Rheinpfalz Internationaler Abschied von Helmut Kohl: Danke, thank you, merci

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»Jetzt ist es an uns, Ihr Vermächtnis zu bewahren«: Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt im Europaparlament vor dem Sarg Helmut Kohls Abschied.

In Straßburg würdigen Politiker die Leistungen Helmut Kohls für Deutschland und Europa. Sie sprechen vom großen Staatsmann, vom verlässlichen Partner – und von einem Freund.

Was bleibt von diesem Tag, an dem Europa in Straßburg von Helmut Kohl Abschied nahm? Vielleicht die Tränen in den Augen der Bundeskanzlerin, der er so gegrollt hatte und die ihm gestern auf so persönliche Art ihren Dank abstattete. „Lieber Bundeskanzler Helmut Kohl, dass ich hier stehe, daran haben Sie entscheidenden Anteil. Danke für die Chancen, die Sie mir gegeben haben“, sagt Angela Merkel: „Ich verneige mich vor Ihnen und Ihrem Angedenken in Dankbarkeit und Demut.“ Dabei verschweigt Merkel nicht, dass ihr beider Verhältnis nicht ohne Spannung war. Kohls einstiges „Mädchen“, das er nach dem Mauerfall in sein Kabinett geholt hatte, rief 1999 als CDU-Generalsekretärin die Partei auf, sich wegen der Spendenaffäre von ihm zu emanzipieren. Kohl gab damals den CDU-Ehrenvorsitz zurück. Viele Leute hätten sich an ihm gerieben, so Merkel nun in Straßburg über ihren einstigen politischen Ziehvater, „auch ich“. Doch das müsse an diesem Tag vor Kohls historischem Lebenswerk zurücktreten. Ohne Kohl wäre ihr und das Leben von Millionen Menschen „völlig anders verlaufen“, verweist sie auf die deutsche Einheit. Kohl habe einen Platz in den Geschichtsbüchern eingenommen: „Sie haben unendlich viel erreicht. (...) Jetzt ist es an uns, Ihr Vermächtnis zu bewahren.“ Acht Soldaten des Wachbataillons der Bundeswehr haben den Sarg mit den sterblichen Überresten von Helmut Kohl zuvor auf ihren Schultern ins voll besetzte Plenum des Straßburger Europaparlaments getragen. Der Sarg ist von großen Ausmaßen und eingehüllt in die sternenbesetzte tiefblaue Europafahne. Die Soldaten haben wenig Platz, genau abgezirkelt müssen sie ihre Füße setzen. Die Witwe Maike Kohl-Richter sitzt neben EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani und EU-Ratspräsident Donald Tusk. In den Reihen dahinter Weggefährten, Parteifreunde wie sein langjähriger Innenminister Rudolf Seiters (CDU), einstige Mitstreiter, mit denen er gebrochen hatte, wie Wolfgang Schäuble (CDU), sowie heutige Funktionsträger wie etwa der österreichische Präsident Alexander van der Bellen. Auch das deutsche Staatsoberhaupt, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ist gekommen. Hier in Straßburg, der zwischen Deutschen und Franzosen so lange umkämpften Stadt, die nach 1945 dann zum Symbol geworden ist für die europäische Einigung, hatte Helmut Kohl 13 Tage nach dem Fall der Berliner Mauer einen historischen Auftritt, der beim Trauerakt immer wieder in Erinnerung gerufen wird. Gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten François Mitterrand sprach er am 22. November 1989 zu den Abgeordneten des Europaparlaments. Kohl gab damals den Europäern ein Versprechen: „Die Deutschen, die jetzt im Geist der Freiheit wieder zusammenfinden, werden niemals eine Bedrohung sein, dafür aber umso mehr ein Gewinn für die Einheit Europas.“ Der Luxemburger Jean-Claude Juncker hält eine emotionale Rede. „Ich nehme Abschied von einem treuen Freund, der mich über Jahre liebevoll begleitet hat.“ Mit Kohl, so Juncker weiter, „verlässt uns ein Nachkriegsgigant“. Und er findet ein versöhnliches Schlusswort für die Debatte um den fehlenden deutschen Staatsakt. Diese Trauerfeier sei „nicht undeutsch, sie ist europäisch“. Juncker erinnert daran, wie wichtig Kohl die Erweiterung der EU nach Osten war: Als 1997 die Aufnahme der Beitrittsgespräche mit Polen, Tschechien und den anderen ehemaligen Ostblockländern beschlossene Sache war, sei Kohl sehr bewegt gewesen, dass er nach all dem Unheil, das Deutschland über Europa gebracht habe, diesem Augenblick beiwohnen dürfe: „Und dann wurde er still, in sich ruhend, und hat lange Minuten geweint.“ Danke, thank you, merci: In vielen Sprachen würdigen die acht Redner an diesem Tag den Mann, der am liebsten Pfälzisch gesprochen hat. Juncker redet auf Deutsch und Französisch, Tajani auf Italienisch. EU-Ratspräsident Tusk wählt seine Muttersprache Polnisch, um hervorzuheben, was Kohl für das deutsch-polnische Verhältnis getan hat. Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew erinnert auf Russisch an die Zeit, als Mauer und Eiserner Vorhang fielen: „Es war ein Traum von Frieden und Sicherheit für uns alle.“ Und auf Spanisch sagt Felipe González, der damals Ministerpräsident war und Kohl half, die anderen europäischen Partner zu überzeugen: „Freundschaft bedeutete für ihn Vertrauen, das ist in der Politik selten.“ Auch der frühere US-Präsident Bill Clinton wird sehr persönlich. Er und all die anderen ergrauten ehemaligen Staatschefs seien Kohl dankbar, weil sie mit ihm Zeuge einer historischen Zäsur wurden: „Kohl gab uns die Chance, bei etwas dabei zu sein, das wichtiger war als unsere Ämter.“ Er habe ihn „geliebt“, so Clinton. Seine Frau Hillary habe einst zu ihm gesagt, dass er Kohl deswegen so sehr möge, „weil er die einzige Person war, die einen größeren Appetit hatte als ich“. Doch Kohls Appetit sei weit über das Essen hinausgegangen – ein Appetit auf Freiheit, Völkerverständigung und die ökonomisch mutige Tat, Europa eine gemeinsame Währung zu geben. Der französische Präsident Emmanuel Macron (39) ist mit Abstand der Jüngste unter den Trauerrednern. Und er ist es, der den Blick in die Zukunft richtet. Er und Merkel hätten die Aufgabe, in der Europapolitik das Vermächtnis von Kohl umzusetzen: „Wir müssen dafür sorgen, dass das Aufbauwerk nicht seinen Geist verliert.“ Er wolle zusammen mit der deutschen Kanzlerin europäischen Sinn stiften, sagt er, und nennt Kohl einen „Freund Frankreichs“. Maike Kohl-Richter steht den Trauerakt mit gefasster Miene durch. Sie hört Merkel zu, die als einzige Rednerin an Kohls erste Frau Hannelore erinnert, und hört weiter zu, als Merkel sich direkt an sie wendet: seine zweite Frau, die „ihn liebevoll begleitet hat. Ihnen gehört mein Mitgefühl“. Eine letzte, vielstimmige und vielsprachige Verbeugung sind diese knapp zwei Stunden in Straßburg. Juncker aber lässt seinen ihm eigenen Schalk auch in dieser Stunde der Trauer durchblitzen, als er den Verstorbenen eines letztes Mal direkt anspricht: „Du bist jetzt im Himmel, versprich mir, dass du dort nicht einen CDU-Ortsverein gründest. Lieber Helmut, ruhe in Frieden.“

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»Du hast das gut gemacht in Deinem Leben. Und wir, die wir dabei sein durften, liebten dich dafür.« Bill Clinton, früherer US-Präsident
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»Helmut Kohl war ein deutscher Patriot. Aber auch in europäischer Patriot.« Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionspräsident
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