Interview „Wein ist gesund“: Warum das tatsächlich stimmen kann

In der Frage, ob und in welchen Maßen Wein der Gesundheit nützt oder schadet, gehen die Meinungen beharrlich auseinander. Einer, der völlig unmissverständlich sagt: „Wein ist gesund“ und das auch mit dem Titel eines 2021 erschienenen Buches zum Ausdruck bringt, ist der Autor Hans-Ulrich Grimm. Wir haben bei dem früheren „Spiegel“-Redakteur, der in den letzten beiden Jahrzehnten vor allem als Kritiker der Nahrungsmittelindustrie bekannt geworden ist, nachgefragt.
Wein und Gesundheit sei ein Top-Thema, heißt es in Ihrem Buch. Aber bei dem Thema schwingt das Meinungsbild immer hin und her. „Wein ist gesund“ wird oft ebenso bestimmt behauptet wie das Gegenteil, obwohl doch viel geforscht und geschrieben wird. Warum ist das so?
Die wissenschaftliche Datenlage ist völlig klar: Wein ist gesund. Es gibt nun aber in vielen Medien ein großes Bedürfnis nach Gleichklang. Zurzeit dominiert das Narrativ vom Alkohol als Dämon. Weil Differenzierung die Stärke der Medien oft nicht ist, wird der Wein mit allen anderen alkoholischen Getränken sozusagen in einen Topf gekippt. Zu seinem Nachteil: Denn dadurch werden dem Wein gewissermaßen die Nachteile der anderen mit angekreidet. Die Spirituosen zum Beispiel schneiden in den Studien tatsächlich oft schlecht ab, Bier eher neutral. Wein ist immer gut – in Maßen, natürlich.
Zu eben diesen Maßen gibt es ja, etwa von der WHO, Aussagen über akzeptable Weinmengen pro Tag, grob gesagt: zwei Gläser für Männer, eines für Frauen. Das klingt aber eher so, als sollte gesagt werden: Besser, Sie lassen es sein. Sie kehren den Spieß nun um und sagen: Auch Abstinenz ist ein Gesundheitsrisiko. Was veranlasst Sie dazu?
Die berühmte „J-Kurve“, auch „U-Kurve“ genannt. Sie erscheint immer in den Grafiken zu wissenschaftlichen Studien, in denen es um Wein und Gesundheit geht. Und sie besagt, dass mit steigender Konsummenge auch das Krankheitsrisiko steigt. Das ist die rechte Seite vom „J“ oder „U“. Auf der linken Seite aber geht es ebenfalls aufwärts, und das bedeutet: Wenn der Konsum gegen null geht, also in Richtung Abstinenz, steigt das Krankheitsrisiko ebenfalls.
Welche Reaktionen haben Sie dazu bekommen?
Viele reagieren natürlich mit ungläubiger Heiterkeit, weil sie ja nur das mediale Narrativ vom Dämon Alkohol kennen. Manche lassen sich aber von der Datenlage gern überzeugen.
Welche gesundheitsfördernden Aspekte des Weins sehen Sie unmissverständlich klar belegt?
Die Wirkungen aufs Herz. Das ist gewissermaßen amtlich anerkannt, spätestens seit es in der berühmten „Framingham Heart Study“ festgestellt wurde, und mittlerweile in der Medizin weithin akzeptiert. Wein ist bekanntlich auch ein Element der „Mediterranen Ernährung“, und die gilt in der Medizin gewissermaßen als Goldstandard, wenn es um gesunde Ernährung geht.
Sie sprechen da Substanzen an wie Resveratrol oder andere Phenole. Die könnte man auch über Erdnüsse oder Traubensaft zu sich zu nehmen. Ist das Ensemble der Substanzen im Wein dessen eigentlicher Mehrwert, im Vergleich auch zu anderen alkoholischen Getränken? Und wie steht es um den Alkohol, der ja auch als Zellgift gilt?
Es gibt natürlich auch andere Möglichkeiten, sich gesund zu ernähren. Die klassische chinesische Ernährung kommt ja bekanntlich ohne Wein aus, die einschlägigen Gesundheitselemente wie etwa das berühmte Resveratrol kommen natürlich auch in anderen Speisen und Getränken vor, etwa dem Grüntee. Nur: Es fehlt dann an den Erheiterungselementen, die ja im Wein auch eine große Rolle spielen, und die ihrerseits wieder gesundheitsfördernd wirken. Lachen ist ja bekanntlich auch gesund.
Sie zitieren Konfuzius, der gesagt hat: Am Rausch ist nicht der Wein schuld, sondern der Trinker. Das heißt: Der Mensch ist das Problem beim Alkoholkonsum, seine psychische Veranlagung, seine Disziplin, seine Geschichte. An welchen Menschentyp richtet sich Ihr Rat, im Sinne der Gesundheit in Maßen Wein zu trinken?
Ich bin ja kein Mediziner und gebe prinzipiell keine Ratschläge zur Lebensführung. Aber das sagen auch viele der Wein-Studien: Dass der Weingenuss eingebettet ist in ein bestimmtes kulturelles Umfeld, mit besserem, genussvollem Essen, Freunden und Familie, was seinerseits wiederum gesundheitsförderlich ist. Übrigens neigen sogar die Tiere, von der Fruchtfliege Drosophila über Affen bis hin zum Elefanten, zwar zum Konsum von vergorenen Früchten, aber nicht zum Rausch: Weil sie, betrunken taumelnd, ein leichtes Opfer ihrer Feinde wären, und das lassen sie, evolutionär vernünftig, dann lieber bleiben.
Wenn es um Wein und Evolution geht: Welchen Einfluss spielen hier die sozialen Aspekte, Geselligkeit, Lebensfreude, Genuss?
Die Anthropologen sehen ja interessanterweise im Genuss von Wein und anderen alkoholischen Getränken einen zentralen Pfeiler der zivilisatorischen Entwicklung: Durch gemeinsamen Genuss sei die gesellschaftliche Entwicklung gefördert worden, durch die Erheiterung und Ermunterung der kulturelle Fortschritt, auch Kommunikation und Kooperation, auch der wirtschaftliche Erfolg. Interessanterweise seien die ersten diesbezüglichen archäologischen Funde an Kultstätten gemacht worden, der
Wein daher ein wesentlicher Förderer der sozioökonomischen Entwicklung.
Beim Wein fällt auf, dass der Konsument in der Regel kaum Information über Art und Menge von Inhaltsstoffen erhält, abgesehen vom Alkoholgehalt. Sollte sich da etwas ändern, zumal die Wirkungen, die Sie beschreiben, ja auch an Art und
Menge bestimmter Inhaltsstoffe hängen?
Wichtig sind in der Tat Informationen über die gesundheitliche Bedeutung dieses Getränks. Ob Angaben über die einzelnen Inhaltsstoffe hier zielführend wären, ist sehr die Frage, denn es handelt sich ja oft streng genommen um Gifte, die in Pflanzen der Abwehr von Feinden, Erregern, und der Stärkung der Abwehrkräfte dienen. Größere Mengen können daher zum Problem werden. Das kam auch bei den vielen Studien heraus, deren Ziel eine Pille aus solchen Stoffen war. Das Schöne am Wein ist, dass sie hier ideal dosiert sind.
Welche Weine schätzen Sie selbst besonders? Welche halten Sie für besonders gesundheitsförderlich?
Ich mag gern Riesling, im Winter auch gern mollig-warme Rotweine, Syrah, zu feierlichen Gelegenheiten einen alten Bordeaux. Interessanterweise ist es auch hier der persönliche Geschmack, der den Weg zu den individuell-genetisch wichtigen Gesundheitsstoffen weist. Besonders gut erforscht ist der Rotwein, von dem hier besonders prominenten Inhaltsstoff Resveratrol enthalten Bio-Weine übrigens mehr, weil es eines dieser Abwehrgifte ist, die Pflanzen entwickeln, wenn sie auf sich selbst gestellt sind, um sich vor Angreifern zu schützen – und die dann auch unsere Abwehrkräfte stärken.
Ähnlich ist es beim Aspirin-Wirkstoff Salicylsäure: Sie findet sich vorzugsweise in Weißwein, übrigens auch vermehrt in Bio-Version. Und die Anwesenheit dieser Stoffe teilt sich über den Geschmack mit. Die lustigen Weinverkostungsabende mit Freunden und vielen Flaschen unterschiedlicher Weine dienen somit der gustatorischen Feinabstimmung, der zielgenauen Suche nach dem optimalen persönlichen Gesundheitstrank. Man sagt deshalb auch gern „Zum Wohl“, „Prosit“, in anderen Ländern auch „To your health“ oder „À votre santé!“
Zur Person
Hans-Ulrich Grimm, 1955 geboren, war von 1989 bis 1996 Redakteur des Spiegel und ist danach bekannt geworden als Autor zahlreicher Bücher, die sich kritisch mit industriell gefertigten Lebensmitteln auseinandersetzen. Einige seiner Bücher: „Dumm gegessen: Wie uns die Nahrungsindustrie um den Verstand bringt“ (2021) oder „Food War“ (2020). Er betreibt in Stuttgart den Internet-Informationsdienst „Dr. Watson – Der Food-Detektiv“

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