Rassismus im Alltag Interview: „Es passiert ständig“

Giorgina Kazungu-Haß, 1978 in Koblenz geboren, hat eine deutsche Mutter und einen kenianischen Vater. Sie war Konrektorin der In
Giorgina Kazungu-Haß, 1978 in Koblenz geboren, hat eine deutsche Mutter und einen kenianischen Vater. Sie war Konrektorin der Integrierten Gesamtschule in Frankenthal und sitzt seit 2016 für die SPD im rheinland-pfälzischen Landtag. Sie lebt in Haßloch.

Unsere Titelseite vom vergangenen Sonntag brachte uns die Kritik ein, rassistische Vorurteile zu bedienen. Auf Twitter hat auch Giorgina Kazungu-Haß reagiert, Landtagsabgeordnete aus Haßloch. Ein Gespräch über Rassismus, Disziplin und das europäische Bild von Afrika.

Frau Kazungu-Haß, Sie haben am vergangenen Sonntag auf Twitter die Befürchtung geäußert, die Aufmachung der RHEINPFALZ am SONNTAG werde sich negativ auswirken auf schwarze Menschen. Lassen Sie uns darüber reden.
Ich habe ganz bewusst nicht von Rassismus gesprochen. Aber davon, dass ganz bestimmte Menschen mit solch einer Aufmachung getriggert werden (triggern: bei jemandem eine Reaktion auslösen. Anm. d. Red.) Schwierig an diesem Titelblatt ist, und das haben Sie ja selber relativ schnell wahrgenommen, dass da eine Komposition Vorurteile bei Menschen schürt – auch wenn man das nicht beabsichtigt hat, das würde ich Ihnen niemals unterstellen. Ganz viele Menschen haben Vorurteile gegenüber dem afrikanischen Kontinent. Sie sehen ihn als ein Land, das hochproblematisch ist, ständig im Katastrophenmodus. Das ist etwas, was Menschen, die hier leben und die auch schwarze Hautfarbe haben, stigmatisiert. Medien haben darauf einen großen Einfluss. Das ist etwas anderes, als wenn einem am Stammtisch mal was rausrutscht.

Wie wirkt sich das aus?
Es ist schon immer so, dass schwarze Menschen in besonderem Maße Alltagsrassismus ausgesetzt sind. Viele sagen: Ich bin doch kein Rassist und ich will doch niemandem was. Das ist bei der großen Mehrheit der Bevölkerung tatsächlich so. Die Menschen stehen nicht morgens auf und sagen: So, jetzt schnappe ich mir einen schwarzen Menschen oder einen Menschen einer anderen Ethnie und geb dem mal einen mit. Alltagsrassismus funktioniert anders: Man produziert immer wieder Stereotype über bestimmte Bevölkerungsgruppen. Und das ist bei schwarzen Menschen zum Beispiel das Stereotyp: Die kriegen nichts hin, sind oft ungebildet, sind oft krank, weil sie sich nicht im Griff haben. Da spielt auch HIV eine große Rolle, das HI-Virus. Man denkt da: Das kann doch bei uns in Deutschland nicht passieren, was übrigens gefährlich für uns ist, diese Denke.

Was bedeutet das in Ihrem Alltag?
Man fängt als schwarzer Mensch wie ich – mein Vater ist Kenianer – immer im Minus an. Man fängt nicht auf der gleichen Ebene an wie jemand, der weiß ist und der Mehrheitsgesellschaft angehört. Man muss quasi beweisen, dass diese Stereotypen falsch sind. Dass man fähig ist. Dass man zum Beispiel auch als Politikerin arbeiten kann. Man muss immer wieder ein bisschen mehr machen. Allein das ist schon eine Form von Diskriminierung. Sie müssen sich vorstellen: Wir können nicht immer ein bisschen mehr machen. Wir sind keine Supermenschen. Wir sind ganz normal.

Wenn ich einen nicht weißen Menschen nach seiner Herkunft oder seinem familiären Hintergrund frage, gehe ich da schon zu weit?
Es ist kontextabhängig. Ich bin auch interessiert, wenn jemand einen interessanten Akzent hat oder eine Tradition, die ich nicht kenne. Da will ich dann auch mehr darüber erfahren. Das ist ganz normal. Und wenn ich mit jemandem schon ein bisschen im Gespräch bin – und vielleicht nicht gleich am ersten Tag – dann finde ich bestimmt eine gute Gelegenheit, darüber zu sprechen. Aber Sie werden nicht glauben, was mir manchmal passiert: Ich sitze zum Beispiel in der Bahn und es setzt sich jemand neben mich und fragt das direkt einfach so. Das würde Ihnen niemals passieren. Warum auch? Das wäre aufdringlich.

Die unterschwellige Botschaft ist: Sie gehören nicht hierher ...
Ja. Ich würde das nicht gleich rassistisch nennen, aber es ist ein Stück weit fremdenfeindlich. Das ist etwas, was man einfach zu unterdrücken lernen muss. Das Aussehen darf in diesem Zusammenhang keine Relevanz haben.

Werden Sie häufiger kontrolliert als andere?
Ja. Ich denke, das läuft alles unterbewusst. Ich würde nicht sagen, dass da jemand sagt: Heute bin ich so drauf und mache da Unterschiede. Vor Kurzem war ich in der Schweiz auf einem Kongress. Da galt im Hotel die 3G-Regel und es wurde überhaupt niemand kontrolliert. Aber bei mir wurde zum ersten Mal nachgefragt und zwar laut, so dass ich es auch ja verstehe, denn ich spreche ja bestimmt kein Deutsch. Ich habe mich so geärgert und ich habe es denen auch ins Gesicht gesagt. Das ist leider nicht untypisch. Es passiert ständig.

Und es macht etwas mit Ihnen?
Ich achte zum Beispiel immer darauf, dass ich ordentlich angezogen bin. Ich habe Klamotten, da sehe ich viel mehr nach meiner anderen Herkunft aus. Die ziehe ich nicht an, wenn ich weiß, ich habe Kontrollen vor mir oder möchte was Teures im Geschäft kaufen. Ich möchte nicht, dass jemand mir signalisiert, ich kann mir das als schwarze Frau doch bestimmt nicht leisten. Das wäre alles nicht so schlimm, wenn es einmal passieren würde. Aber ich mache das jetzt seit 43 Jahren mit. Immer wieder. Und das geht weit in die Diskriminierung hinein. Ich sage nur: Jobsuche für schwarze Menschen. Ganz schlimm: Thema Wohnungen.

Noch mal zu Corona. Als entschieden wurde, Varianten nicht mehr nach dem möglichen Herkunftsland zu benennen, sondern mit griechischen Buchstaben, dachte ich zunächst, wenn auch nur kurz: Warum denn? Es ist doch gut, wenn deutlich wird, wo Mutationen entstehen, Alpha in Großbritannien, Delta in Indien.
In Großbritannien gab es einen Riesenaufschrei, als man begann, die „UK-Variante“ zu framen (die Meinung in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen, Anm. d. Red.). Das war sehr hilfreich. Als das Virus von Donald Trump als China-Virus bezeichnet wurde, hat das in den USA, wo sehr viele Menschen mit asiatischer Herkunft leben, sehr starke Auswirkungen gehabt. „Asian hate“ (Hass auf Asiaten, Anm. d. Red.) ist dort seitdem ein Riesenthema, das auch nicht abflacht. Da wurden Menschen verletzt. Deshalb sind die griechischen Buchstaben so hilfreich.

Klare Sache: Griechische Buchstaben stigmatisieren niemanden.
Ihr Frage ist aber ein gutes Beispiel, wissen Sie. Wir sind immer schnell dabei, auch was den afrikanischen Kontinent angeht, irgendwo was hinzusortieren und schon eine Meinung darüber zu haben. Und wir verbauen uns da ganz viel, was die Zusammenarbeit angeht zum Beispiel mit den afrikanischen Staaten, die eine große Wirtschaftskraft haben und wo viel investiert wird.

Umfragen zum Thema Alltagsrassismus gegenüber schwarzen Menschen nennen auf Platz 1 der am häufigsten erlebten Fälle „in die Haare fassen“. Echt jetzt?
Das ist verrückt, oder? Stellen Sie sich das mal vor, man würde Sie einfach so anfassen! Ich kenne das auch. Meine Schwester hat solche Haare, da hat man früher Afro-Look dazu gesagt. Jetzt macht sie die Haare aber glatt, wie die meisten hier.

Weil Menschen ihr einfach so ins Haar fassten?
Ich vermute, dass das ein Grund war.

In der Umfrage folgen „Sexualisierung“ und „Kriminalisierung“ auf den Plätzen 2 und 3.
Sexualisierung ist ein Grund, warum es schwarze Frauen oft schwerer haben. Männer haben das Problem mit der Kriminalisierung – also: alle verkaufen Drogen, selbst wenn einer sagt, nee, ich bin Professor für Germanistik. Bei Frauen ist es oft die Exotisierung. Ich kann das gar nicht nachvollziehen. Je dunkler die Hautfarbe ist, desto schwieriger ist es. Oft werden Frauen auf die Schiene gedrückt, sie seien für Geld zu haben. Da muss ständig neu Respekt eingefordert werden, was sehr, sehr zehrend ist.

Was muss geschehen, um dem Alltagsrassismus beizukommen?
Jetzt spreche ich mal als Lehrerin, die ich ja eigentlich bin. Es ist schlicht eine Disziplinfrage. Wir haben irgendwann mal gelernt, dass schwarze Menschen minderwertig sein sollen. Das stammt noch aus den Zeiten der Sklaverei. Man brauchte ja eine Ausrede, um Menschen aus ihrem Land herauszureißen, sie für sich arbeiten zu lassen und ihnen keine Rechte zuzugestehen. Und dieser Gedanke hat überlebt, so viele Jahre, Jahrhunderte. Niemand ist davon frei. Das Einzige, was wir machen können: Uns bewusst machen, was wir da machen. Und wenn man vielleicht mal danebenlangt, und wenn man darauf aufmerksam gemacht wird, dann sollte man versuchen, nicht nur sich zu sehen in der eigenen Betroffenheit – „Oh mein Gott, ich bin ja kritisiert worden, wie schlecht geht es mir“. Man sollte sich überlegen: Was ist mit dem Gegenüber? Und dann sollte man sich sagen: Oh gut, dann weiß ich das jetzt und dann mache ich das nicht mehr. Es ist eigentlich ganz einfach. Dieses Muster nach und nach gemeinsam abzubauen, kann ein tolles Projekt werden.

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