Brauchtum „Blutritt“ in Weingarten erstmals mit Frauen

Simone Rürup, Bürgermeisterin der Gemeinde Baindt, nimmt am Blutritt teil.
Simone Rürup, Bürgermeisterin der Gemeinde Baindt, nimmt am Blutritt teil.

Seit 900 Jahren wird bei einer Prozession eine Reliquie zur Schau gestellt. Doch Reiterinnen waren bisher nie dabei. Bis jetzt. Auch anderswo mischen Frauen allmählich mit.

Mit einem Ritt durch die Morgendämmerung ging für Simone Rürup ein langgehegter Wunsch in Erfüllung gehen. Die Bürgermeisterin der 5200-Seelen-Gemeinde Baindt (Landkreis Ravensburg) war nach mehr als 900 Jahren am Freitag eine der ersten Frauen, die beim „Blutritt“ im baden-württembergischen Weingarten mitritt – der nach Angaben der Stadt größten Reiterprozession Europas mit etwa 2000 Teilnehmern.

Zwar hatte der zuständige Kirchengemeinderat schon im November 2020 entschieden, „Blutreiterinnen“ zuzulassen. Die Prozession fand im folgenden Jahr wegen der Corona-Pandemie aber nur mit wenigen Reitern statt – und der dafür zuständige Verein hatte seine Satzung noch nicht geändert, so dass wieder nur Männer zu Pferde unterwegs waren. Ein Antrag, die katholische Prozession um die Heilig-Blut-Reliquie in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufzunehmen, war zuvor an der fehlenden Offenheit für Frauen gescheitert.

Reine Männerfasnacht

Bei der Prozession wird die Heilig-Blut-Reliquie vor Zehntausenden Zuschauern gezeigt. Die Reliquie enthält der Legende nach mit Erde vermischtes Blut von der Kreuzigung Christi.

Mit dem Frauen-Verbot war der „Blutritt“ in Süddeutschland aber nicht allein. So treffen sich die Riedlinger Narren immer noch als Männerrunde, wenn es ans jährliche Froschkuttelnessen geht. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann war bis zum Jahr 2021 regelmäßig dabei. „Das ist auch nicht anstößig“, sagt der Grünen-Politiker. „Traditionell ist diese Art von Fasnacht nun mal eine Männerfasnacht.“ Außerdem gebe es seit Jahrzehnten ein Froschkuttelnessen der Frauen, das ebenfalls fest zum Brauchtum gehöre, betont Kretschmann. „Jede und Jeder macht also etwas für sich, aber auf gleicher Augenhöhe.“

Gerichtsverfahren nötig

Einen ähnlichen Weg geht man beim Ravensburger Rutenfest: Dort wird dieses Jahr erstmals eine reine Trommlerinnen-Gruppe Ende Juli am großen Festzug durch die Stadt teilnehmen. Die Gründung der Gruppe für Gymnasiastinnen ab der zehnten Klasse sei in Stadt- und Schülerrat bei einer gemeinsamen Sitzung „sehr positiv aufgenommen“ worden, heißt es in der Besprechungsnotiz der Stadtverwaltung.

In Memmingen war dagegen ein Gerichtsverfahren nötig, damit Frauen beim traditionellen Fischertag für den Wettbewerb um den Fang der dicksten Forelle in den Stadtbach springen dürfen. Ein weibliches Mitglied klagte gegen den veranstaltenden Verein – und bekam Recht: Weibliche Vereinsmitglieder dürften nicht aus Tradition von der Teilnahme ausgeschlossen werden, urteilte das Memminger Landgericht im Juli 2021. Der Verein änderte daraufhin seine Satzung.

Klägerin stellt Aufnahmeantrag

Im Juli dürfen damit erstmals auch offiziell Frauen unter den Augen Tausender Zuschauer den Stadtbach ausfischen, sagte ein Sprecher des Vereins. Einen Antrag zur Aufnahme in die Fischer-Gruppe habe bisher aber nur eine Frau gestellt: die Klägerin aus dem Gerichtsverfahren.

Reine Männersache bleibt indes vorerst eine der ältesten deutschen Bürgerinitiativen: die Löbliche Singergesellschaft in Pforzheim, der größte ehrenamtliche Kulturveranstalter der Stadt. Zwar hätten im Herbst 2021 rund 60 Prozent der Mitglieder für eine Aufnahme von Frauen in den Verein gestimmt, sagt Obermeister Christoph Mährlein. „Wir hätten laut Satzung aber 75 Prozent gebraucht.“

Wegen des Frauen-Verbots seien schon zehn Mitglieder ausgetreten, sagt Mährlein. „Ich habe auch drei Töchter, die mich gefragt haben, was ich in so einem Verein eigentlich noch will.“ Er wolle aber Mitglied bleiben, um eine Öffnung für Frauen weiter voranzutreiben.

Früh am Morgen besteigen die Teilnehmer ihre Pferde.
Früh am Morgen besteigen die Teilnehmer ihre Pferde.
x