Rheinland-Pfalz Abfuhr für Napoleon

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Die wenigsten Pfälzer wissen, dass die Weltstadt Prag und das beschauliche Hunsrück-Dörfchen Laudert etwas Kurioses gemeinsam haben: Reisende können in beiden Orten ein leicht anrüchiges Museum erkunden. Hier wie dort steht ein einst unentbehrliches Utensil im Mittelpunkt des Interesses: der Nachttopf! Brigitte Breuer hat in Laudert fast 700 verschiedene Exemplare zusammengetragen, in Prag bringt es ein Sammlerehepaar auf knapp 1800 Stück. Heutzutage stinkt es glücklicherweise nicht mehr zum Himmel, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Früher lag die Sache anders. Im Nachhinein betrachtet, müssen die mittelalterlichen Gassen in jeder Hinsicht eine Zumutung gewesen sein. Ungeniert schütteten die Bewohner den unappetitlichen Inhalt ihrer Nachttöpfe aus dem Fenster. Gerade nachts endete jeder zweite Schritt in einem Desaster. Wer das nötige Kleingeld hatte, heuerte einen Begleiter samt Laterne an, der ihn rechtzeitig vor unliebsamen Überraschungen warnte. Da war es schon ein Fortschritt, als die Straße vor dem Haus zumindest morgens gereinigt werden musste, und vielerorts die erlaubte Zeit der Entleerung auf frühestens 23 Uhr festgesetzt wurde. Zwei Vorschriften, die bei den Bürgern auf wenig Gegenliebe stießen. Wer sich ein wenig mit dem Nachttopf beschäftigt, weiß anschließend den Komfort moderner Toiletten wieder zu schätzen. Der erste Nachttopf, über den Brigitte Breuer vor 40 Jahren stolperte, war mit rosafarbenen Rosen verziert. Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, denn seitdem hat sie die Sammelleidenschaft gepackt. Die 73-Jährige schätzt alles Nostalgische. Warum ihr aber gerade die in der Pfalz liebevoll als Pottschamberl (vom französischen „Pot de Chambre“) bezeichneten Töpfchen so am Herzen liegen, kann sie gar nicht sagen. Es ist halt so. Einst fristeten die Nachtgeschirre aus Porzellan, Steingut, Blech oder Metall ein verstecktes Dasein unter Betten. In Laudert stapeln sie sich hübsch verziert in Regalen und auf Schränken. Wer sie sehen möchte, kann sich unter der Telefonnummer 06746/8930 anmelden. Stolz ist Brigitte Breuer auf ihr echtes Bourdalou aus Meißener Porzellan. Auch das exquisite französische Bourdalou ist definitiv ein „Pisspott“, wie der Nachttopf mancherorts eher abfällig genannt wurde. Namensgeber war der Prediger Louis Bourdaloue. Der gute Mann soll Ende des 17. Jahrhunderts stundenlang gepredigt haben. Einige Damen bewunderten zwar die Sprachgewalt des Jesuiten, konnten sich ihr menschliches Bedürfnis aber nicht so lange verkneifen. Daher hatten sie ihre Zofe dabei, die ihnen dann diskret einen ovalen Topf unter die langen gebauschten Röcke schob. Das Wissen um den heimlichen Nutzen des Bourdalou ging jedoch im Laufe der Zeit verloren. Mit dem delikaten Ergebnis, dass später in manchen Adelshäusern die länglichen Gefäße mit Henkel als Saucieren auf dem Festbankett landeten … Sammler zahlen übrigens Spitzenpreise für besondere Stücke. Mit einem royalen Töpfchen aus Versailles, dessen Rand der Allerwerteste des Sonnenkönigs berührt haben könnte, ließen sich locker 20.000 Euro verdienen. In Prag gehört der Nachttopf von Abraham Lincoln zu den wertvollsten Exponaten. Er stand im Schlafzimmer des amerikanischen Präsidenten. Und noch ein Schmankerl zum Schluss: Ihren Unmut über die französischen Besatzer wurden die Pfälzer los, indem sie klammheimlich einen Nachttopf benutzten, auf dessen Boden das Bild Napoleons prangte. Auf Pfälzisch hieß das: Gschisse druff! | Petra Depper-Koch

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