Wirtschaft Sozialabgaben: Politik reagiert auf zunehmende Kritik

Schon oft hat der Verein Direktversicherungsgeschädigte – hier 2017 in Berlin – gegen die Belastung durch die Gesundheitsreform
Schon oft hat der Verein Direktversicherungsgeschädigte – hier 2017 in Berlin – gegen die Belastung durch die Gesundheitsreform von 2004 demonstriert.

«Ludwigshafen.» Seit 2004 müssen Millionen gesetzlich versicherte Betriebsrentner den vollen Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung zahlen – neben dem Arbeitnehmer- also auch den Arbeitgeberanteil. Rund 18 Prozent Minus bringt ihnen das ein. Entsprechend groß ist der Ärger. Das ruft jetzt auch die Politik auf den Plan. Es gibt erste Reformvorschläge zur Beitragsentlastung. Einziges Problem aus Sicht der Regierung: Es stehen viele Milliarden Euro auf dem Spiel.

Von Jahr zu Jahr sind mehr Senioren von der 2003 politisch beschlossenen – und Anfang 2004 in Kraft getretenen – doppelten Belastung der Betriebsrenten betroffen. Diese war zum Auffüllen der knappen Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung gedacht. In Ministerien und Abgeordneten-Büros häufen sich mittlerweile die Beschwerdebriefe. Quer durch die Parteien gibt es Befürworter einer Reform. Von Gewerkschaftsseite hat zuletzt die IG Bergbau, Chemie, Energie „Schluss mit der Doppel-Abzocke von Millionen Betriebsrentnern“ gefordert. Drei Reformansätze nehmen in der Debatte derzeit die größte Rolle ein: Erhebung nur noch des halben Kassenbeitrags auf Betriebsrenten, Einführung eines Freibetrags anstelle der geltenden Freigrenze oder deutliche Anhebung der Freigrenze. Nach Berechnungen der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (Aba), die mit anderen Quellen im Wesentlichen übereinstimmen, würde die Realisierung des halben Kassenbeitrags die Krankenkassen jährlich bis zu 2,6 Milliarden Euro kosten – Geld, das die Rentner sparen könnten. Nur der halbe Kassenbeitrag ist etwa auch auf die gesetzliche Rente fällig. Für monatliche Rentenzahlungen der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) würde mit dem halben Kassenbeitrag der Rechtszustand bis Ende 2003 wiederhergestellt. Aber: Einmal-Kapitalzahlungen aus bAV-Direktversicherungen blieben bis Ende 2003 komplett beitragsfrei. Heute unterliegen sie – wie bAV-Renten – dem vollen Beitragssatz, wobei die Gesamtauszahlung für die Beitragsberechnung auf zehn Jahre aufgeteilt wird. Das heißt, dass die Rentner, die wegen der langen Niedrigzinsjahre ohnehin meist nicht auf die erwartete Auszahlsumme ihrer Lebensversicherung kommen, 120 Monate lang mit Beiträgen belastet werden, mit denen sie in den Einzahljahren bis 2004 nicht rechnen konnten. Vorschlag zwei – Einführung eines Freibetrags – geht mit der Abschaffung der jetzigen Freigrenze einher. Die Freigrenze lässt Renten bis 152,25 Euro (Stand 2018) beitragsfrei, belastet aber höhere Renten – auch wenn sie nur einen Cent darüber liegen – voll, also ohne Abzug der Freigrenze. Im Unterschied dazu würde ein neu eingeführter Freibetrag von 152,25 Euro jeden Betriebsrentner entsprechend entlasten, weil dann nur der jeweils überschießende Rentenanteil beitragspflichtig wäre. Bei Einmal-Kapitalzahlungen würden auf diese Weise 18.270 Euro (120 mal 152,25 Euro) von Beiträgen freigestellt. Diese Reform würde den Staat nach Aba-Berechnungen rund 1 bis 1,3 Milliarden Euro jährlich kosten. Als Alternative dazu wird (Vorschlag Nummer drei) auch an eine Anhebung der Freigrenze von 152,25 Euro auf 250 Euro gedacht. Dann bliebe etwa die Hälfte der derzeit ausbezahlten Betriebsrenten beitragsfrei. Die sich ergebenden Kassen-Mindereinnahmen beziffert die Aba auf jährlich rund 0,7 Milliarden Euro. Etwa ein Drittel der rund 6 Millionen Betriebsrenten liegt der Aba zufolge derzeit unter 100 Euro netto. Alle drei Reformvorschläge zielen auf eine Beitragsregelung in der Zukunft, lassen aber eine auch diskutierte rückwirkende Entlastung der Betriebsrentner für früher bereits geleistete Doppelbeiträge außer Betracht. Den Staat würde eine Rückzahlaktion zwischen 35 und 40 Milliarden Euro einmalig kosten. „Nach allem, was man hierzu aus der Politik hört, ist es unwahrscheinlich, dass es dazu kommt. Das hätte sofort Auswirkungen auf den Krankenkassenbeitrag“, sagt Aba-Geschäftsführer Klaus Stiefermann. Aus seiner Sicht ist auch offen, ob eine gesetzliche Neuregelung kommen wird: „Die Ministerien beschäftigen sich damit, es kann aber auch sein, dass alles bleibt, wie es ist“. Dem Verband Aba gehören Unternehmen aller Größenordnungen, Träger der betrieblichen Altersversorgung sowie Spitzenverbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer an. Ziel ist eine Stärkung der betrieblichen Altersversorgung. Ganz tatenlos blieb der Gesetzgeber nicht. Seit Anfang 2018 sind betriebliche Riester-Renten, die der Beschäftigte über seinen Arbeitgeber abschließt oder abgeschlossen hat, von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung befreit. Dies entspricht der schon vorher geltenden Regelung für private Riester-Renten. Kommentar

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