Kolumne Der „Enkel“ in Not oder wie Telefon-Trickbetrüger arbeiten

rheinpfalz_4_12_2021

Sie sind die Täter am Telefon: Falsche Polizisten, Enkel, die keine sind, Menschen, die sich mit einem Professorentitel schmücken und womöglich nie eine Uni besucht haben. Und das sind die Opfer: meist alte, allein lebende Menschen. Ausgestattet mit krimineller Energie und viel Fantasie sind Betrüger seit Langem am Werk, um Senioren Geld und/oder Schmuck abzuknöpfen. Ihre Taktik ist perfide.

Polizei warnt: „Telefone laufen heiß“

Erst am Freitag berichtete die Polizei von einer Telefon-Betrugsserie im Großraum Mannheim. Bilanz: 175.000 Euro sind am Ende in unbekannte Hände gelangt. Im Bereich der Polizei Cochem übergab eine 90-Jährige Schmuck im Wert eines fünfstelligen Betrags an Unbekannte. Am Donnerstag wurden mehrere betrügerische Telefonanrufe in der Vorderpfalz gemeldet. Eine Bankangestellte bewahrte eine 79-Jährige vor Schaden. 23.700 Euro blieben auf dem Konto. Die Polizei Grünstadt warnte am Freitag sogar mit drei Ausrufezeichen: „Telefone laufen heiß.“

Die Masche der Kriminellen wechselt dabei nach Belieben: „Mama, ich habe jemanden totgefahren, die Polizei fordert eine Kaution“ – „Ihr Kind liegt mit Covid-19 im Krankenhaus im Sterben. Es braucht dringend ein Medikament, das eingeflogen werden muss“ – „Ihre Personaldaten wurden bei einer Einbrecherbande gefunden, haben Sie Wertsachen zu Hause?“ heißt es dann in der Leitung. Mitunter melden sich auch falsche Microsoft-Mitarbeiter oder angebliche Lotterie-Unternehmen.

Geld und Gold für 300.000 Euro vor die Tür gelegt

Die Geldforderungen betragen regelmäßig mehrere Zigtausend Euro. Die Betrüger arbeiten bewusst mit einer Art Psychoterror. Oft fordern sie, dass das Opfer in der Telefonleitung bleibt – selbst auf dem Weg zur Bank – Kontrolle pur. Sie machen die Angerufenen durch stunden- teilweise tagelange Telefonate mürbe.

So war es auch bei einem besonders spektakulären Fall im Raum Bad Kreuznach vor einem Jahr. Im Nachhinein erinnern wir uns an eine alte Dame, die Geld und Gold im Wert von sage und schreibe rund 300.000 Euro vor die Tür legte – alles verschwand bei helllichtem Tag. Gold im Wert von 255.000 Euro hatte sie zu Hause, 45.000 Euro hob sie von der Bank ab. Einbrecher hatten ihr weisgemacht, es drohe ein Einbruch in ihr Haus, durch die „Übergabe“ an die Polizei könne sie alles retten. Stattdessen war sie um ein Vermögen ärmer.

Der Schock sitzt tief

Der Schock bei der etwa 80-Jährigen saß tief. Der Wut über die eigene Naivität folgte Scham. Noch heute will sie nicht öffentlich darüber sprechen – auch nicht, um andere zu warnen. Und zu schildern, wie groß der Druck auf sie war während der Telefonate, von denen sie niemandem, ausdrücklich auch ihren Kindern nicht, aus Geheimhaltungsgründen erzählen sollte.

Die Polizei findet Täter und Beute eher selten. Aber es gelingen ihr auch Fahndungserfolge: Im Bad Kreuznacher Fall schnappte sie kurze Zeit später zwei Verdächtige. Zusammen mit mindestens einer weiteren Person sollen sie insgesamt 850.000 Euro erbeutet haben. Am Donnerstag wurde in Pirmasens ein 32-jähriger falscher Polizist zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Und am Freitag erhob die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern Anklage gegen zwei 27-Jährige: einen Mann und eine Frau, die einer 82-Jährigen aus dem Kreis Kusel 20.000 Euro abgeluchst haben sollen. Nach langen Diskussionen habe sie schließlich Geld abgehoben, damit ihre „Enkelin“ sich eine Eigentumswohnung kaufen könne. Beide Beschuldigte wurden laut Ermittlern bereits im August in einem Hotel bei Zwickau, Sachsen, festgenommen. 1440 Euro Bares hatten sie bei sich, sie sitzen in Untersuchungshaft.

Was die Polizei rät

Die Polizei rät bei solchen Anrufen: Gehen Sie nicht auf die Forderung ein. Verlangen Sie eine Rückrufnummer und legen Sie auf. Informieren sie Verwandte. Und: die echte Polizei.

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