schwere Nebenwirkungen, wie Narkolepsie“ gegeben. Auf der Basis der vorliegenden Daten sei die Ständige Impfkommission 2009 zu dem Schluss gekommen, „dass der erwartete Nutzen der Impfung mögliche (sehr seltene) Risiken überwiegt“. Da sehr seltene Nebenwirkungen durch Zulassungsverfahren nicht immer erfasst werden könnten, habe die Kommission aber damals „auf die Notwendigkeit einer fortlaufenden Beobachtung hingewiesen, um mögliche sehr seltene Impfnebenwirkungen frühzeitig identifizieren zu können“, so das Ministerium. Für das Mädchen in der Westpfalz und andere Betroffene kam das Ergebnis dieser „Beobachtung“ indes zu spät.

Wirkverstärker im Verdacht

Auf welche Weise Pandemrix krank machen kann, ist inzwischen in Studien untersucht worden. Im Verdacht steht auch der in dem Impfstoff enthaltene Wirkverstärker AS03 – dieser könnte im Immunsystem der für eine Narkolepsie-Erkrankung genetisch vorbelasteten Personen den auslösenden „Kick“ für ein Ausbrechen der Krankheit verursacht haben. „Das ist immer eine schwierige Entscheidung, egal, wie man es macht, kann es schiefgehen“, sagt die Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts, Susanne Stöcker. Verzichte man bei einer befürchteten Pandemie auf einen Wirkverstärker, würden möglicherweise Menschen sterben, weil es zu wenig Impfstoff gibt. Arbeite man mit einem Wirkverstärker, nehme man unter Umständen extreme Nebenwirkungen in Kauf.

Eine Pandemrix-Ampulle mit Wirkverstärker (rechts).
Eine Pandemrix-Ampulle mit Wirkverstärker (rechts).
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