Rheinpfalz Interview: Ingrid Brodnig über Hass im Netz

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»Humor ist extrem entwaffnend«, sagt Medienjournalistin Ingrid Brodnig.

Wer aggressiv ist, bekommt Aufmerksamkeit. Im Internet funktioniert diese Strategie besonders gut, sagt die österreichische Autorin Ingrid Brodnig (31) im Gespräch mit Adrian Hartschuh. In ihrem neuen Buch „Hass im Netz“ beschreibt sie, wie wir mit Hasskommentaren im Internet umgehen sollten.

Frau Brodnig, warum vergessen wir im Netz unsere gute Kinderstube?

Anders als im Kaffeehaus oder auf der Straße sehen wir unseren Gesprächspartner im Internet nicht. Bei der schriftlichen Kommunikation fehlt der Augenkontakt, die Mimik und Gestik unseres Gegenübers. Wenn ich jemand ins Gesicht sage „ich will, dass du stirbst“, dann sehe ich sofort, wie die Person reagiert. Sehe ich das nicht, ist es leichter, verletzend zu sein.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie als Jugendliche sicher waren, dass das Internet großartig für die Demokratie und unsere Gesellschaft sein wird. War das am Ende eine Utopie?

Ich glaube, dass das Internet großartig sein kann. Die Utopie war, dass es das automatisch ist. Was wir mehr und mehr sehen, ist, dass wir eine Verantwortung haben, das Internet auch so mitzugestalten, dass es ein demokratisches Tool wird. Ich bin da jetzt nicht hoffnungslos, aber ich glaube, es ist nicht ganz so einfach, wie wir uns das am Anfang vorgestellt haben.

Lange wurde Hass im Netz eher bei Politikern und Journalisten abgeladen. Seit der Flüchtlingskrise trifft er auch ganz normale Menschen. Hat sich die digitale Debatte radikalisiert?

Auch vorher gab es Hass gegen Privatpersonen, das Thema Feminismus beispielsweise sorgt seit vielen Jahren für die schlimmsten Rüpeleien. Aber mit der Flüchtlingsdebatte hat das Problem eine neue Quantität erreicht. Auf einmal wurden normalen Bürgern, die sich für Flüchtlinge einsetzen, online die schlimmsten Dinge an den Kopf geworfen. Je mehr ein Thema polarisiert, desto mehr führt es zu Hass im Netz. Die Flüchtlingsdebatte ist ein Einfallstor für rechtsextreme Gruppen, die versuchen, für einen Dammbruch zu sorgen, also gewisse Untergriffe normal zu machen. Diese Leute nennen sich gern die schweigende Mehrheit. Dabei ist es offensichtlich, dass sie nicht schweigend sind. Und sie sind auch nicht die Mehrheit. Sieben von zehn Deutschen sind laut einer Studie des Instituts Pew Research Center für Gesetze gegen Hassrede. Das ist der Spitzenwert unter allen untersuchten Ländern und zeigt: Die Mehrheit findet das absolut nicht in Ordnung, wenn Menschen zu Gewalt gegen Minderheiten aufrufen.

In Ihrem Buch differenzieren Sie zwischen Trollen und Glaubenskriegern. Was unterschiedet beide?

Trolle sind Menschen, die sich daran erfreuen, wenn sie andere auf die Palme bringen oder ihnen emotionales Leid zufügen. Im Englischen nennt man es „Trolling“, wenn man einen Köder ins Wasser wirft und mit dem Boot langsam davonfährt. Die Fische im Wasser sehen, dass sich etwas bewegt und schnappen zu. Genauso möchte der Troll mit seinen Online-Kommentaren Menschen an den Haken kriegen. Aus Spaß schreiben Trolle naiv klingende oder total verletzende Postings mit der Absicht, andere in Rage zu versetzen.

Und Glaubenskrieger?

Glaubenskrieger sind der Ansicht, sie hätten etwas erkannt, was der Rest der Bevölkerung noch nicht verstanden hat. Häufig sehen sie eine Bedrohung. Man erkennt sie daran, dass sie Andersdenkende als verblendet, naiv oder als Lügner bezeichnen.

Warum haben Trolle und Glaubenskrieger im Internet so viel Erfolg?

Generell funktioniert Aggression in der medialen Diskussion gut, da muss man sich nur Politiker anschauen: Jene, die deftige und umstrittene Aussagen machen, kriegen oft mehr Platz in der Zeitung. Das ist online ganz ähnlich. Daegon Cho und Alessandro Acquisti, die beide in den USA forschten, fanden heraus, dass Menschen, die in Zeitungsforen Kommentare mit Schimpfworten verfassen, viel mehr Likes erreichen. Wer online schroff formuliert, kriegt also tendenziell mehr Zuspruch. Hinzu kommt: Auf vielen Webseiten bestimmt ein Algorithmus, welche Beiträge ein Nutzer zu sehen bekommt. Facebook zum Beispiel zeigt nur einen Teil der Beiträge der eigenen Freunde und der Seiten, denen man folgt. Auch dort können wir sehen, dass deftig formulierte Wortmeldungen oft mehr Likes und Kommentare erhalten. Und weil diese Postings viel Feedback bekommen, blendet der Algorithmus die krasse Wortmeldung bei noch mehr Menschen ein. Aber gerade in der politischen Diskussion ist es gefährlich, wenn besonders diejenigen Gehör finden, die laut und aggressiv sind.

Vielen Zeitungen wachsen die Hass-Postings über den Kopf. Einige reagieren, indem sie die Kommentarfunktion abschalten. Ist das der richtige Weg?

Ich bin da sehr skeptisch, weil ich schon glaube, dass es Aufgabe des Journalismus ist, auch schwierige Diskussionen zu führen. Außerdem verlagern sich die Debatten dann oft in geschlossene Facebook-Gruppen. Aus Zeitungssicht ist das Abschalten der Kommentarfunktion natürlich verständlich, weil deren Moderation extrem viel Geld kostet. Aber wenn es schon nicht anders geht, sollten Zeitungen zumindest teilweise Diskussionen zulassen. Ein gutes Beispiel ist die „New York Times“. Dort kann man Artikel nur kommentieren, wenn gerade ein Moderator Zeit hat, das Forum zu betreuen.

Wenn Zeitungen Kommentare löschen, wird ihnen oft vorgeworfen, die Meinungsfreiheit mit Füßen zu treten oder Zensur zu betreiben.

Ich glaube, dass hier total falsch verstanden wird, was Meinungsfreiheit ist. Sie inkludiert nicht das Recht, an jedem Ort zu jeder Zeit Gehör zu finden. Ebenso wenig schützt sie vor Kritik oder ist ein Freibrief für rüpelhaftes Verhalten. Es gibt kein Grundrecht darauf, andere Menschen zu beleidigen und Medien sind nicht verpflichtet, jeder noch so abwegigen oder gar rabiaten Haltung eine Bühne zu geben.

Und im Privaten? Wie kann man sich gegen Hass-Ausbrüche wehren?

Ein Patentrezept gibt es leider nicht. Aber eine Grundregel: auf Hass nicht mit Hass reagieren. Das ist unglaublich schwierig, wenn man selbst attackiert wird. Aber gerade aggressive User wollen, dass andere auch aggressiv werden. Sie wollen Debatten zur Entgleisung bringen. Ich empfehle immer: durchatmen. Und dann schauen, wie ernsthaft die Sache ist. Ist es strafrechtlich relevant? Dann sollte man als erstes immer einen Screenshot machen. Denn ist ein Posting erst gelöscht, hat man sehr schlechte Karten bei einem Richter. Je nach Schärfe des Ganzen kann man bei wütenden Wortmeldungen auch einfach mal nachfragen: „Wie meinst du das?“ Oder sagen: „Wenn du bereit bist, weniger hart zu formulieren, bin ich bereit, mit dir zu diskutieren.“ Es gibt genug Leute, die sich davon nicht beeindrucken lassen, aber es ist gut für die Mitlesenden, die merken: „Ja stimmt, der diskutiert wirklich unangenehm.“ Was ich auch immer empfehle, ist Humor. Manchmal kann es eine wunderbare Strategie sein, mit einem Witz oder einem Augenzwinkern auf einen Kommentar zu reagieren, denn Humor ist extrem entwaffnend.

Haben Sie ein Beispiel?

Über den Sänger James Blunt schrieb jemand: „James Blunt sieht aus wie mein linker Hoden.“ James Blunt hat darauf geantwortet: „Dann solltest du dringend zum Arzt gehen.“

Lesezeichen

Ingrid Brodnig: Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können. Brandstätter Verlag; 232 Seiten; 17,90 Euro.

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