Panorama Zwerge, wollt ihr ewig leben?

Geliebt, gehasst, entführt, verklagt, nicht totzukriegen – der Vorgartenwichtel. Von der Märchengestalt bis zum Wohlstandsanarchisten hat er es gebracht. Bloß auf dem Mond war er noch nicht.

Da steht er herum mit seiner spitzen Mütze und tut, als ob er kein Wässerchen trüben könnte. Oder faulenzt oder gießt die Geranien. Oder er zeigt Stinkefinger oder Hinterteil. Hoppla! Das macht er aber nicht im Schrebergarten, da herrscht noch Anstand. Das macht er in deutschen Büros oder in der Wohnung. Und manche von ihnen können noch schlimmer. Der Gartenzwerg hat in seiner langen, wechselhaften Geschichte schon vieles mitgemacht. Mal war er Massenware, dann verschwand er im Schuppen oder wurde zerdeppert. Dann tauchte er wieder auf. Er wurde geliebt, gehasst, entführt, für die Kunst zweckentfremdet, veralbert. Aber eins steht fest: Der Mützenmann ist ein Überlebenskünstler. Und längst ein Klassiker. „Der Gartenzwerg ist, ähnlich wie die Kuckucksuhr, ein deutscher Exportschlager, der es bis China geschafft hat“, sagt Claudia Rücker. Die Berliner Kuratorin hat öfter Ausstellungen über den Gartenzwerg betreut und kann in Wichtelfragen als Expertin angesehen werden. Mit einer roten Mütze und einem grauen Bart kam das Männlein in Gräfenroda um 1870 in Thüringen zur Welt, wo das reiche Bürgertum sich schon vorher mit handgefertigten Tierfiguren aus Ton eindeckte. Die Unternehmer August Heissner und Philipp Griebel waren mit ihren Betrieben die Ersten, die den kleinen Thüringer gartentauglich machten. 1884 stellten sie den Gartenzwerg auf der Leipziger Messe vor. Die kleinen Kerle hießen damals noch „Gnömchen“. Und die Männer, die sie herstellten, „Gnömchenmacher“. Vielen Menschen verschaffte der Gartenzwerg ab da in vielen Produktionsstätten Lohn und Brot. Das kleine Gräfenroda avancierte Mitte des 19. Jahrhunderts zur Gartenzwergstadt und blieb es – mit Schwankungen – bis zum Zweiten Weltkrieg, als die Produktion wieder einmal ins Stocken geriet. Denn Gartenzwerge mögen kein Schlachtgetümmel. Der Knirps trug anfangs oft Grubenlampe, Spitzhacke und grüne Schürze, eine Bergmannsausrüstung also. Sein Stammbaum reicht allerdings viel weiter zurück. In der germanischen und griechischen Mythologie kommen Zwerge vor, ebenso in der Sagenwelt und im Märchen. Über 300 Jahre alt sind seine steinernen Vorfahren: in Sandstein oder Marmor gemeißelte Barock-Zwerge, die allerdings kompakter und größer daherkommen als ihre tönernen Brüder aus Thüringen. Das hat damit zu tun, dass der Adel seit dem Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert kleinwüchsige Menschen an den Höfen zur Belustigung anstellte, eine Tradition, die es schon in der Antike gab. Der Zwerg „Perkeo“ ist so ein Entertainer, der auf dem Heidelberger Schloss als Holzfigur noch immer auf dem riesigen 221.726-Liter-Weinfass thront und angeblich sofort starb, als er zum ersten Mal in seinem Leben einen Schluck Wasser trank. Eigentlich hieß er Clemens Pankert, stammte aus Tirol und starb um 1780. Pankert war zunächst Hofzwerg, brachte es dann allerdings zum Hofmeister und Mundschenk. Kleinwüchsige galten als Glücksbringer und nicht jeder konnte sich deren Unterhalt leisten, sie waren also eine Art Statussymbol. Heute klingt das sehr fremd. Doch damals ließen die hohen Herren sogar Bildnisse von ihren kleinwüchsigen Untertanen anfertigen. Solche Zwergenfiguren aus dem 17. und 18. Jahrhundert sieht man noch in alten Parkanlagen wie im Salzburger Schloss Mirabell oder im Schloss Greilenstein in Niederösterreich. Im Mittelalter glaubten viele, dass Zwerge „den Menschen den Weg zu den Schätzen in den Bergen weisen“, erzählt Claudia Rücker. „In den Augen der Menschen gab es aber auch Zwerge, die Bergleute in die Irre führen“, betont die Soziologin und Volkskundlerin. Nicht jeder Zwerg war automatisch gut – wie der Elfenkönig Alberich zeigt, dem Siegfried im Nibelungenlied Tarnkappe und Schatz abnimmt. Alberich entspricht in der Artussage Oberon, die germanische Mythologie kennt ihn als Andwari. Zwerg und Elf sind damit nicht immer klar unterschieden, vom Kobold allerdings unterscheidet den Zwerg, dass der Zwerg unter seinesgleichen lebt, fernab der Menschen, während der Kobold alleine an einem Ort haust oder als Hausgeist an eine Familie oder ein Gebäude gebunden ist. Im 20. Jahrhundert erlebte der kleine Mann mit dem grauen Bart und der roten Mütze ein ständiges Auf und Ab. Er wurde zum Politikum. Nicht gut gelitten waren die Gartenzwerge im Hitler-Deutschland. Den Nazis waren sie nicht genug Herrenmensch. An der Deutschen Weinstraße zum Beispiel durfte nichts stehen, was das Landschaftsbild störte – das galt genauso für die Gartenzwerge. Auch in der DDR hatten es die kleinen Männer anfangs schwer, sie kamen so gar nicht wie Klassenkämpfer daher. Zu kleinbürgerlich, zu unpolitisch, hieß es. Die Produktion wurde 1948 verboten. Doch schon einige Jahre später merkten die Funktionäre des real existierenden Sozialismus, dass der Klassenfeind jenseits der Mauer den kleinen Kerl sehr mochte und dort mit ihm viel Geld zu verdienen war. Also ging der Gartenzwerg in Gräfenroda wieder in Serie. Im Wirtschaftswunder machte es sich eine immer größere Zwergenschar in den Schrebergärten gemütlich. Inzwischen sollen es 20 Millionen Gartenzwerge in Deutschland sein. In den 50er und frühen 60er Jahren war der kleine Mann der unangefochete Star im gepflegten Garten. Er wurde, weil es ihn mittlerweile auch aus Plastik gab, billig und pflegeleicht. Die kleine Rotmütze lächelte immer freundlicher, seine Nase wurde knubbeliger. Der rechtschaffene Zwerg mit dem wettergegerbten Gesicht machte dem pausbäckigen Babygesicht Platz. Weshalb die Zahl seiner Feinde wuchs. Die 68er-Generation machte Front gegen den kleinen Mann. In den wilden Jahren von Sex und Drugs und Rock’n’Roll war die Zipfelmütze der Inbegriff des Spießertums, der personifizierte Mief und Kleingeist. Die kleinen Bartträger wurden beleidigt und ausgelacht. Immer wieder wurde er zum Politikum: 1988 fühlte sich eine Hamburgerin von zwei Gartenzwergen in einem Gemeinschaftsgarten derart gestört, dass sie vor Gericht deren Rauswurf aus dem grünen Paradies erstritt – das Hanseatische Oberlandesgericht gab ihr in dritter Instanz recht. Die Gartenzwerge mussten ausziehen. Ein Tiefpunkt. Ende der 90er Jahre trat die Front zur Befreiung der Gartenzwerge auf den Plan. Die Täter entfernten die kleinen, putzigen Männchen aus den Gärten, riskierten dafür eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs, Sachobjektentfernung und Sachbeschädigung. Doch da hatte der Zwergenaufstand längst begonnen. Die Antwort des Gnömchenmachers Günter Griebel auf das Gerichtsurteil von 1988 hieß „Nachbars Opfer“ und war ein liegender Ton-Zwerg, aus dessen Rücken ein Messer ragte. Günther Griebel aus Gräfenroda ist ein Nachfahre des Zwergen-Großvaters Philipp Griebel. Der Shocking-Zwerg war geboren, und er schlug ein wie eine Bombe. Völlig überraschend. Als Helmut Kohl oder Gerhard Schröder, als Stan und Olli verkleidet, zogen die Zwerge wieder um die Welt. Heute telefonieren sie mit Handys, fahren schwere Motorräder, machen auf Exhibitionist und lupfen den Mantel oder peitschen wie die Domina. Aus dem lieben, harmlosen Kerl ist ein frecher Lümmel geworden, ein Kobold sozusagen. Auch Gartenzwerg-Hasser haben ihn endlich lieb. Und die Kassen klingeln wieder. Der Gartenzwerg-Designer Andreas Klein, der unermüdlich moderne Zipfelmänner entwirft, meldete 2008 das beste Jahr seiner 20-jährigen Firmengeschichte. „Als Hassobjekt hat der Gartenzwerg seitdem ausgedient“, meint Kennerin Claudia Rücker. Mittlerweile gebe es für jeden Geschmack etwas in der Zwergenwelt. Sogar die Wissenschaft hat sich dem Wichtel zugewandt. Fritz Friedmann, inzwischen verstorben, gründete 1980 in Basel die Internationale Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge. Er selbst rief einen eigenen Gartenstuhl an der Universität des Schrebergartens ins Leben und nannte sich fortan Professor der Nanologie, der Zwergenkunde. Auch eine Art Zwergen-Bibel verfasste der Forscher, Titel: „Zipfel auf!“. Darin stellt er zum Beispiel klar, dass nicht jeder Zwerg ein Gartenzwerg ist. Und dass der Gartenzwerg eine grüne Schürze zu tragen hat, dass er nicht größer als 68 Zentimeter sein darf, nach 17 Uhr Feierabend hat und auf keinen Fall eine Frau sein darf – „weil nicht sein kann, was nicht sein darf“. Ob der Gartenzwerg auch auf dem Mond Gartenzwerg genannt werden darf oder Staubzwerg heißen muss oder ob er mit zum Mars mitfliegt, das ist derzeit noch nicht geklärt.

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