Rheinland-Pfalz Ein „einzigartiges“ Verbrechen

Die Angehörigen Ismail Toruns und ihre Anwälte kritisieren immer wieder die Arbeit der Polizei. Nun hat der Chef der Ludwigshafe
Die Angehörigen Ismail Toruns und ihre Anwälte kritisieren immer wieder die Arbeit der Polizei. Nun hat der Chef der Ludwigshafener Mordkommission im Prozess erläutert, warum die Ermittler zunächst nicht erkannten, dass der vor einem Jahr ermordete Unternehmer entführt worden war.

«Frankenthal.»Das aufgeknöpfte schwarze Hemd war über seinen Kopf gezogen, um seine Füße schlang sich ein blaues Seil, seinen Hals hatte ein Kabelbinder zugeschnürt. Hätten die Täter den erdrosselten Leichnam noch ein paar Meter weiter gezerrt, wäre er in den Ludwigshafener Willersinn-Weiher gefallen. Dessen Wasser hätte der Polizei dann die Spurensuche erschwert. Und wahrscheinlich wäre der Mord auch erst später entdeckt worden. Doch stattdessen lag der tote Mann bäuchlings und kaum unter Gestrüpp versteckt auf der feuchte Ufer-Erde. Und Polizisten untersuchten den Tatort schon, als der Leichnam in den ersten Stunden des 26. November 2016 erst allmählich erkaltete. Das Opfer war ein Automatenaufsteller aus dem badischen Brühl, der ein Luxusauto fuhr und oft Tausende Euro mit sich herumtrug. Also tippten die Ermittler auf einen klassischen Raubmord. Oder auf die Tat eines Mafia-Killers, der im Streit um Glücksspiel-Reviere die Konkurrenz möglichst demonstrativ beseitigen sollte. Doch mit beiden Hypothesen lagen die Beamten falsch. In Wirklichkeit untersuchten sie ein Verbrechen, das sich zu einem in der deutschen Kriminalgeschichte einzigarten Fall entwickeln sollte. So jedenfalls sagt es der Chef der Ludwigshafener Mordkommission, der im Frankenthaler Prozess gegen die drei mutmaßlichen Haupttäter nicht nur über deren Schuld reden soll. Opfer-Anwälte fragen ihn auch nach der Verantwortung der Polizei. Schließlich starb wenige Wochen später ein weiterer Geschäftsmann, der Ludwigshafener Bauunternehmer Ismail Torun. Als der Chef einer Firmengruppe mit mehr als 200 Beschäftigten erdrosselt wurde, war die Polizei den Verbrechern schon dicht auf der Spur. Notizen des Automatenaufstellers und seine letzten Telefonate hatten sie zu Handyanschlüssen der Täter geführt. Die waren auf falsche Namen registriert, doch einen Verdächtigen hatten die Ermittler trotzdem identifiziert. Nun beobachtete eine heimlich installierte Kamera den Eingang seiner Ludwigshafener Wohnung. Ein Peilsender meldete, wohin sein weißer Transporter fuhr. Und Telefonate wurden ohnehin belauscht. So bekamen die Ermittler auch mit, dass Anfang 2017 in eines der verdächtigen Geräte die Chip-Karte Toruns gesteckt wurde. Und dass der Unternehmer danach eine knappe Million Euro zusammentelefonierte. Denn er war in einen Hinterhalt gelockt worden. Nun saß er gefangen im Keller einer Mannheimer Hinterhof-Lagerhalle und sollte sich freikaufen. In dieses Verlies hatten die Täter wenige Wochen zuvor auch schon den Automatenaufsteller aus Brühl gesteckt. Der allerdings hatte sich bis zu seinem Tod standhaft geweigert, Geld zu beschaffen. Also wussten die Beamten auch ein paar Wochen später noch nicht, dass die Mörder des 64-Jährigen eigentlich Lösegeld gewollt hatten. Und Toruns Telefonate, beteuert der Chef der Mordkommission, ließen ebenso wenig erkennen, worum es wirklich ging. Denn wohlhabende und miteinander vertraute türkische Geschäftsleute leihen sich untereinander häufig gewaltige Summen, ohne groß Fragen zu stellen. Also musste der entführte Bauunternehmer seinen Gesprächspartnern vorspielen, dass er gerade einen vielversprechenden Immobiliendeal in Berlin einfädele. Das tat er so überzeugend, dass Freunde und Verwandte ebenso getäuscht wurden wie lauschende Ermittler. Wobei die Beamten immerhin wussten, dass Torun gar nicht in der Bundeshauptstadt war, sondern von Mannheim aus telefonierte. Doch auch für diese Unstimmigkeit fielen ihnen verschiedene Erklärungen ein: dass der Unternehmer gerade für ein paar Tage Ruhe vor seiner Familie suche. Oder dass er ein Geschäft mache, das er vor dem Finanzamt verstecken wolle. Oder aber: dass er selbst irgendwie zu der mutmaßlichen Mörderbande gehöre. Zu diesem Fehlschluss verleitete die Ermittler zum Beispiel eine Nummer, die Torun wählte, als er die Million für seine Freilassung zusammentrommelte. Denn dieser Anschluss, sagt der Chef der Mordkommission, gehörte einem Mann, den die Polizei mit mafiaähnlichen Strukturen in Verbindung bringt. Und: Die Ermittler hatten erfahren, dass ausgerechnet er den Automatenaufsteller angeblich bedroht hatte. Nun sagt der Beamte: Er und seine Kollegen hätten sich seither immer wieder gefragt, ob sie das Geschehen trotzdem hätten durchschauen können. Doch der Kriminalist bleibt dabei: Erst am 6. Januar 2017 ließ sich verstehen, dass Torun das zweite Opfer mörderischer Entführer war. Da lag sein Leichnam bei Bad Dürkheim im Schnee, gehüllt in seine edle, aber blutverschmierte Jacke. Und in Billig-Klamotten, die ihm die Täter gegeben hatten. Seinen Hals hatte ein Kabelbinder zugeschnürt.

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