Baden-Württemberg Walldorfer Katzenhalter befürchten erneuten „Horror-Sommer“

Regine Tredwell mit Katze Fluffy auf dem Balkon ihrer Wohnung.
Regine Tredwell mit Katze Fluffy auf dem Balkon ihrer Wohnung.

Die Zukunft der Haubenlerchen in Walldorf ist ungewiss. Wird der Hausarrest für die dort lebenden Katzen das Überleben der bedrohten Vogelart sichern? Der Landrat sieht ermutigende Zeichen. Andere halten diesen bundesweit einzigartigen Schritt für völlig verfehlt.

Von Julia Giertz (Text) und Uwe Anspach (Foto)

Katzenhalterin Regine Tredwell aus Walldorf ist wütend und frustriert. Ein weiterer „Horror-Sommer“ steht ihr bevor, in dem sie ihre beiden Freigänger in der Wohnung einsperren muss. Der Grund: Zum Schutz der akut vom Aussterben bedrohten Haubenlerche untersagt das Landratsamt Katzenhaltern im Süden Walldorfs im baden-württembergischen Rhein-Neckar-Kreis, vom ersten April bis zum 31. August ihre Tiere vor die Tür zu lassen. Bei Zuwiderhandlung drohen bis zu 50.000 Euro Zwangsgeld. Tredwell glaubte erst an einen schlechten Scherz, als sie im Frühjahr vergangenen Jahres davon hörte. „Mein erster Gedanke war: Das können die nicht machen das ist Tierquälerei“, erzählt die 55-Jährige. Der im vergangenen Sommer erstmals verfügte Katzen-Lockdown hatte für Tredwell gravierende Konsequenzen.

Ihre beiden Tiere reagierten drastisch auf die bundesweit einzigartige Regelung. „Fluffy und Mimi haben massiv protestiert, sie malträtierten Teppiche, pinkelten die Möbel an und haben auf den Boden geschissen.“ Kein Wunder, seien die beiden 13-jährigen Katzen doch zeit ihres Lebens daran gewöhnt, rein- und rauszugehen. Zudem störte die Katzenrandale ihre damals vor dem Abitur stehende Tochter so, dass diese auszog. Tredwell musste ihren Hund, der zur Zielscheibe der Katzenaggressionen geworden war, vorübergehend abgeben. Auf Sommerurlaub verzichtete sie, weil sie niemandem zumuten wollte, die durchgedrehten Katzen zu betreuen. Selbst das Lüften im Sommer sei zum Problem geworden, weil die zwei die Chance witterten auszubüxen. Dabei legt Tredwell ihre Hand ins Feuer, dass ihre Katzen räumlich weit entfernt von der Bannmeile um das Brutgebiet der streng geschützten Vögel unterwegs sind. Sie und die Halter in der Nachbarschaft seien verzweifelt.

Landrat Stefan Dallinger hingegen verteidigt die Allgemeinverfügung, der bereits andere erfolglose Maßnahmen wie Aufstellen einer Voliere und Jagd auf Greifvögel vorangegangen seien. Artenschutz verlange manchmal auch Einschränkungen. „Ich sehe mich nicht als Tierquäler, unser Auftrag ist es, Artenschutz zu betreiben, und der findet nicht nur im Fernseher abends auf der Couch statt, sondern tagtäglich vor Ort.“ Angesichts der bedrohten Bodenbrüter betont er: „Es kommt auf jedes Individuum an.“

Die Zahl der Haubenlerchen-Brutpaare in Walldorf ging von fünf im Jahr 2015 auf zwei oder drei im Jahr 2022 zurück. Hoffnungsvoll stimmt den Landrat, dass im vergangenen Jahr acht Jungvögel die kritische Phase überlebt haben, in der sie das Nest verlassen, aber noch nicht fliegen können.

Aus seiner Sicht ist mit Ausnahmeregeln schon ein Schritt zur Entlastung von Mensch und Tier getan: Halter können ihre Katzen an der Leine spazieren führen, ihre Gärten ausbruchsicher machen oder per GPS-Tracking nachweisen, dass ihre Katze den Brutstätten nicht nahe kommt. Die Leine hält Katzenhalterin Tredwell nicht für praktikabel: „Bei erlaubten maximal zwei Metern Länge erwürgt sich die Katze eher, als dass sie brav nebenher läuft.“ Auch die GPS-Tracking-Geräte seien für Katzen einfach zu voluminös.

Der Rhein-Neckar-Kreis ist auch für die Haubenlerchen-Brutgebiete in Hockenheim, St. Leon und Ketsch zuständig. Dort ist die Situation des im Südwesten nur noch in Nordbaden heimischen Tieres nicht ganz so dramatisch wie in Walldorf, wo die bräunlichen Singvögel mit dem feschen Schopf inmitten eines Neubaugebiets leben.

Die erhöhte Zahl an Jungvögeln zeigt nach Dallingers Überzeugung, dass die Hauptfeinde der „Galerida cristata“ nicht Füchse, Marder oder Krähen sind, sondern Katzen. Das lässt die Landestierschutzbeauftragte, Julia Stubenbord, so nicht gelten. „Katzen haben nicht zum Aussterben der Haubenlerchen geführt – man darf Katzen und Haubenlerchen nicht gegeneinander ausspielen“, meint sie. Schuld seien die Menschen. „Da hätte man von Anfang an nicht bauen sollen„, sagt sie mit Blick auf die kleinen Wohneinheiten mit Parkflächen und Minigärten. Für Arten- und Naturschutz sei dieses von der Stadt als neues Brutgebiet vorgesehene Areal nicht geeignet. Arten- und Tierschutz seien gleichberechtigte Staatsziele und müssten genau gegeneinander abgewogen werden. Derzeit habe Artenschutz die Oberhand.

Auch Bianca Räpple vom regionalen Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sieht die natürlichen Habitate der Haubenlerchen verschwinden. „Unsere Landschaft ist so stark besiedelt und versiegelt und durch Straßen so zerschnitten, dass diese Spezies ganz wenig natürlichen Lebensraum vorfindet.“ Das erschwere auch die Suche nach Ausgleichsflächen. Statt immer mehr Flächen wie in Walldorf an den Ortsrändern zu bebauen, solle man Wohnraum wieder in der Mitte der Städte schaffen und die vielen Leerstände nutzen.

Das Regierungspräsidium Karlsruhe als höhere Naturschutzbehörde gibt hingegen an, dass man im Jahr 2014 noch sicher war, die lokale Population auf die Ausgleichsflächen verlagern zu können. Auf dieser Basis wurde der Bebauungsplan durch die Stadt Walldorf beschlossen und mit der Bebauung begonnen. Mittlerweile habe sich herausgestellt, dass die Altvögel sehr standorttreu sind. Seit 2019 versuche man, durch Nestschutz mehr Jungvögel durchzubringen, damit sie ihre Brutreviere auf den angrenzenden Ausgleichsflächen einrichten. Dieses Projekt scheiterte aber an Elstern, die Gelege ausraubten, und „Raubsäugern“ wie Katzen.

Einige Katzenhalter haben sich gegen das Freilauf-Verbot für ihre Tiere gewandt. Dem Regierungspräsidium liegen 39 Widersprüche vor, die es allesamt ablehnte. Nach Kritik des Datenschutzbeauftragten am Kontrollverfahren überwachen jetzt Mitarbeiter des Landratsamtes die Einhaltung der Anordnung und nicht mehr ein externes Fachbüro, dessen Gebaren Tredwell als Spionage empfand.

Auch ihr Widerspruch wurde zurückgewiesen. Sie sieht sich schon wie im vergangenen Sommer viel Zeit mit ihren widerspenstigen Katzen verbringen und sie mit Mausattrappen und mit besonderen Leckereien bei Laune halten. Auf die Dauer seien die vermasselten Sommer aber nicht zu ertragen. Denn die Verfügung dauert bis 2025. „Ich war hier glücklich und wollte hier alt werden, aber ich bleib nicht hier – ich schau mich schon um.“

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