Panorama Raumfahrt: Mini-Sonden zum nächsten Stern

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METHUSALEM Seit 1977 ist Voyager unterwegs, inzwischen 21 Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt und auf dem Weg in den interstellaren Raum. Noch funkt die Sonde Daten zur Erde. 40 Jahre dürfte der Treibstoff reichen, aber die Batterien geben vermutlich 2025 den Geist auf. Dann ist der Methusalem unter den irdischen Sternenbummlern taub und stumm.

Voyager braucht noch 40 000 Jahre bis zum nächsten Stern. Das dauert den Forschern zu lange. Sie wollen Mini-Sonden zu den Sternen schießen, die es in 20 Jahren schaffen. Das Problem ist, wie sie abbremsen. Von Christian Gruber

Am 5. September 1977 hebt Voyager 1 mit einer Titan-Rakete von Cape Canaveral ab. 16 Tage früher ist ihre Zwillingsschwester ins All gestartet – Voyager 2 – auf einer anderen Flugroute. Jupiter und Saturn passiert Voyager 1 im Lauf der Zeit, überholt die Sonde Pioneer 10. Und im August 2012 erkundet Voyager einen Ort, den nie ein Mensch zuvor gesehen hat: Sie verlässt das Sonnensystem und betritt den interstellaren Raum. Bis heute funkt das 800 Kilogramm schwere Erkundungsgerät Daten zur Erde: über das Sonnenmagnetfeld, den Sonnenwind, die Radiowellen und die Wasserstoffverteilung im Einzugsbereich der Sonne, der Heliopause. Öfter mal stand das Projekt auf der Kippe, weil der Betrieb mehrere Millionen Dollar im Jahr verschlingt. Doch niemand hat es bislang gewagt, den Sternenwanderer anzutasten, der mit 61.000 Kilometern in der Stunde unterwegs ist und die Sonne inzwischen 21 Milliarden Kilometer weit hinter sich gelassen hat.

In Sekunden am Ziel vorbei

In etwa 40.000 Jahren wird Voyager 1 sich dem Stern Gliese 445 im Sternbild Giraffe bis auf 1,6 Lichtjahre nähern. So schnell aber nur, weil Gliese 445 auf uns zurast und am Treffpunkt bloß noch 3,45 Lichtjahre von der Sonne entfernt ist. 40 Jahre dürfte Voyagers Hydrazin-Treibstoff – eine Verbindung aus Stickstoff und Wasserstoff – für die Steuerdüsen reichen. Die drei Atombatterien sind schneller abgenutzt. Die Sonde verliert über 1 Prozent Leistung im Jahr und hat bereits viele Instrumente abgeschaltet, um Strom zu sparen. 2025 muss das letzte wissenschaftliche Instrument deaktiviert werden. Dann ist der Methusalem unter den Sternenbummlern blind und taub. Es sind die gigantischen Entfernungen, die es im Moment unmöglich machen, das Universum aus der Nähe zu betrachten. Bis zu den uns am nächsten gelegenen Sternen Alpha Centauri A, Alpha Centauri B und Proxima Centauri braucht das Licht vier Jahre – für den Kosmos ein Wimpernschlag. Aber der Mensch benötigte mit seiner heutigen Raketentechnik mindestens 40.000 Jahre, um dorthin zu gelangen. Philip Lubin von der University of California in Santa Barbara will es in 20 Jahren schaffen. Mit Lasern, die Mini-Sonden ins All schießen, Projektname Starshot.

Lösung: Lichtsegel drehen - Sonnenwind bremst 

Nur wenige Gramm sollen die Erkunder wiegen, die in eine Umlaufbahn gebracht werden und ihre Lichtsegel ausklappen. Von der Erde aus wollen Lubin und sein Team die Nano-Gefährte mit Lasern anstrahlen und der Lichtdruck soll sie auf 20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen – das entspricht in etwa 60.000 Kilometer pro Sekunde. Das Segel ist eine hauchdünn beschichtete Glasscheibe, die das Licht des Lasers vollständig reflektiert. Wenn sie auch nur einen winzigen Teil des Lichts schluckt, verdampft alles. Lubin hat eigentlich auf dem Gebiet der Asteroidenzerstörung geforscht: Brocken, die der Erde zu nahekommen, sollen mit Energiestrahlen bekämpft werden. Als 2013 ein Meteor die russische Stadt Tscheljabinsk traf, gab es plötzlich Fördergeld von der Nasa. In der Zwischenzeit hatten die US-Forscher erkannt, dass sich ihre Laser auch als Antriebssysteme eignen. Schließlich stieg 2016 der Milliardär Yuri Milner mit 100 Millionen Dollar in das Starshot-Projekt ein. Für die größte Herausforderung hält Lubin den Start: Nicht ein einzelner Laser soll die Sonden beschleunigen, sondern er will Millionen von kleinen Strahlern zu einem 100-Gigawatt-Schieber kombinieren. Die Laser zu synchronisieren, werde ihn und das Team Jahre beschäftigen, sagte der Physikprofessor gegenüber der „Technology Review“. In drei Jahren sollen kleine, millimetergroße Testziele im Labor mit Lichtkraft fliegen. René Heller vom Göttinger Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung und Michael Hippke vom Sonneberg-Observatorium halten Starshot für machbar. Sensoren und Elektronikbauteile passten durch die Miniaturisierung sicher bald in eine wenige 100 Gramm schwere Sonde. Aber, schreiben die Astronomen im Fachblatt „Astrophysical Journal“: Bei einer Geschwindigkeit von 20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit wäre die Mini-Sonde in wenigen Sekunden an Alpha und Proxima Centauri vorbeigerast. Die Späher von der Erde müssten also abbremsen, um in das System einzuschwenken, auf mindestens 13.800 Kilometer pro Sekunde. Vor allem Proxima Centauri ist interessant: Den Stern umkreist ein erdähnlicher Planet. Die Forscher schlagen vor, statt eines energiefressenden Lasers das Sonnenlicht zu nutzen, um den Erkunder loszuschicken. Damit der Schub reicht, muss das Gerät bis auf fünf Radien an die Sonne herangebracht werden. Jede Sonde bräuchte ein Segel, das so groß ist wie 14 Fußballfelder: Es könnte aus Graphen bestehen, einer extrem stabilen, aber leichten Folie aus nur einer Lage Kohlenstoff-Atome. Mit der Graphen-Folie ließe sich auch das Tempo drosseln: Die Sonde würde lange vor dem Ziel ihr Segel senkrecht zur Einstrahlung aus dem Alpha-Centauri-System stellen, sodass es den gesamten Anflug über wie ein Bremsschirm arbeitet. „Um zu verhindern, dass das Segel oder die Elektronik an Bord schmelzen, nehmen wir einen Mindestabstand von 5 Sternradien an“, erklärt Heller. Rechnersimulationen zeigen, dass diese Methode kombiniert mit der Schwerkraft der Sterne reichen könnte. Allerdings wäre die Sonde dann insgesamt 140 Jahre unterwegs, keine 20. In noch längeren Zeiträumen denkt Claudius Gros, Theoretischer Physiker an der Universität Frankfurt. Auch er hat sich mit dem Abbremsen von Raumsonden beschäftigt, allerdings in einer ganz anderen Gewichtsklasse: mit dem Verlangsamen von Geräten bis zu 1500 Kilogramm. Solche unbemannten Missionen sollen Einzeller an Bord haben als tiefgekühlte Sporen oder eingebaut in ein Mini-Gen-Labor, das sie am Zielort zum Leben erweckt, damit sie neue Planeten besiedeln können. Für eine derartige Genesis-Sonde sei nicht wichtig, wann sie ankommt, sondern dass sie ankommt, ihre Geschwindigkeit drosselt und in eine Umlaufbahn um den fremden Planeten einschwenkt, zu dem sie geschickt wurde, betont Gros. Geflogen würde deshalb auch nicht mit 20 Prozent, sondern mit 0,3 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. „Das entspricht ungefähr 1000 Kilometer pro Sekunde, wäre aber noch immer etwa 50-mal schneller als die Voyager-Raumsonden“, sagt Gros. Der Physikprofessor hat errechnet, dass ein magnetisches Segel, das aus einer supraleitenden Schlaufe mit 50 Kilometern Durchmesser besteht, reichen müsste, um eine interstellare Arche Noah am Bestimmungsort weit genug zu verlangsamen. Supraleiter sind Materialien, deren elektrischer Widerstand auf 0 fällt, wenn sie eine bestimmte Temperatur unterschreiten. Im Weltraum mit seinen -270 Grad Celsius herrschen dafür optimale Bedingungen. Die von Gros vorgeschlagene 50-Kilometer-Schlaufe erzeugt verlustfrei Strom, der ein starkes Magnetfeld aufbaut. Der elektrisch geladene –ionisierte – Wasserstoff, der sich auch im scheinbar leeren Raum findet, prallt auf das Magnetfeld des Segels und setzt ihm Widerstand entgegen – das Schiff bremst langsam ab. Das funktioniert, obwohl die Teilchendichte mit 0,005 bis 0,1 Wasserstoffatomen pro Kubikzentimeter extrem gering ist, wie Gros im Fachblatt „Journal of Physics Communications“ zeigt. Für den Start der Genesis-Schiffe möchte Gros übrigens den gleichen Laser verwenden, der die Starshot-Sonden von der Erde aus auf ein Fünftel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen soll. Starshot-Vater Philip Lubin kann sich zudem vorstellen, seinen Laser auch einzusetzen, um 10 bis 100 Tonnen schwere Raumschiffe innerhalb eines Monats zum Mars zu bringen – in unserem Sonnensystem können sie viel langsamer fliegen. Allerdings benötigte das Gefährt eine erheblich längere Bestrahlung als nur ein paar Minuten wie die Mini-Sonden. Und der Startlaser müsste auf dem Mond oder im Orbit stationiert sein. Außerdem braucht es ein Stopplicht, das den Raumkreuzer anhält – einen Bremslaser. Und den muss vorher irgendjemand auf dem Mars installieren.

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