Dating-App Homosexualität in China: Schluss mit dem Doppelleben

Ma Baoli hat die Dating-App „Blued“ entwickelt.
Ma Baoli hat die Dating-App »Blued« entwickelt.

Vom Polizeioffizier in der Provinz zum milliardenschweren Tech-Unternehmer: Wie Ma Baoli einer ganzen Generation homosexueller Chinesen dabei half, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.

Um die Jahrtausendwende führte Ma Baoli das für viele schwule Chinesen typische Doppelleben: Tagsüber arbeitete er als junger Polizeioffizier in der nordöstlichen Stadt Qinhuangdao. Nachts jedoch saß er vor seinem Computer und moderierte ein Online-Diskussionsforum für homosexuelle Männer.

Niemand konnte damals ahnen, dass sich aus Mas Zeitvertreib die weltweit größte Dating-App für Schwule entwickeln würde. 49 Millionen Mitglieder haben sich inzwischen bei von „Blued“ registriert, die Mehrheit in Asien. Dabei stammen die Nutzer aus allen gesellschaftlichen Schichten. „Er ist gleich nebenan“, lautet passenderweise der Slogan von „Blued“. Nun will das Unternehmen weiter expandieren. Laut einer Schätzung ist der Mutterkonzern „Blue City“ rund eine Milliarde Dollar (890 Millionen Euro) schwer.

Homosexualität in chinesischer Literatur

Dass sich jene unternehmerische Erfolgsgeschichte ausgerechnet in China abspielt, ist nicht selbstverständlich. Erst 1997 wurde Homosexualität legalisiert, bis 2001 galt es noch als mentale Krankheit. Im Gegensatz zu Russland, das Homosexualität als „westlichen Import“ betrachtet, ist China aber vergleichsweise offen. So lassen sich in der klassischen chinesischen Literatur einige Meisterwerke finden, in denen gleichgeschlechtliche Liebe porträtiert wird.

„Blued“-Gründer Ma Baoli erinnert sich dennoch an das Gefühl der Entfremdung, wie er in einem Brief an Investoren schreibt. Als er sich im Netz über seine sexuellen Orientierung informierte, stieß er in den Suchmaschinen auf schockierende Ergebnisse. „Sie sind krank. Sie brauchen eine Elektroschocktherapie“, stand als Ratgeber auf staatlichen Internetseiten. „Ich dachte, dass ich die einzige Person auf der Welt sei, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlt. Deshalb war es eine unglaubliche Erleichterung, als ich herausgefunden habe, dass es andere Leute wie mich gibt.“

Gesellschaftlicher Wandel

In den frühen 2000er Jahren überzeugte er gleichgesinnte Online-Foren, sich seiner Plattform anzuschließen. Doch die Zensoren der Regierung waren den Aktivisten stets auf den Fersen. Auch wenn Homosexualität damals nicht mehr illegal war, wurden doch immer wieder Websites mit homosexuellen Inhalten geschlossen. Dabei war der damalige Mittzwanziger ja als Polizeioffizier selbst auf der Seite des Gesetzes. 2012 gab er schließlich seinen Job auf und wurde Vollzeitunternehmer.

Seither hat sich viel in der Wahrnehmung von sexuellen Minderheiten getan. Längst gibt es in den Metropolen Peking und Schanghai mehr oder weniger offene Schwulenclubs, die junge Generation hat weitaus weniger Vorurteile gegen Homosexuelle oder Transpersonen. Allein statistisch betrachtet dürfte die chinesische Schwulenszene die größte der Welt sein, schließlich leben in der Volksrepublik rund 1,4 Milliarden Menschen. Laut UN-Schätzungen leben jedoch weniger als fünf Prozent der homosexuellen Männer in China offen schwul.

Politischer Aktivismus tabu

Die offizielle Position der Regierung gegenüber der Community ist nach wie vor ambivalent: Zwar propagiert Peking offiziell die Rechte von Homosexuellen, doch gleichzeitig hat sich noch kein hochrangiger Parteikader geoutet. Zwar gibt es in Schanghai seit über einem Jahrzehnt ein Pride-Festival, doch schwule Inhalte werden regelmäßig von den Behörden zensiert.

Auch für „Blued“ ist der Erfolg ein Drahtseilakt. Denn politischer Aktivismus für die Rechte von Schwulen ist tabu und könnte zur Schließung des Unternehmens führen. Auch ästhetisch gelten bei der App strenge Zensurregeln: Wer nackte Haut oder intime Körperregionen postet, dessen Fotos werden gelöscht.

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