Panorama Wer war eigentlich diese Billie Jean?
Es gibt Songs, die brennen sich ein ins kollektive Gedächtnis.
Sie liefern Textzeilen, die für die Ewigkeit bleiben – und die oft eine ganz spannende Hintergrundgeschichte haben. Eine Auswahl.
Alles klar auf der Andrea Doria (1973) In „Alles klar auf der Andrea Doria“ besingt Udo Lindenberg seinen Lieblingsclub: „Onkel Pös Carnegie Hall“ in Eppendorf, kurz: Onkel Pös. Der Name, so unbescheiden er klingen mag, war Programm: Lou Reed, Randy Newman, Patti Smith, Al Jarreau – sie alle gaben sich hier die Ehre. In dem Club fand auch der „Ball der einsamen Herzen“ statt. „Und dann Paula aus St. Pauli, die sich immer auszieht / Und Lola hat Geburtstag / Und man trinkt darauf, dass sie wirklich mal so alt wird / Wie sie jetzt schon aussieht.“ Es ist eine verrückte Welt, in der sich Lindenberg bewegte. Eine, deren Ende der Mann mit Hut prophezeite: „Und ich glaube, dass unser Dampfer bald untergeht / Aber sonst ist heute wieder alles klar / Auf der Andrea Doria.“ Eine Reverenz an das gleichnamige Passagierschiff, das am 25. Juli 1956 mit der „Stockholm“ zusammenstieß. Unweit der Stelle, an der auch die Titanic versank. Losing My Religion (1991) Würde man eine Liste erstellen von Bands, die fehlen, würden R.E.M. wohl ganz vorne landen. Den großen Wurf schaffte die Combo um Michael Stipe mit „Losing My Religion“. Um Religion geht es in dem Lied aber eigentlich gar nicht. Vielmehr handelt es sich bei „Losing My Religion“ um eine US-amerikanische Redewendung, die so viel bedeutet wie: die Nerven verlieren, durchdrehen. „That’s me in the corner / That’s me in the spotlight / Losing ...“ – Stipe verarbeitet in dem Song den rasanten Aufstieg seiner Band, die Tour-Strapazen, das Star-Dasein und die Entfremdung von Freunden und Familie, die sie immer seltener zu Gesicht bekamen. Und wenn, dann nur in Träumen: „I thought that I heard you laughing / I thought that I heard you scream / (...) But that was just a dream.“ I Don’t Like Mondays (1979) Die Anti-Montag-Morgen-Hymne schlechthin. Schuld daran ist die Textzeile: „Tell Me Why I Don’t Like Mondays/ (...) / I wanna shoot, uh-uh-uh, the whole day down.“ Die Intention der Boomtown Rats war aber eine andere. Die Kapelle um Bob Geldof behandelt in diesem Track einen Amoklauf von 1979, der sich in der Cleveland Elementary School in San Carlos zugetragen hat. Die 16-jährige Brenda Spencer eröffnete damals das Feuer auf ihre Klassenkameraden, tötete dabei zwei Menschen und verletzte neun weitere. Ein Song, der die Frage nach dem „Warum“ stellt, und sie nicht beantworten kann. „The silicon chip inside her head / Got switched to overload.“ Brenda Spencer aber hatte sie damals lapidar beantwortet: „I don’t like mondays.“ Nine Million Bicycles (2005) „Es gibt schätzungsweise neun Millionen Fahrräder in Peking.“ Diese beiläufig formulierte Schätzung Katie Meluas auf einer China-Tour brachte ihren Manager Mike Batt dazu, „Nine Million Bicycles“ zu komponieren. Ein Song, der mit den großen Gegensätzen spielt: „I will love you ’til I die“ und „We are twelve billion light years from the edge“. Eine Zeile, die den studierten Physiker Simon Singh auf die Palme brachte. Die Erde nur zwölf Millionen Lichtjahre vom Rand des Universums entfernt? Unplausibel und unwissenschaftlich, schimpfte er. Melua löste den Zwist typisch britisch. Man traf sich, sprach sich aus – und Melua bot augenzwinkernd an, den Songtext abzuändern: „We are 13,7 billion light years from the edge of the observable universum / That’s a good estimate with well-defined error-bars / And with the available information, I predict that I will always be with you.“ Highway to Hell (1979) Es gibt wohl keine Stadtfest-Bühne, auf der noch nicht irgendein bierbäuchiger Zopf-Träger „TNT“ oder „Highway to Hell“ ins Mikro geblökt hat. Bevor sich jede Cover-Band zwischen Flensburg und Passau diesen Song zu eigen gemacht hat, gehörte der Hit mal der australischen Hard-Rock-Gruppe AC/DC. Wenn die Jungs steil gingen, dann richtig. „Live fast, die young“ war das Motto, nach dem die Gruppe lebte. Allen voran Sänger Bon Scott: „Livin’ easy, lovin’ free / Season ticket on a one way ride.“ Nimm dir ruhig alle Freiheiten, am Ende geht’s eh für uns alle in die Hölle. Ob’s eine düstere Vorahnung war? Bon Scott erstickte nur wenige Monate nach Erscheinen des Songs an seinem Erbrochenen. „I’m on the highway to hell / And I’m going down all the way.“ Geboren um zu leben (2010) Dass Erfolg bittersüß sein kann, weiß wohl niemand besser als Der Graf. 2010 wurde der Musiker aus seiner Nische (Dark Wave, Neofolk, Gothic und so weiter) in den Mainstream gespült. Das Album „Große Freiheit“ landete auf Platz eins der Charts. Schuld daran war vor allem der Song „Geboren um zu leben“, der viele Rekorde brach und zum erfolgreichsten deutschsprachigen Titel aller Zeiten wurde. Anlass, dieses Lied zu schreiben, war der Tod eines Freundes des Grafen. Der Verlust habe ihn tief getroffen: „Es fällt mir schwer, ohne dich zu leben / Jeden Tag zu jeder Zeit einfach alles zu geben.“ Mittlerweile ist das Lied eines der meistgespielten auf Beerdigungen. Knockin’ On Heaven’s Door (1973) Bob Dylan ist ohne jeden Zweifel einer der begnadetsten Songwriter aller Zeiten. Dass der Gute auch Filmmusik komponiert hat, wissen die wenigsten, auch wenn einer seiner bekanntesten Songs eben aus einem Soundtrack stammt: „Knockin’ On Heaven’s Door“ (1972), das Dylan für den Western „Pat Garrett jagt Billy The Kid“ spielte, in dem er selbst einen Folksänger mimte. In den wenigen Zeilen dieses Lieds beschreibt er die innere Qual des Sheriffs, der losziehen muss, einen alten Freund zu töten: „Mama, take this badge off of me / I can’t use it anymore.“ Depression macht sich bei Garrett breit: „It’s getting dark, too dark to see“, „that long black cloud is coming down.“ Er fühlt sich, als habe er etwas getan, für das er sich bei einer höheren Stelle verantworten muss: „Feels like I’m knockin’ on heaven’s door.“ Ein Song, der immer noch wunderbar funktioniert – vor allem, wenn man ihn in der Version von Guns N’ Roses hört. The Show Must Go On (1991) Immer noch ein Lied, das einem einen Schauer über den Rücken jagt – und eines der letzten Lieder, die Queen aufgenommen haben. Im selben Jahr, 1991, stirbt Sänger Freddie Mercury an Aids. Bei den Aufnahme-Sessions ist Mercury schon merklich von der Krankheit gekennzeichnet, schlägt sich aber tapfer durch und vollbringt eine seiner besten gesanglichen Leistungen. Das Lied ist eine Art Vermächtnis, ein Dokument des Mercury’schen Lebenswillens: „The show must go on / Inside my heart is breaking / My make-up may be flaking / But my smile still stays on.“ Worte, die Freddie Mercurys Gemütszustand perfekt beschreiben – aber nicht von ihm geschrieben wurden. Tatsächlich schrieb Queen-Mitglied Brian May den Song. Billie Jean (1982) „Billie Jean“ ist möglicherweise einer der zeitlosesten Lieder, die Pop-Ikone Michael Jackson je aufgenommen hat. In dem Titel erzählt er die Geschichte eines Kerls, der seine Herzensdame mit der hübschen Billie Jean betrügt. Obwohl er alle Schuld von sich weist: „Billie Jean is not my lover.“ Dumm nur, dass die Gute ihm ein Kind unterjubeln will: „She’s just a girl who claims that I am the one / But the kid is not my son.“ Jackson bestritt in seiner Autobiografie „Moonwalk“, dass der Song von einer realen Frau inspiriert ist. Er bündele vielmehr Erlebnisse, die er und seine Brüder während der Jackson-Five-Zeit hatten. Ein Thema für den Boulevard. Jackson-Biograf J. Randy Taraborrelli behauptete indes, dass Jackson 1981 von einer realen „Billie Jean“ die briefliche Mitteilung bekommen habe, Vater von Zwillingen zu sein. Die Frau forderte ihn ferner auf, zeitgleich mit ihr Suizid zu begehen. Sie landete dem Vernehmen nach kurz darauf in der Psychiatrie. Neue Männer braucht das Land (1982) Dass Männer es Frauen nie recht machen können, ist kein Geheimnis. Wer aber meint, die Frage danach, wie der deutsche Mann denn nun bitteschön sein soll, sei noch jung, der irrt. Schon 1982 forderte Ina Deter: „Neue Männer braucht das Land.“ „Wenn ich nur an unsere Geburtstagsfeiern denke, wo Onkel Heinz allen immer was zugetraut hat, nur den weiblichen Familienmitgliedern nicht. Da habe ich Trotz entwickelt. Jetzt gerade, ihr Arschlöcher.“ Das Lied avancierte zum Hit, die Neue-Männer-Zeile zum geflügelten Wort. Und Ina Deter beißt sich bis heute sonstwo hin, dass sie sich diesen Ausruf nie patentieren ließ. Gegen eine Jeans-Firma, die mit diesem Slogan warb, verlor Deter in letzter Instanz.