Rheinland-Pfalz Angeklagter will mit seinem Fall vors Parlament

Miriam Weis verteidigt einen 49-Jährigen, der sagt: Er ist Opfer einer großen Verschwörung.
Miriam Weis verteidigt einen 49-Jährigen, der sagt: Er ist Opfer einer großen Verschwörung.

«Frankenthal.» In Prozessen gilt: Wer etwas zu sagen hat, soll es mündlich vortragen. Doch im Verfahren um den Tod des Ludwigshafener Unternehmers Ismail Torun und eines weiteren Geschäftsmanns decken Angeklagte das Gericht lieber mit Briefen ein. Gestern wurde ein Schreiben vorgelesen, in dem einer der mutmaßlichen Mörder für seinen Fall einen Untersuchungsausschuss des Bundestags fordert.

Miriam Weis hebt ihre Hand und meldet Protest an. Denn die Richter wollen jetzt vorlesen, was einer der Angeklagten auf 35 Seiten über die Entführung und den gewaltsamen Tod zweier Unternehmer geschrieben hat. Aber die Anwältin seines Komplizen meint: Das Dokument darf nicht verwertet werden. Schließlich sei völlig unklar, wie es entstanden ist. Denn die sorgfältig aufs linierte Papier gemalten Buchstaben übermitteln einen Bericht in deutscher Sprache. Doch der soll von einem Türken stammen, der im Prozess für sich eine Dolmetscherin beansprucht. Ohnehin, eigentlich gilt in deutschen Verfahren der „Mündlichkeitsgrundsatz“: Um Mauscheleien in Hinterzimmern zu erschweren, sollen alle, die etwas zu sagen haben, es in eigenen Worten im Gerichtssaal aussprechen. Allerdings ist es Weis’ eigener Mandant, der mit den schriftlichen Stellungnahmen angefangen hat: Er schickte den Richtern einen 107-Seiten-Bericht, in dem er sich als „erstes Opfer“ der eigentlichen Täter darstellt. Denn der 49-jährige ehemalige Betreiber einer Frankenthaler Wellness-Oase behauptet: Er sei zu den Taten gezwungen worden. Eigentliche Drahtzieher seien Mitglieder einer Bande um seinen 38-jährigen Landsmann und Mitangeklagten gewesen. Doch Indizien lassen eher den 49-Jährigen als Anführer dastehen. Also hat er jetzt mit weiteren Briefen an die Richter nachgelegt. In denen räumt er ein: „Alle Beamten, Zeugen und Familien belasten zu 99 Prozent hauptsächlich mich.“ Das allerdings liege nur daran, dass alle Angst vor der mysteriösen Bande hätten. Und daran, dass er für die mit SS- und Gestapo-Methoden arbeitenden deutschen Behörden ein „unerwünschter Türke“ sei. Damit die Richter trotzdem etwas über seinen wahren Charakter erfahren, schlägt er ihnen vor, sich mit Fragebögen bei allen 2600 Menschen zu erkundigen, die in der Kundendatei seiner früheren Firma erfasst sind. Und bei deren Angehörigen, unterm Strich kommt er auf etwa 7200 Personen. Außerdem, fordert der 49-Jährige, sollen die politischen Parteien über sein Schicksal informiert werden – damit sie im Bundestag einen Untersuchungsausschuss bilden, der sich mit dem Fall befasst. Denn immerhin beschreibt er sich als Opfer einer großen Verschwörung. Gegen ihn, sagt er, arbeiten nicht nur Polizei und Staatsanwaltschaft, sondern, zum Beispiel, auch eine im Prozess eingesetzte Übersetzerin. Und die Medien. Und seine eigene Verteidigerin. Dass er die Zusammenarbeit mit Weis verweigert, hatte er schon zu Prozessbeginn verkündet. Nun schreibt er: Dabei bliebe es auch, wenn die Anwältin ihm hier und heute einen Freispruch erkämpfen würde. Doch einstweilen kann sie ohnehin nur dagegen protestieren, dass der Brief des anderen Angeklagten im Prozess verwendet wird. Denn in diesem, der RHEINPFALZ schon seit Tagen vorliegenden Dokument wird behauptet: Die Hauptschuld liege beim 49-Jährigen (wir berichteten). Verlesen werden die 35 Seiten schließlich trotz Weis’ Einspruch. Denn mittlerweile haben die Richter das angeblich von einem Mithäftling für den 38-Jährigen verfasste Schreiben ins Türkische zurückübersetzen und ihm vorlegen lassen. Nun versichert er: Was da steht, ist, abgesehen von ein paar Ungenauigkeiten, tatsächlich seine Aussage.

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