Die Arbeit der Winzer Ein Weinjahr beim Weingut A. Christmann
Die Chemie stimmt: Im Eichenfass reift der Königsbacher Idig Riesling, das Herzstück des 21 Hektar großen Lagenportfolios, bei minus drei Grad Oechsle. Im Büro des Weinguts A. Christmann berät das Vater-Tochter-Duo Steffen und Sophie Christmann über die Markteinführung des neuen Jahrgangs. Das Zusammenspiel wirkt harmonisch. „Ist es auch“, bestätigt Sophie, während sie mit ihrem Geländewagen auf den „Ölberg“ zusteuert. Mehr als 30 Jahre alt sind die Reben der Sorte Riesling, die im von tertiärem Kalkmergel, der sogenannten Terra fusca, geprägten Boden wachsen. Sophie, das älteste von vier Kindern, hat in Geisenheim sowie Berlin Weinbau und Agrarökonomie studiert und in anderen Weingütern auf der ganzen Welt Ideen gesammelt. Mit diesen im Gepäck kam die junge, erfahrene Weinliebhaberin, die schon als Kind Sommelière werden wollte, zurück nach Hause, nach Gimmeldingen.
Weinbau als Mehrgenerationen-Projekt
„Anfangs hatten wir schon Bedenken, ob das klappt – zusammen arbeiten und leben, quasi als Mehrgenerationenhaus“, gesteht Sophie. Doch die Unsicherheiten waren schnell vom Tisch. „Klar führt das manchmal zu Diskussionen, aber vor allem auch zu einer ausgewogenen Balance. Alle ziehen an einem Strang. Henriette Häusser, die Enkelin des Gründers, heiratete Eduard Christmann. Der Sohn der beiden, Arnold Christmann, gab dem Weingut seinen Namen. Mittlerweile führen Steffen, Sophie und Opa Fritz, der 2021 seinen 92. Geburtstag beging, in 6., 7. und 8. Generation das Weingut weiter an der Pfälzer Spitze.
Von Schnittarbeiten bis zur Ernte
In den Weinbergen spannen Außenbetriebsleiter Florian Hoffmann und seine Helfer Drähte und bessern aus. Es ist Mitte Februar. Seit Dezember ist das Team bei Wind und Wetter in den Reben unterwegs. Etwa zwölf Wochen lang dauern die Schnittarbeiten bis zwischen Anfang und Mitte März die Reben austreiben. „Damit legen wir den Grundstein für die neue Saison“, sagt Florian und zieht den Draht etwas fester, so sollen die Triebe später gerade in den Drahtrahmen hineinwachsen.
Im Juni fangen die Reben an zu blühen. Etwa 100 Tage danach wird geerntet. „In dieser Zeit gibt es kein Pardon, und der Feierabend rückt auch schonmal öfter in weite Ferne“, weiß Florian. Die Belohnung kommt im Herbst. Kerngesund können alle Trauben gelesen werden, wieder ausschließlich per Hand. Meist in gut zwei Wochen werden alle Kräfte mobilisiert, um die besten Früchte vom Berg in den Keller zu bringen.
Schnitt nach Mondphasen und Saatgut-Experimente
Nicht nur der Rebe, auch dem Boden schenken der 26-jährige studierte Oenologe und seine Mannschaft ihre Aufmerksamkeit. Sie lockern ihn über das Jahr immer wieder auf und arbeiten die nach Jahreszeiten passende Begrünung ein. „Das hier ist Biodiversität, kein englischer Garten“, sagt Florian mit Blick auf das tote Gehölz und immergrüne Beikraut, bei dem die Christmanns seit kurzem auch mit regionalem Saatgut experimentieren. Auch eigenen Kompost stellen sie her, aus Abfällen aus dem Weinberg, gemischt mit Kuhmist für natürlichen Dünger. Außerdem werden die biologischen Pflanzenschutzmittel um Spritzungen mit Tees ergänzt und der Rebschnitt an den Mondphasen orientiert.
„Unser Boden ist unser Kapital“
Mit Erfolg. Nach mehr als 16 Jahren biologischer und biodynamischer Bewirtschaftung sind die Böden des Weinguts voller Leben, und die Wurzeln wachsen tiefer. Die Reben tragen nur so viele Trauben, wie sie ernähren können. Sie stehen im Gleichgewicht. „Unser Boden ist unser Kapital“, weiß Sophie. Ihre humusreiche Erde ist gut gegen die häufiger vorkommenden Extremwetterlagen gewappnet. Sie kann Wasser etwa sowohl besser speichern als auch aufnehmen. Die Biodynamie hat nicht nur die Weinberge, sondern ebenso den Blick, auch den außerhalb der Familie Christmann, auf die Reben verändert. In den vergangenen zwei Jahren ist im Ort eine regelrechte „Ökowelle“ losgetreten. Darüber freuen sich die Christmanns sehr. Vielleicht haben sich viele Kollegen von Sophies Enthusiasmus und Leidenschaft anstecken lassen. Sie weiß,
was sie will. Und verliert keine Zeit.
Neue Etiketten heben Herkunft der Weine hervor
Seit Sophie mit an Bord ist, stehen die Zeichen mehr denn je auf Veränderung. Aktuell arbeitet sie mit ihrem Vater und Mathieu Kauffmann, einem der besten Schaumweinhersteller im Land, an Premium-Sekt aus biodynamischem Anbau. Auch im Weinsegment hat sie noch einiges vor. Auf ihrem Bürotisch präsentiert Sophie gerade die neuen Etiketten. Gestaltet wurden diese von einer Agentur. Broschüren, Flyer und Infokarten für Händler und Privatkunden hat sie selbst konzipiert. „Da bin ich ganz pragmatisch.“ Sie sollen vor allem bodenständig und nahbar sein. Aber trotzdem besonders. „Mit den Etiketten haben wir uns seit Jahresanfang intensiv beschäftigt und entschieden, die Herkunft statt der Namen hervorzuheben.“ Ganz im Sinne ihrer Heimat, der Pfalz, und den besonderen Lagen, die sie bewirtschaften.
Mit dem Schraubenschlüssel im Weinkeller
Wie das in der Praxis genau aussieht, zeigt Svetlana Ruf in der Lagerhalle. Die für Versand und Logistik zuständige Mitarbeiterin bedient in der Lagerhalle gerade die Maschine, die Etiketten und Kapseln auf den Flaschen passgenau anbringt. Vollautomatisiert funktioniert das nicht. Maschine und Mensch arbeiten auch hier Hand in Hand. Auf dem Weg in den Weinkeller zieht Steffen Christmann ein paar Schrauben am Automat nach. Gemeinsam mit Svetlana wird immer wieder nachjustiert. Bis es passt. „So, jetzt läuft es wieder runder“, sagt Christmann, legt den Schraubenzieher ab und setzt seinen Gang in Richtung Keller fort. Svetlana lächelt zufrieden und sortiert das Ergebnis zu den anderen versandbereiten Flaschen ein. Verschickt werden sie in die ganze Welt, 40 Prozent ins Ausland. „Die hier gehen nach Kanada“, sagt Steffen Christmann und zeigt auf einen gefüllten Karton mit 2019 Königsbacher Idig Spätburgunder.
Guts und Ortsweine aus dem Sortiment gestrichen
Fasziniert von den großen Pinot noirs des Burgunds, ist es Sophies Leidenschaft, hier ganz nach vorne zu kommen. Die Basis bilden alte Spätburgunderreben, auch jüngere Rebselektionen, die die Christmanns in den vergangenen Jahren direkt aus der französischen Weinbauregion bezogen haben. Durch den Kalkmergel in ihren Böden, der dem des Burgunds so gleicht, und nicht zuletzt durch Sophies in Frankreich und Baden erworbenes Wissen um die Erzeugung, hat es das Weingut mit dem zweiten Jahrgang wieder in zahlreiche Bestenlisten der deutschen Spätburgunder geschafft. Die bisherigen Orts- und Gutsweine gehören nicht mehr zum Sortiment. Seit 2022 gibt es nur noch Lagenweine, darunter drei ganz neue Tropfen.
Nur die betsen Trauben landen im Fass
Schonende Handlese, langsame Pressung, Spontangärung, Ausbau im Holzfass, viel Handarbeit und Zeit sind die Grundlagen ihrer Arbeit, auch im Weinkeller. Bevor die Trauben von den Reben in den Eichenfässern landen, werden sie nochmal per Hand verlesen. Nur die Besten schaffen es ins Barrique. Dort gären sie seit Mitte und Ende Oktober, bevor die Fässer im März abgestochen werden. „Dann filtrieren wir, mit Filterschichten aus Papier, besonders behutsam“, erklärt Steffen Christmann, der auch Präsident des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) ist. Dazwischen wird immer wieder probiert und beim Reifeprozess nachjustiert. Im April können die ersten Flaschen gefüllt werden. „Ein bisschen Glück gehört auch dazu.“ Aber letztlich, davon ist der erfahrene Winzer überzeugt, bestimmt die Lage den Geschmack. Ganz so wie vor mehr als 200 Jahren, als die Christmanns mit dem Weinbau begannen. Zurück zu den Wurzeln. Wein, Mensch, Natur im Einklang – hier stimmt die Chemie.
Dürfen wir nachschenken?
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Wer nicht lesen will, kann hören: Sie wollten schon immer wissen, wie man die vielen Flaschen Wein, die man zu Hause hat, am besten lagert? Oder welche Unterschiede es zwischen verschiedenen Rebsorten gibt? Dann sind Sie hier genau richtig: In unserem kostenlosen Podcast "Wissensdurst" löchern Sonja Hoffmann und Rebecca Singer die Weinexpertin Janina Huber mit Fragen rund um das Thema Wein.