Wandertipp Burgentour bei Saverne: Vom Auge des Elsass zur Grotte du Brotsch

Das Auge des Elsass – wer einmal einen Sonnenaufgang hier oben erlebt hat, versteht, warum unter den vielen Burgen des Landstrichs ausgerechnet das Château du Haut-Barr diesen poetischen Beinamen trägt: Während das Morgenrot den Himmel wie ein sanfter Lavastrom durchzieht und Nebelschwaden aus den Tälern dampfen, eröffnet sich dem Frühaufsteher in 470 Metern Höhe ein schier grenzenloses Bilderbuch-Panorama, das über die Ebene bei Hagenau und Straßburg bis hinüber zur blauen Wellenlinie des Schwarzwalds reicht.
Freilich hat der Ehrentitel neben dem ästhetischen auch einen politischen Aspekt. Haut-Barr, zu Deutsch Hohbarr, war eine Burg der Straßburger Bischöfe, die von hier aus gut ihr weltliches Territorium im Auge behalten konnten. Kein Geringerer als Stauferkaiser Friedrich Barbarossa soll Bischof Rudolf von Rothweil 1168 geraten haben, die strategisch günstig gelegene Felsenfestung bei Saverne (Zabern) weiter auszubauen. Gesagt, getan. Bis ins späte 16. Jahrhundert hinein investierten die Bischöfe in die Burg. Dann kam der Dreißigjährige Krieg; im Zuge des Westfälischen Friedens wurde Hohbarr 1649/50 geschleift.

Die Ruine, die man von Landau oder Zweibrücken aus in eineinhalbstündiger Autofahrt erreicht, erscheint ähnlich spektakulär wie der Fleckenstein: Auf und zwischen drei baulich miteinander verbundene Felsenriffe aus grobem Buntsandstein-Konglomerat verteilen sich Reste aus Romanik, Gotik und Renaissance. Ein kleines architektonisches Juwel ist die romanische, später durch eine gotische Apsis erweiterte, vollständig intakte und noch immer genutzte Burgkapelle. Zwei schöne romanische Doppelfenster mit einem kreisrunden Oculus dazwischen haben sich außerdem in den Resten eines stauferzeitlichen Wohngebäudes auf der Mittelbarre erhalten, über das man auf die Oberburg gelangt. Atemberaubend spannt sich die „Teufelsbrücke“ über die tiefe Kluft zwischen den beiden südlichen Felsen. Und last but not least steht auf dem Burggelände auch noch eine schmucke Fachwerkvilla von 1901, heutzutage Domizil des Restaurants „Là-Haut“, das neben Flammkuchen und gehobener Elsässer Küche auch eine exklusive Übernachtungsmöglichkeit offeriert, in Form zweier komfortabel ausgestatteter Appartements im zweiten Obergeschoss.
Zwischen Esskastanien nach Geroldseck
Doch ehe wir diese Option auf ein Burgherrendasein 2.0 in Erwägung ziehen, geht’s erstmal auf die Piste. Denn der Ausflug nach Haut-Barr lässt sich gut mit einer rund acht Kilometer langen, abwechslungsreichen Wanderung auf schmalen Waldpfaden zu zwei weiteren Burgruinen und einer monumentalen Felsengrotte verbinden. Dazu überqueren wir den Parkplatz an der Burg in südwestlicher Richtung, tauchen an dessen Ende links in den an Esskastanien reichen Wald ein, passieren eine alte Telegrafenstation des späten 18. Jahrhunderts und erreichen, dem roten Kreuz folgend, nach zehn Gehminuten die Ruinen der Burg Grand-Geroldseck und damit das nächste Highlight nach Haut-Barr.

Groß-Geroldseck, etwa 1130 errichtet, um die Besitzungen der Abtei Maursmünster, heute Marmoutier, zu sichern, und 1471 vom Pfälzer Kurfürsten Friedrich dem Siegreichen im Zuge einer Strafexpedition zerstört, erweist sich als ebenso faszinierendes wie weitläufiges archäologisches Areal. An vielen Stellen wird gegraben, gesichtet und gesichert. Spolien stapeln sich im Gelände. Der originale Burgeingang wurde erst zwischen 2015 und 2019 freigelegt, auch der Saalbau mit seinen Gewölberesten wirkt frisch restauriert. Über allem thront der mächtige quadratische Buckelquader-Bergfried, der allerdings nur noch zur östlichen Angriffsseite hin hoch emporragt: Auf der Rückseite gibt er, geborsten, den Blick auf seine architektonischen Eingeweide frei. Dadurch kann man zum Beispiel erkennen, dass die schmalen Lichtschlitze in der Ostwand innen rundbogig gefast sind. Im dritten Obergeschoss dieses stattlichen, ehedem etwa 25 Meter hohen Donjons trugen Konsolen ein Kreuzrippengewölbe. Es lohnt sich, die Überbleibsel dieser Burg, die zu den ältesten in der Region gerechnet wird, eingehend zu besichtigen. Wer des Französischen mächtig ist, findet dazu, im Gelände verstreut, Schilder mit instruktiven Erklärungen eines rührigen Altertumsvereins.
Einmal Brotschberg und zurück
Historisch informiert setzen wir den Weg fort, nun im Zeichen des roten Rechtecks. Erst zum Table des Sorcières, wobei sich dieser „Hexentisch“ als simple Picknicktafelrunde mit Hexendeko entpuppt. Dann weiter auf den 542 Meter hohen Brotschberg. Auf dessen Gipfel, inmitten einer von Nadelbäumen umgebenen Lichtung, erhebt sich der Tour du Brotsch, ein 23 Meter hoher Aussichtsturm, 1897 von der Saverner Sektion des Vogesen-Clubs erbaut. Vom Turm ist es nur ein Kilometer zum Rocher du Brotsch. Die entsprechend benannte Grotte klafft als riesiger Schlund im Fuß dieses Sandsteinmassivs, das offensichtlich auch gerne von Kletterern genutzt wird.

Ein weiterer Kilometer – und wir stehen vor der ominösen Cuve de Pierre, einem großen runden Sandsteinzuber, der sich hier, mitten im Wald, so verloren und deplatziert ausnimmt, dass sich diverse Legenden um das Artefakt gebildet haben. Eine davon macht den überdimensionierten Steintrog zu einem Wasserspeicher einer Keltensiedlung auf dem Brotschberg. Eine andere besagt, der Trog sei für einen Weinkeller der Abtei Marmoutier bestimmt gewesen; doch weil er am Ende zu schwer für den Transport war, habe man ihn einfach im Wald zurückgelassen. Wie dem auch sei – an der Cuve wechseln wir das Wegzeichen und laufen mit dem roten Kreuz und dem Burgen-Signet des Chemin des châteaux forts d'Alsace zurück zum Table des Sorcières und weiter zur Ruine Petit-Geroldseck, die wir auf dem Weg zum Brotschberg links liegen gelassen haben und dafür jetzt kennenlernen: als in der Tat kleine Dependance von Grand-Geroldseck. Erhalten sind primär ein noch sechs Meter hoher Stumpf des Bergfrieds und die Westwand eines schmalen Wohngebäudes. Nach dem Abstieg vom Klein-Geroldsecker Burghügel geht es zurück, wie wir gekommen sind.
Der Parkplatz von Haut-Barr hat sich mittlerweile geleert. Dafür turnt nun eine der beiden kleinen Ziegen, die die Restaurantbetreiber auf der Burg halten, frei und flink über die Felsflanken der Ruine. Als sie uns sieht, spaziert sie, keck meckernd, glöckchenklingelnd, durch das Renaissance-Tor, das gemäß Inschrift Bischof Johann von Manderscheid-Blankenheim 1583 errichten ließ. Vielleicht eine dezente Aufforderung, nochmals einen Blick auf „das Auge des Elsass“ zu werfen?

Burg Hohbarr (Château du Haut-Barr) liegt etwa 3 Kilometer von Savernes Stadtmitte entfernt und kann direkt angefahren werden; vor der Burg gibt es einen Parkplatz. Dort beginnt, nach der Besichtigung der Burg, auch die Wanderung: 7,8 Kilometer, ca. 117 Höhenmeter, Wanderzeichen: rotes Rechteck, rotes Kreuz. Alle drei Burgruinen sind frei zugänglich. Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeit: Là-Haut auf Burg Hohbarr, www.restaurant-lahaut.fr. Außerdem sehenswert: Saverne mit Barockschloss (Château des Rohan), kleiner Fußgängerzone und Rhein-Marne-Kanal; die Abteikirche in Marmoutier mit vorzüglich erhaltenem romanischem Westwerk. Eine weitere Burgruine bei Saverne, Greifenstein, westlich des Rhein-Marne-Kanals und des Zorn-Tals gelegen, ist seit Sommer 2021 wegen Baufälligkeit gesperrt. Dafür gibt es in der Umgebung weitere interessante Burgruinen: Ochsenstein bei Reinhardsmunster, Lützelburg (Lutzelbourg) und Wangenburg bei Wangenbourg-Engenthal.





