Wandern im Pfälzerwald Aussichten der Tuchmacher: Rundwanderung ab Bahnhof Lambrecht
Dass Lambrecht bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein ein Zentrum der Tuchmacherei war, bildet den historischen Hintergrund der Tour, die man idealerweise mit dem Zug ansteuert. Sie startet nämlich direkt am Lambrechter Bahnhof, wo man auch gleich auf das erste architektonische Relikt vergangener Stoffwirtschaftsblüte stößt: den Marx-Turm. 1885 im ziselierten Stil der Neogotik errichtet, diente der steinerne Hingucker als Belvedere, Bibliothek, Bad und Wasserturm für das angrenzende Wohnhaus des Tuchfabrikanten Carl Marx, der offensichtlich ein anderes Verhältnis zum Kapital hatte als sein in Trier geborener Namensvetter.
Nachlesen kann man die lokalhistorischen Hintergründe auf einer Cortenstahlstele, die zu einer neuen Audiotour mit dem Titel „Saladin und die Tuchmacher“ gehört. Im ersten Teil unseres Themenwegs, dessen Logo einen Stoffballen mit Schere zeigt, kreuzen wir diese Audiotour wiederholt. So auch am Zunfthaus, einem prächtigen Fachwerkgebäude von 1607. Es verweist in jene Zeit, als Wallonen, protestantische Migranten aus dem französischen Teil Belgiens, das Tuchmachergewerbe in Lambrecht etablierten: Der Pfälzische Kurfürst Friedrich III. hatte die Glaubensflüchtlinge 1568 in den Gebäuden des zuvor aufgelösten Dominikanerinnenklosters St. Lambrecht angesiedelt.
Die ehemalige Klosterkirche, ein einschiffiger gotischer Bau des 14. Jahrhunderts, ist unsere letzte historische Station, ehe es richtig auf Wanderschaft geht. Den Einstieg kann man allerdings leicht verpassen. In der Grabenstraße zweigt links ein schmaler Pfad ab, der mehr wie ein Grünstreifen zwischen zwei Häusern aussieht. Ein paar Stufen führen empor, ein Geländer mit dickem Tau bietet Halt in der steilen Passage, dann gilt’s, eine ruckelige Gartenpforte zu öffnen – und alsbald steht man auf einem Streuobstwiesenhang, wo sich dem Auge die erste Tuchmacher-Aussicht eröffnet: Lambrecht-Panorama, von Obstbäumen gerahmt.
Aussichtsreicher Wildsaukopf
Im Folgenden passiert der Weg erst den Friedhof, dann den kleinen Hermann-Schneid-Brunnen. Er wandelt sich zum schmalen Pfad der Tugend, auf dem Schilder Bescheidenheit, Pflichterfüllung und andere aus der Mode gekommene Eigenschaften preisen – skurril! An einer Weggabelung gehen wir nicht geradeaus zur Nonnenboll, sondern biegen rechts ab und erreichen schließlich, auf einer Höhe von etwa 380 Metern über Normalnull, den „Stein des Gleichgewichts“ mit anthroposophisch angehauchtem Sinngedicht.
Der Aufstieg auf den Schauerberg geht weiter. Bis zum Kaisergarten, dem höchsten Punkt der Wanderung, sind noch 140 Höhenmeter zu schaffen. Doch schon am Wildsaukopf ist wieder Innehalten angesagt. Denn hier bietet sich der zweite markante Ausblick über Lambrecht, das jetzt klein da unten liegt, eingebettet zwischen grüne Bergkämme unter weitem Quellwolkenhimmel – die Tuchmacherstadt aus der Vogelperspektive.
Nach dem Kaisergarten blüht die Heide
Drei baumschattenreiche Kilometer und ein wiederum aussichtsreiches, vom Sommerwind durchwehtes Hochwiesenszenario später erreichen wir den sogenannten Kaisergarten. 1804 wurde hier, auf einer Höhe von 519 Metern, an der Stelle einer alten Viehwaldweide ein Festplatz angelegt. Anlass war Napoleons Erhebung zum Kaiser, die per amtlicher Anordnung auch in der damals französisch besetzten Pfalz zu feiern war.
Geblieben sind vom napoleonischen Festplatz nur eine Schutzhütte und ein paar Picknickbänke. Wobei die Tour ohnehin nicht geizt mit Rastplätzen. Wer trotzdem einen Hüttenbesuch in die Wanderung einbinden möchte, kann vom Kaisergarten einen Abstecher zur Hellerhütte machen. Das sind dann, hin und zurück, fünf Kilometer extra; die Strecke ist ausgeschildert.
Auf den Kaisergarten folgt der landschaftlich schönste Teil der Wanderung. Unser Weg, der in diesem Abschnitt mit dem Pfälzer Hüttensteig fusioniert, gerinnt zum sandigen Pfad, der auf der Westflanke des Schauerbergs durch eine regelrechte Heidelandschaft führt. Dichte Polster aus blassrosa blühenden Erika-Stauden wechseln mit sattgrünen Teppichen aus niedrigem Farn. Dazwischen steilen Hochstammkiefern empor. Eine kleine Abzweigung vom Weg bringt uns hinauf zu einem weiteren Aussichtspunkt mit Wellenliegen. Von hier aus betrachtet, wirkt der Pfälzerwald fast mediterran. Die grünen Mittelgebirgswellen am Horizont ersetzen das Meer.
Nach kurzer Auszeit geht’s über den „Runden Tisch“ und den „Stein der Bewegung“ zur letzten Aussicht der Tuchmacher: Vom sechs Meter hohen hölzernen Turm, der 1933 in Blockhausmanier auf dem Dicken Stein errichtet wurde, überblicken wir nochmals Lambrecht und Umgebung, ehe wir über Serpentinen absteigen, zurück ins Städtchen und zum Bahnhof.
Wegweiser
Aussichten der Tuchmacher – Rundwanderung über den Schauerberg ab Bahnhof Lambrecht, 10,6 Kilometer, 354 Höhenmeter, Schwierigkeitsgrad: mittel; Rucksackverpflegung. Erweiterung mit Einkehrmöglichkeit: Hellerhütte (2,5 Kilometer ab Kaisergarten auf dem Pfälzer Hüttensteig)