Politik Zwischen klaren Botschaften und handfesten Differenzen

Donald Tusk, der Präsident des Europäischen Rates, bricht kommende Woche zu einer Visite des Westbalkans auf. Der Region gehören Albanien und jene Spaltprodukte Jugoslawiens an, die noch nicht EU-Mitglied sind: Bosnien-Herzegowina, das Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien.

Tusk werden diplomatisches Geschick und die Fähigkeit zuzuhören nachgesagt. Das sind Qualitäten, die bei der Vorbereitung des EU-Westbalkan-Gipfels am 17. Mai in Sofia dringend gefragt sind. Als Bulgarien zu Jahresbeginn für sechs Monate die EU-Präsidentschaft übernahm, hatte der Pole selbst die Pläne für einen solchen Gipfel als spannender als die Filmsage „Game of Thrones“ eingestuft. Denn mit am Tisch sitzt auch das Kosovo. Aus Furcht vor einer Signalwirkung für Katalonien hat Spanien die Unabhängigkeit der mehrheitlich von Albanern bewohnten Region, die sich 1999 von Serbien abspaltete, nicht anerkannt. Ähnliche Befürchtungen hegt die Republik Zypern wegen des türkischen, derzeit nur von Ankara anerkannten Separatstaates im Norden. Auch Griechenland, Rumänien und die Slowakei fürchten Sezessionsgelüste ihrer Minderheiten. Wie diese fünf Staaten beim Gipfel in Sofia vertreten sein werden, ist daher so unklar wie die Form des Abschlussdokumentes. Beobachter halten eine juristisch verbindliche Deklaration für eher unwahrscheinlich. Dazu kommt, dass es zwischen den EU-Staaten handfeste Differenzen über Europas Westbalkan-Strategie gibt. Deutschland, das die Region lange vernachlässigte, drängt jetzt auf mehr Tempo bei der Integration. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dagegen will die Europäische Union vor einer neuen Erweiterung erst einmal reformieren und konsolidieren. Zwar versuchte EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn vorgestern im mazedonischen Skopje zu beruhigen. Schon bald könnten im Europäischen Rat Entscheidungen nicht mehr einheitlich, sondern mehrheitlich fallen. Und die Mehrheit sei für schnelle Integration. Im Falle Mazedoniens ist das Haupthindernis für einen Beitritt zur EU derzeit ein Veto Griechenlands, das wegen seiner Nordprovinz Makedonien den Namen exklusiv beansprucht. Beim Mehrheitsprinzip wäre auch dieses Problem vom Tisch. Auf schnelle Integration drängte auch Ratspräsident Tusk vergangene Woche in seiner Rede vor dem Europaparlament. Er habe für „unsere Freunde“ auf dem Westbalkan eine „klare Botschaft“: Europa sei und bleibe der verlässlichste Partner für die Staaten der Region, der Gipfel in Sofia solle die europäische Perspektive für alle sechs bestätigen. Die EU-Mitgliedschaft falle aber nicht vom Himmel, sondern müsse von den Anwärtern hart erarbeitet werden. Der Jahresbericht zum Westbalkan, den die Kommission kürzlich dem EU-Parlament vorlegte, aber fällt sehr gemischt aus. Ein konkretes Beitrittsdatum – 2025 – peilt Brüssel bisher nur für Montenegro und für Serbien an. Vorausgesetzt, Belgrad grenzt sich von Russland ab und normalisiert sein Verhältnis zum Kosovo. Um der Expansion der Türkei, Chinas und vor allem Russlands auf dem Balkan Grenzen zu setzen, könnten schon im Juni auch mit Albanien und Mazedonien Vorverhandlungen über einen Beitritt mit konkreter Zeitleiste beginnen. Zwar sieht Brüssel vor allem in Mazedonien, wo seit knapp einem Jahr eine prowestliche Regierung im Amt ist, Fortschritte auf dem Weg zu europäischen Standards. Bei Korruption, Ineffizienz der Institutionen, Meinungs- und Pressefreiheit sowie der Beilegung von Grenzstreitigkeiten und gegenseitigen Gebietsansprüchen gebe es jedoch in allen Staaten der Region nach wie vor akuten Handlungsbedarf.

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