Organspende Vater und Tochter leben mit fremden Herzen

Julia und Peter Fricke im Garten der Familie in Bockenem.
Julia und Peter Fricke im Garten der Familie in Bockenem.

Julia und Peter Fricke sind drei Menschen, die sie nie kennengelernt haben, unendlich dankbar. Denn diese haben ihnen ermöglicht, weiterzuleben.

„Er ist immer bei mir“, sagt Peter Fricke (67) über den unbekannten Spender, dessen Herz seit mehr als 30 Jahren in seiner Brust schlägt. „Vielleicht steht er gerade hinter mir und stößt mich an, wenn ich irgendwelchen Mist erzähle.“ Ob der Spender ein Mann oder eine Frau war, habe ihn nie interessiert. „Was zählt ist, dass er etwas Tolles gemacht hat. Ich bin ihm unendlich dankbar für 32 geschenkte Lebensjahre.“

Peter Fricke sitzt im Garten seines Hauses in Bockenem, 70 Kilometer südlich von Hannover. An diesem Spätsommertag erinnert er sich an den 27. Dezember 1990, bis heute feiert er ihn als zweiten Geburtstag.

Warten auf ein Spenderorgan

Der 35-jährige Vater von drei kleinen Töchtern liegt Ende 1990 im Vinzenz-Krankenhaus in Hannover und wartet seit Monaten auf ein Spenderorgan. „Am Morgen nach Weihnachten kam die Schwester rein und sagte, Herr Fricke, es geht los. Die haben ein Herz für Sie gefunden. Wir fahren jetzt in die Medizinische Hochschule.“ Als er nach der Operation aufwachte, sah er als erstes weiße Laken. „Ich dachte, bist du jetzt im Himmel. Doch dann kam dieselbe Schwester um die Ecke, und da wusste ich, du hast es geschafft!“

Peter Fricke ist nicht der einzige in seiner Familie, der eine so schwere Zeit durchmachen musste. Auch seine Tochter Julia brauchte als junge Erwachsene ein Spenderherz.

Er habe sich hinterher Vorwürfe gemacht, „warum wir unsere Töchter nach meiner Herzerkrankung nicht untersuchen lassen haben“, sagt Vater Fricke. Doch ob bei Julia Fricke frühzeitig überhaupt etwas festgestellt worden wäre, ist fraglich. Nach Aussage ihrer Ärzte wurde ihr Herz durch die Geburt ihres Sohnes im Juli 2004 geschädigt. Als die damals 20-Jährige nach zwei Monaten ihre Ausbildung zur Krankenschwester fortsetzte, war sie ständig erschöpft. Bei einer Untersuchung kam heraus: Das Herz war bereits stark vergrößert, die Mitralklappe – eine der vier Klappen des Herzens – schloss nicht richtig.

An die Beerdigung gedacht

Was dachte die junge Mutter, als die Ärzte ihr eröffneten, dass sie in den nächsten zehn Jahren ein neues Herz benötigen würde? „Ich habe sofort an meine Beerdigung gedacht“, sagt die heute 38-Jährige. „Ich wusste ja von meinem Vater, wie lange die Wartezeiten auf Spenderorgane sind.“

Auch die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie beklagt den Mangel an Organspendern in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern. Derzeit ist die Entnahme von Organen nach dem Tod nur zulässig, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten oder stellvertretend die Angehörigen zugestimmt haben. In anderen Ländern ist eine Organentnahme an einem hirntoten Verstorbenen auch zulässig, wenn dieser einer Organentnahme nicht ausdrücklich widersprochen hat.

Das erste Jahr überstehen

Im März 2006 wird Julia Fricke auf die Transplantationsliste gesetzt, im November 2007 erhält sie ein neues Herz. Noch heute ist sie enttäuscht darüber, dass ihr nach der OP nicht ermöglicht wurde, ihre Ausbildung fortzusetzen. In der Zwischenzeit hatte der Träger ihrer Klinik gewechselt. „Ich war alleinerziehend. Was macht man da, um nicht Hartz IV zu kriegen?“ Sie habe zeitweise 200 Stunden im Monat in einem Restaurant gearbeitet und später Nachtschichten in einer Einrichtung für psychisch Kranke übernommen.

Wenn das erste Jahr überstanden ist, können viele Patienten lange mit einem neuen Herzen leben. Julia Frickes transplantiertes Herz aber wurde nach fast fünf Jahren abgestoßen. „Das war nachweislich der Stress“, glaubt ihr Vater.

Das Wunder von Hannover

Für Julia Fricke folgte ein Kampf auf Leben und Tod auf der Intensivstation. Irgendwann trafen die Eltern auf dem Flur einen Arzt, der sie mit den Worten begrüßte: „Das Wunder von Hannover: Wir haben ein Herz für Julia gefunden!“

Dieses wird im Juni 2012, in der Nacht auf ihren 28. Geburtstag, transplantiert. Seit über zehn Jahre schlägt dieses Herz jetzt in ihrer Brust. „Mein Ziel vor der ersten Transplantation war, die Einschulung meines Sohnes zu erleben,“ erzählt Julia Fricke. „Jetzt ist er 18 und vielleicht erlebe ich irgendwann noch Enkelkinder.“

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