Panorama Titel für Tiere und Pflanzen: Vom Einzeller bis zum Gemüse

Frisch gekürt: Die Zauneidechse ist das „Reptil des Jahres 2020“.
Frisch gekürt: Die Zauneidechse ist das »Reptil des Jahres 2020«. Foto: dpa

Es gibt die „Mikrobe des Jahres“ und die „Flechte des Jahres“, die Flatter-Ulme trägt ebenso eine Würdigung wie die Senf-Blauschillersandbiene. Was für Laien manchmal absurd scheinen mag, hat durchaus einen Sinn.

Von Martin OversohlStuttgart Die Turteltaube ist es, die Auen-Schenkelbiene ebenfalls, der Maulwurf gehört dazu und die Finger-Scharlachflechte. Mehr als 30 „Jahreswesen“ listet der Naturschutzbund (Nabu) für 2020 auf. Auch Einzeller (Dinoflagellat) und Höhlentiere (Mauerassel), Heilpflanzen (Wegwarte) und Pilze (Gemeine Stinkmorchel) haben eine eigene Auszeichnung. Am Donnerstag gesellte sich das „Reptil des Jahres 2020“ zu den Ausgezeichneten: Es ist die Zauneidechse.

Eine unnötige Titel-Inflation? Keineswegs, sagt Axel Kwet, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde. „Man schenkt einem oft bedrohten Tier und seinem Lebensraum eine Aufmerksamkeit, die es braucht.“

Vögel, Wildtiere und Blumen, Wildbienen und Bäume seien Sympathieträger, nicht nur, wenn es um eine Würdigung gehe. „Aber Kriechtiere haben einen schlechten Leumund“, sagt Kwet, dessen Gesellschaft das „Reptil des Jahres“ benennt. Mal seien sie giftig, mal eklig. „Da ist es wichtig, dass man um Sympathie wirbt für ein wichtiges Anliegen.“

Stellvertretend für Lebensraum

Aufmerksamkeit erzeugen – darum geht es auch dem Naturschutzbund (Nabu) Deutschland, der bereits seit 1971 den „Vogel des Jahres“ würdigt. „Aus unserer Sicht ist das ein riesiger Erfolg“, sagt der baden-württembergische Nabu-Landesvorsitzende Johannes Enssle. „Ich habe schon das Gefühl, dass das aufgegriffen wird und das diejenigen, die naturbegeistert sind, sich auch damit beschäftigen.“

Mit den meisten „Jahreswesen“ sei auch eine Botschaft verbunden, sagt Enssle. „Man will auf eine Art aufmerksam machen, um die es entweder schlecht steht oder der es so gut geht, dass sie aus anderen Gründen im Mittelpunkt steht.“ Ein Beispiel dafür sei der Kormoran, der laut Bodenseefischern tonnenweise Fisch aus dem See frisst. Die Tiere stünden stets stellvertretend für einen Lebensraum oder ein Thema: Die Dohle für die besiedelten Kirchtürme, die Turteltaube für den Mangel an strukturreichen Agrarlandschaften.

Mehrwert schlecht nachweisbar

Die Gesellschaft für Mykologie zum Beispiel will mit der Benennung der Gemeinen Stinkmorchel auf die gegenseitigen Abhängigkeiten aller Lebewesen beim Insektensterben hinweisen. Der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt wirbt mit der Gurke dafür, sich stärker mit „diesem vielfältigen Gemüse in Garten und Küche zu beschäftigen“. Und der Schwarzblaue Ölkäfer kann sich zwar enorm schnell vermehren. Dennoch findet sich seine Art auf der Roten Liste als gefährdet wieder, weil sie ihren Lebensraum verliert.

Ähnlich sieht das Eva Goris von der Deutschen Wildtierstiftung, die das „Wildtier des Jahres“ kürt: „Ich bin überzeugt, dass ein solcher Titel etwas bringt, auch wenn sich dieser Mehrwert nur schlecht nachweisen lässt.“ Der prämierte Maulwurf etwa erscheine durch die Aufmerksamkeit und die Berichte sympathischer.

Keine Chance für Eisbären

Das allerdings reicht noch nicht: „Es kommt darauf an, die Ernennung mit einer Idee und Aktionen, mit Spendenaufrufen für Schutzmaßnahmen und Lobbyarbeit zu verknüpfen“, so Viktoria Michel, die Projektkoordinatorin der „Zootier des Jahres“-Artenschutzkampagne. „Außerdem brauchen Menschen immer etwas Besonderes, um darauf aufmerksam zu werden.“ Bei den Titelträgern ist die Zoologische Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz eigen: „Wir setzen uns für die Tiere ein, die in den Zoos und Tierparks eher untergehen“, sagt Michel. Eisbären und Elefanten hätten wenig Chancen.

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