Speyer Studie zu Missbrauch im Bistum: Vorwürfe zum Kinderheim Engelsgasse im Blick

Vorhalle des Speyerer Domes: Kerzen wurden im Dezember am Ende der Lichter-Aktion für Betroffene von Missbrauch in der katholisc
Vorhalle des Speyerer Domes: Kerzen wurden im Dezember am Ende der Lichter-Aktion für Betroffene von Missbrauch in der katholischen Kirche angezündet.

Im Bistum Speyer soll ein Forschungsprojekt bestimmte kirchliche Orte und Gelegenheiten der sexualisierten Gewalt untersuchen. Ob die Studie auch Antworten auf Vertuschungen durch Kirchenobere geben wird, erklärt Mareike Ott.

Mainz, Münster, München, Aachen, Köln – in diesen Bistümern liegen bereits Gutachten zum Missbrauch in der Kirche vor. Wann geht es im Bistum Speyer denn los?
Das Forschungsprojekt wird im April starten.

Warum hat es so lange gedauert?
In der Unabhängigen Aufarbeitungskommission (UAK) im Bistum Speyer gab es im Frühjahr 2022 einen Wechsel. Die Historikerin und Professorin Sonja Levsen ist aus beruflichen Gründen ausgeschieden. Sylvia Schraut, emeritierte Professorin am Historischen Institut der Universität der Bundeswehr in München, wurde im Juni 2022 in die UAK berufen. Im Oktober war das von ihr konzipierte Forschungsprojekt in UAK und Betroffenenbeirat beraten und unterschriftsreif. Dann mussten mit dem Bistum noch die Finanzierung und Datenschutzfragen geklärt werden, was mittlerweile erfolgreich gelungen ist. Datenschutzfragen haben in anderen Bistümern teilweise zu erheblichen Problemen vor der Veröffentlichung geführt. Dem konnten wir so hoffentlich vorbeugen.

Wie viele Stellen umfasst das Forschungsprojekt?
Vier Stellen. Die Leitung hat Sylvia Schraut. Wir suchen noch einen promovierten Historiker/ eine Historikerin, und zwei halbe Stellen sind für den verwaltungswissenschaftlichen und sozialpädagogischen Schwerpunkt vorgesehen.

Welchen Zeitraum umfasst die Studie?
Insgesamt umfasst das Projekt vier Jahre.

Das Bistum Speyer war Teil der MHG Studie, die den sexuellen Kindesmissbrauch durch katholische Priester und Diakone im Zeitraum von 1946 bis 2014 untersucht hat. In dem Bericht war von 89 Priestern als Beschuldigte und 186 Betroffenen die Rede. Auf was ist die wissenschaftliche Studie ausgerichtet, die die UAK in Auftrag gegeben hat?
Das Forschungsprojekt will auf der MHG-Studie aufbauen. Es hat drei Schwerpunkte – einen historischen, einen verwaltungswissenschaftlichen und einen sozialpädagogischen. Das heißt: Neben der quantitativen und qualitativen Erfassung des Missbrauchsgeschehens werden auch die Orte und Gelegenheiten in den Blick genommen. Beim verwaltungswissenschaftlichen Ansatz wird auf Kirchenstrukturen geschaut. Also: Welche Information über Missbrauch ist in welcher Art und Weise veraktet worden? Gibt es Hinweise, dass Personalakten verändert wurden? Im sozialpädagogischen Schwerpunkt wird untersucht, warum es immer wieder zu Missbrauch gekommen ist und wie das Umfeld beispielsweise in einer Kirchengemeinde reagiert hat. Mit diesen drei Ansätzen soll das Ineinandergreifen von Macht und Gelegenheitsstrukturen, Klerikalismus, katholischem Milieu, Wegschauen von weltlichen Behörden und den jeweiligen Wertekonzepten betrachtet werden.

Beim Erstellen der MHG-Studie standen den Wissenschaftlern nur anonymisierte Akten zur Verfügung. Haben die Experten nun ungehinderten Zugriff auf die Akten?
Ja, so ist es vereinbart, und so wird es auch schon gehandhabt.

Das Kinderheim in der Engelsgasse in Speyer hat wegen angezeigter Missbrauchsfälle für Schlagzeilen gesorgt. Es gibt viele Ungereimtheiten. Werden die Wissenschaftler versuchen, Licht in dieses Dunkel zu bringen?
Es sollen in der Studie auch unterschiedliche Einzelfälle und Einrichtungen in den Blick genommen werden. Dazu gehört die Engelsgasse.

Neben der sexuellen Gewalt an Kindern geht es auch um Vertuschung. Wird die Studie Antworten auf die Frage geben, welche Kirchenoberen die Taten verschwiegen und so die Priester gedeckt haben?
Wir hoffen, dass die Studie dazu Antworten geben wird. Es geht auch darum, Erkenntnisse zu gewinnen über Verantwortlichkeiten und Verantwortungsübernahme. Es ist für heutige Prävention- und Interventionskonzepte relevant zu wissen: Wo wurde verschwiegen, wo wurde vertuscht, wie war das möglich? Was kann und muss heute besser gemacht werden?

Im Sommer 2022 hat Ihr Vorgänger Bernhard Scholten den Vorsitz der UAK abgegeben. Hintergrund waren Missbrauchsvorwürfe einer ehemaligen Patientin in seiner Zeit als Psychologe an der Pfalzklinik in Klingenmünster. Gab es irgendeine Untersuchung der Vorwürfe?
Zunächst: Herr Scholten hat sehr korrekt die Kommission über die Vorwürfe informiert, und wir haben uns auf ein Vorgehen verständigt. Dann jedoch wurden die Informationen darüber an viele Stellen weitergetragen. So kam es zum Vertrauensverlust zwischen der Kommission und Herrn Scholten, den die UAK daraufhin gebeten hat zurückzutreten. Dies hat inhaltlich nichts mit den Vorwürfen zu tun.

Sie arbeiten in einer Kommission, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, sexuellen Missbrauch aufzuklären. Aber Vorwürfen in ihren eigenen Reihen geht sie nicht nach. Das ist schwer zu verstehen.
Ich kann nachvollziehen, dass das schwer zu verstehen ist. Aufgabe der UAK ist die Aufarbeitung des Missbrauchsgeschehen im Bistum Speyer. Die UAK kann keine Vorwürfe untersuchen, die sich auf etwas beziehen, das außerhalb des kirchlichen Rahmens und vor über 30 Jahren stattgefunden haben soll.

Und dann lässt man alles so laufen?
Wir setzen uns dafür ein, dass auf Bundesebene eine Art Clearingstelle eingerichtet wird. Damit sollen die Kommissionen in den Bistümern in entsprechenden Situationen unterstützt werden.

Zur Person

Mareike Ott (41) ist Diplom-Psychologin, arbeitet in einer Fachstelle gegen Sexualisierte Gewalt an Mädchen und Frauen und befindet sich in Weiterbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin. Die gebürtige Ludwigshafenerin ist seit August 2022 Vorsitzende der Unabhängigen Aufarbeitungskommission für sexuellen Missbrauch im Bistum Speyer.

Mareike Ott
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